"Ich bin ein Nuklearpazifist!"

Der EKD-Ratsvorsitzende über gerechten Krieg und Christentum

31. Oktober 2002


Bonn - Zum heutigen Reformationstag spricht sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Manfred Kock, für den Einsatz von militärischer Gewalt in bestimmten Situationen aus. Zudem beklagt er einen Trend der Säkularisierung in der Gesellschaft. Mit ihm sprach Gernot Facius (DIE WELT).

DIE WELT: Der Irak-Konflikt ist auch in Ihrer Kirche ein großes Thema. Kann man heute noch ruhigen Gewissens von einem "gerechten Krieg" sprechen?

Manfred Kock: Nein. Selbst wenn man von Krieg als einer Ultima Ratio ausgeht, einer äußersten Möglichkeit, um Schlimmeres zu verhüten, muss man erkennen: Es ist dann schon so viel verspielt worden, nicht nur bei dem potenziellen Gegner, sondern auch bei dem, der sich zu einem Krieg entschließt, dass man nicht von Gerechtigkeit reden kann. Es geht immer um ein Schuldigwerden. Die eigentliche Herausforderung liegt in der Beseitigung der Konfliktursachen - das ist dann das Bemühen um einen "gerechten Frieden". Das ist ein Lernprogramm, herauszufinden, wie man eingefleischte Gegensätze zu überwinden hilft.

DIE WELT: Nun wird Ihnen natürlich entgegengehalten: Was verstehen die Kirchen von taktischen oder strategischen Überlegungen. Stört Sie das?

Kock: Der Vorwurf relativiert sich leicht, wenn ich daran erinnere, dass unsere Verfassung einen Präventivkrieg verbietet. Das ist eine Frage des Grundsatzes, nicht der Taktik. Die amerikanische Politik, die den Begriff "Präventivkrieg" übernimmt, um das Regime im Irak abzuschaffen, hat sich auf Bedingungen eingelassen, die für unsere Rechtsordnung nicht akzeptabel sind. Die Sache sähe anders aus, wenn es mit einem UN-Mandat gelänge, Druck auf Bagdad auszuüben, um der Gefahr der Produktion von Massenvernichtungsmitteln zu entgehen.

DIE WELT: Sie sehen sich also nicht als Radikalpazifisten?

Kock: Auf keinen Fall. Nennen Sie mich einen Nuklearpazifisten! Ich bin der Meinung, dass man nicht mit Waffen drohen darf, die geeignet sind, nicht nur den Gegner, sondern alles drum herum, möglicherweise sich selbst zu zerstören. Prinzipiell kann ich mir durchaus Situationen vorstellen, in denen Gewalt angewendet werden muss, um Schlimmeres zu verhüten.

DIE WELT: Es gibt Christen, die die Frage Irak-Krieg oder nicht zu einer Bekenntnisfrage stilisieren möchten. Was antworten Sie ihnen?

Kock: Unser gemeinsames Bekenntnis sollte sein, eine Achse des Friedens zu schaffen. Dafür sollten wir uns um eine Anti-Armuts-Koalition bemühen. Wenn jemand in einer konkreten Situation meint, auch eine militärische Lösung ins Auge fassen zu müssen, dann sollten wir das nicht als einen Abfall vom Bekenntnis werten. Ich glaube nicht, dass es gut wäre zu sagen: Wenn du eine andere Position einnimmst als ich, dann kann ich nicht mehr dein Bruder, deine Schwester sein.

DIE WELT: Befürchten Sie durch einen Irak-Krieg Rückwirkungen auf das Verhältnis zu den Moslems, auch zu den Moslems in Deutschland?

Kock: Die Moslems hier zu Lande hoffen wie wir, dass es nicht zum Äußersten kommt. Die Frage ist allerdings auch für mich: Wird ein solcher Krieg die ohnehin schwierigen Verhältnisse zwischen Moslems und Christen in manchen arabischen Ländern noch weiter komplizieren? Was wird er für die Region bedeuten?

DIE WELT: Was ist im Dialog mit den Moslems bei uns falsch gelaufen, was war gut?

Kock: Gut sind die vielen nachbarschaftlichen Begegnungen. Dabei lernen auch wir Christen, wieder mehr von unserem Glauben zu entdecken; das ist wichtig für einen ehrlichen Dialog. In der Islamischen Charta, veröffentlicht vom Zentralrat der Muslime, gibt es Ansätze, an die sich positiv anknüpfen lässt. Die Frage bleibt natürlich, ob das Bekenntnis der Charta zum Grundgesetz und zu den Menschenrechten nur aus der Minderheitenposition heraus zu verstehen ist oder ob es grundsätzlichen Charakter hat. Hier müssen wir deutlicher fragen, als wir es in der Vergangenheit getan haben. Da muss noch von Seiten der islamischen Verbände Klarheit geschaffen werden. Und ich glaube, dass der Vorsitzende des Zentralrats, Nadeem Elyas, ein Mann ist, mit dem man darüber sprechen kann.

DIE WELT: Es gibt eine neue Bundesregierung. Befürchten Sie, dass es unter ihr zu einem weiteren Verlust des Christlichen kommt?

Kock: Wenn es einen solchen Verlust gibt, dann ist er sicher nicht durch eine wie immer farblich bestimmte Regierung verursacht worden - er hängt eher vom allgemeinen Prozess der Säkularisierung ab. Das darf uns nicht davon abhalten, uns Gehör zu verschaffen, wie wir unser Christsein in einem säkularisierten Staat und einer pluralen Gesellschaft leben. Und wir müssen uns von Fall zu Fall auch gegenüber der Regierung vernehmlich äußern.

DIE WELT: Wie würden Sie reagieren, sollte es zu einem neuen Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes kommen?

Kock: Wenn ein solches Gesetz darauf hinausliefe, dass die Kirchen ihre Arbeitsverhältnisse nicht mehr frei gestalten könnten, würden wir protestieren, dagegen Sturm laufen. Und wir hätten dabei Verbündete, etwa Gewerkschaften, Unternehmerverbände etc. Doch ich vermute, es wird nicht so schlimm kommen. Eine heikle Frage ist zweifellos, ob die sexuelle Orientierung eine Problematik darstellt: Kann man Menschen mit einer offen gelebten gleichgeschlechtlichen Partnerschaft im Dienst der Kirche tolerieren? Hier müssen die Kirchen schon das Recht haben, ihre Pastoren nach ihren eigenen Grundsätzen auszuwählen. Ob das allerdings auch für Krankenhausärzte oder Krankenschwestern durchgesetzt werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Was generell erreicht werden soll, dass zum Beispiel Frauen, Ausländer, Menschen mit anderer Hautfarbe nicht diskriminiert werden, das muss in die Gesetzgebung einfließen. Da ist die europäische Richtlinie ausreichend.

DIE WELT: Die Homo-Frage war in Ihrer rheinischen Kirche lange das große Thema. Immer noch?

Kock: Die Frage des kirchlichen Umgangs mit Homosexualität ist zwar nicht endgültig bereinigt, aber aufs Ganze gesehen wurde sie an den Rand gedrängt. Unsere Formel "Wir stimmen überein, dass wir nicht übereinstimmen" hat eine befriedigende Wirkung entfaltet. Andere Landeskirchen haben diese Debatte noch vor sich.

DIE WELT: War die Debatte nicht doch schädlich?

Kock: Sie hat viel Zeit gekostet. Aber es wurde auch wieder neu gefragt: Was bedeutet Ehe, auch theologisch? Welche Funktion hat sie? Wie kann man sie stabilisieren? Auf dem Umweg über ein Randthema näherte man sich wieder stärker dem Leitbild Ehe. Das nenne ich eine gute Entwicklung.

Quelle: Die Welt vom 31. Oktober 2002