Warum nicht? Einige Gründe, die gegen das reproduktive Klonen sprechen

Vizepräsident Dr. Hermann Barth, EKD

26. September 2002


Machen wir uns nichts vor: Eines Tages wird der erste geklonte Mensch geboren werden. Es gibt auf der Welt genügend Forscher und Ärzte, die - sei es aus vermeintlicher Menschenfreundlichkeit oder wissenschaftlicher Neugier oder unstillbarer Geltungssucht - an der Technik des reproduktiven Klonens von Menschen Interesse haben und arbeiten. Zwar sind vor einer Realisierung des Vorhabens noch erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass das gelingt. Für den Fall eines solchen "Erfolges" sollten wir uns schon heute über zwei Konsequenzen einig sein: Auch ein mit der Technik des reproduktiven Klonens erzeugtes Kind ist ein Mensch mit unantastbarer Würde. Der Widerstand gegen das reproduktive Klonen richtet sich gegen diejenigen, die diese Technik benutzen; an den Menschenkindern selbst, die unter Umständen mit dieser Technik erzeugt werden, haftet kein moralischer Makel. Aber - und das ist die zweite Konsequenz - wir müssen alles daransetzen, dass die mögliche Geburt geklonter Menschen der nicht gewollte Ausnahmefall bleibt; wir müssen uns ethisch, gesellschaftlich, politisch und juristisch darauf verständigen, aus freien Stücken und mit guten Gründen auf die Technik des reproduktiven Klonens beim Menschen zu verzichten.

Die Befürworter des reproduktiven Klonens nehmen gelegentlich, wenn ihnen der Widerstand besonders heftig entgegentritt, Zuflucht zu der Frage: Warum nicht? Es ist dies in neuer Verkleidung die alte Frage der Schlange aus der biblischen Paradiesgeschichte: "Sollte Gott gesagt haben ... ?" (1. Mose 3,1) Wer sagt denn, dass wir es nicht tun sollen? Mit Fragen nach diesem Muster wird der Widerstand gegen das reproduktive Klonen in die Ecke der political and moral correctness gedrängt. Ehe man sich's versieht, ist die Begründungspflicht vertauscht, und man findet sich in der Defensive. Begründungspflichtig sind in einem Fall wie dem reproduktiven Klonen aber diejenigen, die eine neue Technik mit weittragenden Folgen nutzen wollen. Die bloße Frage Warum nicht? - also die Lust daran, aus einem allgemeinen Einverständnis auszubrechen und es versuchsweise ganz anders zu machen - ist noch keine Begründung.

Es werden allerdings durchaus Gründe für die Anwendung des reproduktiven Klonens beim Menschen genannt, etwa Hoffnungen auf neue therapeutische Möglichkeiten mit genetisch identischem Zellmaterial. Deshalb hat es einen guten Sinn, sich derjenigen Gründe zu vergewissern, die nach wie vor gegen das reproduktive Klonen beim Menschen sprechen. Es sind vor allem vier Gründe:

1. Ob ein geklonter Mensch dieselben körperlichen Eigenschaften haben würde wie der durch die Befruchtung einer Eizelle entstandene Mensch, ist außerordentlich unsicher. So gibt es Indizien dafür, dass geklonte Lebewesen deutlich schneller altern als andere.

2. Die Entwicklung neuer Methoden in Medizin und Biologie ist, wie die Erfahrung lehrt, mit vielen Experimenten und Fehlversuchen verbunden. Bevor vor gut 20 Jahren das erste extrakorporal gezeugte Kind geboren wurde, haben 283 nicht erfolgreiche Versuche stattgefunden. Eine ähnlich hohe Rate war nötig, um das geklonte Schaf "Dolly" zu produzieren. Es mag noch hingehen, wenn bei genetischen Veränderungen von Pflanzen Fehlschläge auftreten. Die Sache wird schon problematischer, wenn bei Tieren die genetische Veränderung nicht gelingt und Fehlbildungen auftreten. Ethisch unerträglich wäre es jedoch, wenn in der unvermeidlichen Experimentalphase bei der Herstellung geklonter Menschen Ergebnisse zustande kämen, die die menschliche Identität und Lebensfähigkeit beeinträchtigen. Auf der Grundlage eines zivilisierten Verständnisses des Menschen kann es keine sozusagen fehlgeschlagenen Menschen geben. Sie experimentell in Kauf zu nehmen, gewissermaßen menschlichen "Ausschuss" zu produzieren ist ein monströser Gedanke.

3. Wenn das reproduktive Klonen eingesetzt würde, um Eltern Kinder nach Maß zu verschaffen, wäre der so erzeugte Mensch zugleich Kind und genetischer Zwilling eines seiner beiden Elternteile, während er mit dem anderen Elternteil biologisch nicht verwandt wäre. Für das Selbstverständnis und die soziale Rolle eines so entstandenen Kindes müsste man mit gravierenden Problemen rechnen.

4. Wo das reproduktive Klonen aufgrund therapeutischer Absichten angewandt würde, käme man in Konflikt mit einem tragenden Element unseres bisherigen Verständnisses des Menschen. Danach verbietet es die Würde des menschlichen Lebens, dass es bloß als Material und Mittel zu anderen - und seien sie noch so gewichtiger therapeutischer Art - Zwecken genutzt wird.

In der neueren bioethischen Debatte gibt es eine ganze Reihe von Fragestellungen, bei denen Politik, Ethik, auch Theologie und Kirche uneins, ja tief zerstritten sind. Für die Frage des reproduktiven Klonens beim Menschen gilt das nicht. Der jüngst erschienene Beitrag der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD, der unter dem Titel "Im Geist der Liebe mit dem Leben umgehen" eine "Argumentationshilfe für aktuelle medizin- und bioethische Fragen" (EKD-Texte 71) bietet, macht dies für den Bereich der evangelischen Theologie und Kirche in erfreulicher Weise deutlich. Im Blick auf die Nutzung embryonaler Stammzellen oder die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik konnte der Dissens in der Kammer nicht überbrückt werden. Die klare Ablehnung des reproduktiven Klonens zählt hingegen zu denjenigen Überzeugungen, die im Schlusskapitel als "Gemeinsamkeiten trotz bestehender Dissense" herausgestellt werden.

In der Ablehnung des reproduktiven Klonens gibt es - weit über den Bereich der evangelischen Kirche hinaus - in Deutschland eine breite Übereinstimmung. Nicht anders ist es in zahlreichen anderen Ländern, gerade in der europäischen Nachbarschaft. Diese Situation muss genutzt werden, um - über gemeinsame ethische Überzeugungen hinaus - auch rechtliche Dämme gegen die Anwendung des reproduktiven Klonens beim Menschen zu errichten. Erfolgreich ist dies bereits im Rahmen des "Übereinkommens des Europarats zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin", das früher unter dem Namen "Bioethik-Konvention" lief, geschehen. Das Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen ist 2001 in Kraft getreten. Neuerdings haben die deutsche und die französische Regierung gemeinsam eine Initiative ergriffen, um auf der Ebene der Vereinten Nationen zu einer weltweiten Konvention zum Verbot des reproduktiven Klonens von Menschen zu gelangen. Ein Ausschuss der Generalversammlung hat die deutsch-französische Initiative im vergangenen Jahr bereits positiv aufgenommen. Derzeit geht es darum, in einem Sonderausschuss die eigentliche Verhandlung über eine weltweite Konvention vorzubereiten. Man kann diesem Vorhaben nur aus ganzem Herzen Erfolg wünschen.