Bericht der "Hartz-Kommission"

Grusswort des Präsidenten der Ev. Akademie zu Berlin

16. August 2002


Nach der offiziellen Übergabe des Abschlußberichts der Reformkommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ („Hartz-Kommission“) im Bundeskanzleramt ist dieser Bericht auf Einladung der Evangelischen Akademie zu Berlin am 16. August 2002 in deren Tagungsstätte in der Französischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt mit 500 geladenen Gästen diskutiert worden. Die Veranstaltung begann mit dem nachfolgenden Grußwort des Akademiepräsidenten Professor Robert Leicht:

Es ist mir als Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin eine Ehre und Freude, Sie zur öffentlichen Darstellung Ihres Kommissionsberichts in unserem Haus willkommen zu heißen.

Was eine Evangelische Akademie ist, das wissen Sie alle. Deshalb nur ganz wenige Worte zur Besonderheit dieser Evangelischen Akademie zu Berlin. Zum einen wird sie nicht nur durch die - sozusagen territorial zuständige - Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg getragen, sondern zu gleichen Teilen auch von der Evangelischen Kirche in Deutschland insgesamt, sozusagen eine Akademie für die ganze Nation. Zudem eine Akademie, die nicht in der landschaftliche Idylle arbeitet, sondern im Zentrum unserer Politik, hier auf dem Gendarmenmarkt, hier - in dieser Französischen Friedrichstadtkirche, in diesem Monument protestantisch-preußischer Toleranz und Zuwanderungspolitik.

Etwas näher will ich aber begründen, weshalb ich die „Hartz-Kommission“ ausdrücklich eingeladen habe, ihre Ergebnisse an dieser Stelle zu präsentieren. Doch nicht deshalb, um – wie es in manchen, vom Wahlkampf aufgeregten Presseberichten gelautet hatte - ein Hochamt zu feiern. Hochämter feiern Protestanten ohnehin nicht. Aber eine Evangelische Akademie führt, fördert und unterstützt aus protestantischer Weltverantwortung den produktiven Streit über den richtigen Weg unseres Gemeinwesens.

Aus dieser Sicht gibt es nun zwei bedeutsame Berührungspunkte zwischen unserer Akademie und Ihrer Kommission. Das ist zum ein konzentriertes sachliches Interesse, das ist zum anderen – was sie vielleicht überraschen mag - eine weitläufige funktionelle Verwandtschaft.

Die protestantische Arbeitsethik lässt sich in zwei Sätzen praktisch zusammenfassen. Zum einen: Jeder der arbeiten kann, soll auch arbeiten - aus seiner Verantwortung für sich, für seine Nächsten und das ganze Gemeinwesen. Zum anderen: Das Gemeinwesen hat sich aber auch so zu organisieren, dass jeder, der darin arbeiten will, auch arbeiten kann; dies folgt aus der  Verantwortung für jeden Einzelnen - und aus der Verantwortung für alle anderen. Eine Gesellschaft, in der viele Menschen auf Dauer vom selbsttätigen Erwerb ihres Unterhalts und ihres staatsbürgerlichen Selbstbewusstseins ausgeschlossen sind, kann keine gerechte Gesellschaft sein.

Wenn ich es recht verstehe, hat Ihre Kommission nach Wegen gesucht, wie wir dieser Doppelforderung endlich etwas besser gerecht werden können.

Wer wollte, konnte dazu schon manches lesen im Gemeinsamen Wort der beiden Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage aus dem Jahr 1994 – vielleicht nicht im operativen Detail, sehr wohl aber in der sozial-ethischen Fundierung. Dieses Gemeinsame Wort ist seinerzeit überaus gründlich gelobt worden - gefolgt ist daraus noch nicht so viel. Ich nehme die Tatsache, dass die Ergebnisse der Hartz-Kommission schon kritisiert werden, bevor sie recht vorgestellt worden sind, einmal als gutes Omen dafür, dass ihnen im Gegenzug in der praktischen Politik ein Mehr an Konkretisierung folgen wird.

Unsere Kirche wird gut daran tun, die Ergebnisse gründlich zu lesen und zu wägen, bevor sie sich dazu eingehend äußert.

In diesem Zusammenhang möchte ich die Kommission ausdrücklich und herzlich dazu einladen, gemeinsam mit unserer Akademie - hier an dieser Stelle - möglichst bald eine vertiefende und weiterführende Tagung zu veranstalten, konstruktiv und kontrovers. Der Wahlkampf hört ja irgendwann auf, das Thema aber brennt uns weiter auf den Nägeln.
Übrigens: Was den Wahlkampf sowie die Stellung dieser unabhängigen Kommission im Gedränge angeht, sind wir gewiss nicht blind. Übrigens auch nicht so blind, dass wir nicht sähen, welche konkreten Vorschlägen zum einen programmatischen Forderungen der Opposition entsprechen und zum anderen Vorstellungen der Regierungsparteien und der Gewerkschaften im Magen liegen.

Nun aber zur weitläufigen Verwandtschaft zwischen unserer Akademie und Ihrer Kommission:

Akademien und unabhängige Kommissionen haben - als Zukunftswerkstätten - nicht zuletzt die Aufgabe, der Politik neues Gelände zu roden - vor allem dort, wo sie sich im Unterholz der Interessen und Besitzstände ratlos, manchmal sogar: rastlos und restlos festgefahren hat.

Aus meiner Erfahrung in der Kirche und in der Akademie weiß ich: Zuweilen sind unsere Gremien in der Summe weniger mutig und profiliert als die einzelnen Mitglieder. Mitunter nehmen wir der Politik zu früh die Aufgabe ab, sich mit unseren unverkürzt formulierten Einsichten auseinander zu setzen - und selber in eigener, öffentlich zu begründender Verantwortung zu sagen, was sie davon umsetzen will und was nicht. Wenn Sie in der Arbeit Ihrer Kommission zuweilen ähnliche Erfahrungen gemacht haben sollten, wäre das nur ein Verwandtschaftsgrad mehr - und ein Grund mehr, einmal gemeinsam an diesem harten Holz weiter zu bohren.

Meine Damen und Herren,

- ich danke Ihnen also dafür, dass Sie unserer ersten Einladung gefolgt sind - und hoffe dass Sie die nächste gleich annehmen werden.

- ich wünsche Ihren Ergebnissen ein faires und darin auch kritisches, weiterführendes Echo sowie das mögliche Maximum an praktischer Umsetzung im Interesse all derer, die in diesem Land Arbeit suchen und

- ich heiße Sie nochmals herzlich willkommen.

Evangelische Akademie zu Berlin