Kock warnt vor Aufgabe der Freiheit im Kampf gegen den Terror

EKD-Ratsvorsitzender: Angriff auf den Irak wäre Katastrophe

21. August 2002


Düsseldorf (epd). Zum Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 hat der EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock davor gewarnt, im Kampf gegen den Terror die Freiheitlichkeit aufzugeben. Ein Angriff der USA auf den irakischen Diktator Saddam Hussein wäre eine Katastrophe, sagte Kock in einem epd-Interview in Düsseldorf. Mit dem rheinischen Präses sprach Thomas Schiller in Düsseldorf.

epd: Was verbinden Sie mit dem Datum des 11. September 2001?

Kock: Ich habe die Fernsehbilder im Büro verfolgt, und ich hatte so etwas in meinem Leben nie zuvor erlebt: als Zuschauer da zu sitzen und sich klar zu machen: Das ist keine Fiktion, sondern Realität. Diese Bilder werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Im Bewusstsein vieler Menschen ist der 11. September eine Zäsur. Terroristische Gewaltakte werden von einer fundamentalistischen Strömung des Islam als ein Kampf der Kulturen geführt. Er richtet sich gegen die westliche Gesellschaft, welche die Terroristen mit jüdisch-christlicher Religion identifizieren. Nötig ist darum ein offener, tiefer Dialog der Kulturen, aber kein «Kampf der Kulturen» der immer tiefer in die Abgründe der Gewalt führt. Dieser Dialog muss Zusammenleben und Kooperation ermöglichen. Dazu bedarf es einer realen Sicht des Islam, nicht einer beschönigenden.

epd: Was würde ein Krieg gegen den Irak bedeuten?

Kock: Ein Krieg gegen den Irak - erst recht ohne UN-Mandat - wäre ein Rückschlag für den gesamten Mittleren Osten. Ich halte es für eine Illusion, dass man dadurch Saddam Hussein auf Dauer davon abhalten könnte, schreckliche Waffen zu entwickeln. Einen Krieg zu beginnen, nur um die irakische Regierung abzulösen, wäre eine Katastrophe, vor allem für die irakische Bevölkerung.

epd: Von einer «Achse des Bösen» zu sprechen, hat eine religiöse Dimension. Was halten Sie als Theologe davon?

Kock: Wir brauchen nicht die Beschwörung einer «Achse des Bösen», wir brauchen eine Achse des Friedens, damit der Wagen dieser Welt nicht immer schneller auf die chaotische Gewalt eines globalen Krieges zu rast. Ich halte Begriffe wie «Heiliger Krieg» oder «Kreuzzug» für eine unerträgliche sprachliche Form des Umgangs mit Konflikten. Die «Achse des Bösen» ist ja ein im Grunde apokalyptischer Begriff. Ähnliche Bilder in der Heiligen Schrift sind immer wieder benutzt worden zur Rechtfertigung von Gewalttaten. Der Weg Jesu ist ein anderer.

epd: Der von Ihnen geäußerte Zweifel an der Richtigkeit eines Militäreinsatzes in Afghanistan wuchs mit dessen Dauer.

Kock: Mir ist nach wie vor nicht klar, ob das, was mit diesem Krieg erreicht werden sollte, auch erreicht ist. El Kaida ist aus Afghanistan vielleicht verschwunden, aber wohin? Die Aktion hat dem Land eine höchst ungewisse Ruhe verschafft. Es bedarf jetzt des Wiederaufbaus. Mein Zweifel wird dadurch genährt, dass nur ein Bruchteil der zugesagten internationalen Hilfe bislang in das Land geflossen ist. Die ethnischen Gruppen im Land, die man in das Bündnis einbeziehen musste, um den militärischen Sieg zu erringen, sind ja keineswegs alle so friedliebend und demokratisch, wie wir es als Voraussetzung für einen solchen Aufbau erhofft haben.

epd: In die Allianz gegen den Terror sind auch Staaten eingebunden worden, die ihrerseits Minderheiten unterdrücken. Dass von diesen Regierungen Freiheitsbewegungen pauschal als Terroristen gebrandmarkt werden, wird vom Westen hingenommen - beispielsweise in Tschetschenien. Geht die Bildung des Anti-Terror-Bündnisses an dieser Stelle zu weit?

Kock: Es ist immer das Problem, zu beurteilen, was Terror und was Freiheitskampf ist. Mir ist allerdings wichtig, dass wir uns angesichts der tatsächlichen Bedrohung durch den Terrorismus nicht in völliger Sicherheit wiegen dürfen. Es darf nicht genau das an Freiheitlichkeit aufgegeben werden, was wir verteidigenswert finden. Die Frage steht vor uns: Wie viel Sicherheit braucht die Freiheit? Und wenn die Sicherheit so groß ist, dass es keine Freiheit mehr gibt, hat es sich nicht gelohnt, für die Freiheit nach Sicherheit zu suchen.

Die Haftbedingungen der mehreren hundert Gefangenen auf dem kubanischen US-Stützpunkt Guantánamo, die unter dem Vorwurf der El-Kaida-Zugehörigkeit ohne Gerichtsverfahren festgehalten werden, sind willkürliche Einschränkungen des internationalen Rechts.

Für unser Land wünsche ich mir, dass beispielsweise Abhöraktionen auf einen Umfang beschränkt werden, der die Privatheit des Privaten weiter gewährleistet. Aber eine maximale Sicherheit gegenüber dem Terrorismus gibt es nur in einem absoluten Polizeistaat, und den können wir nicht wollen. Deshalb müssen wir mit einem gewissen Risiko leben.

epd: Was ist geblieben von dem Zusammenrücken und der Religiosität der Gesellschaft in den Tagen nach dem 11. September?

Kock: Menschen haben eine Ahnung davon bewahrt, dass nicht nur wichtig ist, was man zählen und bezahlen kann, sondern dass es etwas darüber hinaus gibt. Das ist bei einem Ereignis wie dem 11. September ins Bewusstsein gerückt, und die Menschen haben von dem Angebot Gebrauch gemacht, in der Kirche etwas zu suchen, was sie sonst nirgendwo finden, nämlich Worte und Rituale, die helfen, das Unfassbare zu benennen und Trost zu finden. Dass es etwas wie Solidarität gibt, dass man zusammen gehört, das wird in schweren Tagen deutlicher bewusst.

epd: Sind in der deutschen Bevölkerung anti-islamische Ressentiments gestiegen?

Kock: Es gibt eine gewisse Skepsis darüber, ob der Islam in unserem Land auf Dauer auch friedlich bleibt. Auch säkularisierte Muslime, die gegenüber den radikalen Kräften in ihrer eigenen Religion kritisch sind, warnen davor, diese zu unterschätzen.

epd: Hat sich aus den Kontakten, die unmittelbar nach dem 11. September zu den islamischen Spitzenverbänden in Deutschland geknüpft worden sind, ein regelmäßiger Dialog entwickelt?

Kock: Der Dialog hat sich weiterentwickelt und findet auf verschiedenen Ebenen statt. Auch unter den Muslimen in unserem Land haben wir eine deutlich gestiegene Bereitschaft, Dialoge zu führen. Auf der Ebene von Gemeinden finden vernünftige Begegnungen statt. Auf diese Alltagszusammenarbeit kommt es an. Was schwierig ist: dass man beim Islam nicht genau weiß, wer eigentlich für wen spricht.

Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd)