"Erinnern um der Versöhnung willen"

Erklärung der EKD zum Völkermord an den Armeniern

22. April 2005


Am 24. April dieses Jahres gedenkt die Evangelische Kirche in Deutschland der Opfer des Völkermords an den Armeniern vor 90 Jahren. Was damals geschah, darf auch heute nicht verschwiegen werden. Deshalb stimmen wir in ökumenischer Verbundenheit dem Anliegen zu, das Karekin II., Katholikos Aller Armenier, in seiner Enzyklika vom 3. Februar 2005 formuliert hat: „Der erste Völkermord des 20. Jahrhundert muss anerkannt und verurteilt werden durch die ganze Welt und auch durch die Türkei, denn Gewalt und Mord können nicht den Kurs der Menschheit führen.“ Mit Aram I., Katholikos von Kilikien, erklären wir: Die Vergangenheit lässt uns nicht los, bis sie wirklich aufgearbeitet ist. Schuld muss angenommen werden, die Wahrheit muss verkündet werden. Dieser schwere Schritt der Rückwendung zur eigenen Geschichte ist notwendig, um den Weg zur Vergebung zu öffnen, bittere Erinnerungen zu heilen und eine gemeinsame Zukunft zu gewinnen. Mit Mesrob II., dem armenischen Patriarchen von Istanbul und der ganzen Türkei, erinnern wir der Hunderttausenden armenischen Bürger, die ihr Leben auf dem Todesmarsch in die syrische Wüste verloren und Opfer menschenverachtender Angriffe wurden. Die Erinnerung an diese bitteren Erfahrungen lässt sich nicht auslöschen oder totschweigen.

Als Christen sehen wir unsere Aufgabe gerade darin, dafür Sorge zu tragen, dass die Wahrheit zum Zuge kommen kann. Dies ist nur möglich, wenn historische Ereignisse nicht verschwiegen oder geleugnet werden und beiden Seiten, Tätern wie Opfern, die Möglichkeit gegeben wird, Schuld und Verletzungen ohne Angst vor Repressionen auszusprechen. Dabei steht uns die schmerzvolle Erinnerung in der weltweiten Gemeinschaft überlebender Armenier an die Ereignisse vor Augen. Aber wir richten unseren Blick auch auf die Diskussion dieser Fragen in der türkischen Öffentlichkeit. Solange jedoch in der Türkei vor allem Wissenschaftler, Journalisten und Juristen mit Strafverfolgung rechnen müssen, wenn sie Dokumente, Analysen und Texte zu den Massakern von 1914/15 veröffentlichen, ist ein heilender Prozess, ist Versöhnung in der türkischen Gesellschaft unmöglich. Wir setzen uns für eine offene und vorurteilslose Erörterung dieser Geschehnisse ein, die den Opfern der damaligen Gewalthandlungen Gerechtigkeit widerfahren lässt.

Die Erklärung des Rates der EKD im Wortlaut