Religion und Gewalt: Terror und Terrorismus

Drei Jahre nach dem 11. September 2001

11. September 2004


Zum Jahrestag des 11. September schreibt der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber:

"Die Bilder aus Beslan gehen mir nicht aus dem Kopf. Drei Jahre nach den Anschlägen von New York und Washington am 11. September 2001 und ein halbes Jahr nach dem Attentat von Madrid am 11. März 2004 hat in der vergangenen Woche das Geiseldrama in der russischen Schule die Welt erschüttert. Was treibt Menschen dazu, dass ein grenzen- und gnadenloser Hass über Leichen geht, wie wurde die unheilige Globalisierung des Todes und der Vernichtung möglich? Welche Schritte sind nötig, um die Wiederholung solcher Taten zu verhindern und den Sumpf des internationalen Terrorismus auszutrocknen? Gewiss braucht man dafür politische Konsequenz, die Herrschaft des Rechts, gegebenenfalls auch die nötige Härte, es durchzusetzen. Aber das allein genügt nicht.

Für die Anschläge von New York und Madrid scheint sicher, dass religiöse Motive die Täter zu ihren schrecklichen Handlungen bewegten. Und auch in Beslan berufen sich die Terroristen auf den Islam. Religion kann zur Rechtfertigung von Gewalt missbraucht werden. Bevor wir als Christen diese Einsicht in voreiliger Weise mit einem Urteil über den Islam als Religion verbinden, sollten wir uns erinnern, dass im vergangenen Jahrtausend im Namen des Christentums Kriege geführt und Menschen getötet wurden. Die Christenheit ist von Schuld nicht frei. Umso mehr haben wir Grund, uns im Gespräch der Religionen um Klarheit zu bemühen.

"Das waren keine Muslime." So reagierte Raschid Chalikow, ein hochrangiger islamischer Geistlicher aus der Wolgaregion, auf das Geiseldrama in Beslan. Wer Kinder als Geiseln nimmt, wer Frauen Gewalt antut, wer Menschen zu Hunderten dem Tod ausliefert, kann sich dafür nicht auf Gott berufen, auf welchen auch immer. Was brauchen wir demnach, um aus der Spirale der Gewalt ausbrechen zu können? Nötig ist, dass die Religionen gemeinsam der Gewalt abschwören. Das geht freilich nicht ohne Kenntnis des Anderen. Wir brauchen gerade heute den Dialog der Kulturen und Religionen. Die Bereitschaft, Differenzen wahrzunehmen und auszuhalten. Den Mut, das Fremde und die Fremden als Gegenüber und nicht als Gegner zu sehen.

Religion kann der Legitimierung von Gewalt dienen. Aber sie kann der Gewalt auch widerstehen. Sie kann zu ihrer nachhaltigen Überwindung beitragen. Deshalb hat der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), am 4. Februar 2001 in Berlin eine "Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt" ausgerufen. Nach dem 11. September 2001, nach dem 11. März 2004 und nach den Ereignissen von Beslan ist dieses Bemühen noch dringlicher geworden. Denn es gibt Kräfte der Versöhnung und des Friedens im christlichen Glauben. Es gibt im Christentum eine Haltung, die lehrt, Differenzen auszuhalten und Fremdheit zu achten. Terror und Terrorismus fordern klare Antworten. Aber mit Krieg überwinden lassen sie sich nicht. Und sie dürfen die Ziele nicht entwerten, auf die es langfristig ankommt: internationales Recht und soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Toleranz, Wahrhaftigkeit und Nächstenliebe. Aus diesen Eckpunkten kann sich eine Achse des Friedens bilden, zu welcher der christliche Glaube Entscheidendes beizutragen hat."