"Glaubenszeuge und theologischer Anreger"

Der EKD-Ratsvorsitzende im epd-Interview über den Theologen und Widerstandskämpfer Bonhoeffer

29. März 2005


Frankfurt a.M./Berlin (epd). Am 9. April jährt sich zum 60. Mal der Todestag des evangelischen Theologen und Nazi-Gegners Dietrich Bonhoeffer (1906-1945). Er wurde im Konzentrationslager Flossenbürg nördlich von Regensburg erhängt, weil er sich am Widerstand gegen Hitler beteiligt hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Bonhoeffer durch seine Bücher und Briefe zu einem der bekanntesten und am meisten zitierten Theologen in Deutschland. Über Bonhoeffers Bedeutung heute sprachen Thomas Schiller und Michael Grau mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dem Berliner Bischof Wolfgang Huber.

epd: In Ihrem Amtszimmer steht eine Büste von Dietrich Bonhoeffer. Was fasziniert Sie an ihm?

Huber: An Dietrich Bonhoeffer fasziniert mich der innere Zusammenhang zwischen Lebensgeschichte und Theologie: die Verbindung zwischen einem Lebenslauf, der ihn zu einem Glaubenszeugen in einem besonderen Sinne des Wortes gemacht hat, und einem theologischen Werk, das auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch sehr viel an Anregungspotenzial und Orientierungskraft enthält.

epd: Ab wann hat der Theologe Bonhoeffer angefangen, politisch zu denken?

Huber: Es gibt ein Zeugnis von Dietrich Bonhoeffer, in dem er deutlich macht, dass er 1932 die Bergpredigt in einer Weise entdeckt hat, wie er sie vorher noch nie entdeckt hatte. Auf diese Verpflichtung der Bergpredigt zu Frieden und Gerechtigkeit führt er seine klare und geradlinige politische Haltung zurück. Das bedeutet nicht, dass er erst im Alter von 26 Jahren angefangen hätte, politisch zu denken. Seine Grundorientierung an Freiheit und Menschenwürde stammt aus seiner vom Bildungsbürgertum geprägten Familie. Aber durch die Begegnung mit der Bergpredigt hat sie ihre Zuspitzung und Klarheit gefunden. Dies hat ganz gewiss dazu beigetragen, dass Dietrich Bonhoeffer im Jahre 1933 zu den ersten gehörte, die diagnostiziert haben, was mit der Übergabe der Macht in Deutschland an die Nazis passiert ist.

epd: War Bonhoeffer gegen NS-Gedankengut und Antisemitismus völlig immun?

Huber: Der Antisemitismus war ihm vollkommen fremd. Dass er dagegen immun war, bedeutet freilich nicht, dass er vollkommen frei gewesen wäre von den antijüdischen Denkmustern, die die evangelische Theologie insgesamt über Jahrhunderte geprägt haben und sie auch anfällig gemacht haben für Antisemitismus. Bonhoeffers eigene Haltung kommt erschöpfend in dem Satz zum Ausdruck: «Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.»

epd: Bonhoeffer hat schon in jungen Jahren Auslandserfahrungen gesammelt. Er hat in Spanien und den USA gelebt und war für die Ökumene unterwegs. Hat dieser Blick seine Position gefestigt?

Huber: Einerseits hat er die Verpflichtung auf den Frieden zwischen den Völkern zum Leitfaden auch seines persönlichen Handelns vor der Nazi-Zeit gemacht. Er hat im «Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen» gearbeitet und sich dort verankert. Auf der anderen Seite hat er sich Deutschland so verpflichtet gewusst, dass er in der wirklich lebensbewegenden historischen Entscheidung von 1939 aus den USA, wo er auch hätte bleiben können, nach Deutschland zurückgekehrt ist. Er tat dies, um sich am Widerstand zu beteiligen, um zur Verfügung zu stehen für den Aufbau eines anderen Deutschland nach dem von ihm erhofften Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes.

epd: Diese Entscheidung hat er mit dem Leben bezahlt. War sie aus heutiger Sicht falsch?

Huber: Nein, das ist eine Entscheidung gewesen, bei der jeder sich fragen muss: Wärst Du zu vergleichbarem Mut imstande gewesen? Und bist Du eigentlich bei den wesentlich kleineren Entscheidungen, die Du zu treffen hast, wenigstens entfernt so mutig?

epd: Ab wann darf ein Pastor zu gewaltsamem Widerstand bis hin zum Tyrannenmord aufrufen?

Huber: Aufgerufen hat Dietrich Bonhoeffer zum aktiven Widerstand nicht. Er hat sich an ihm beteiligt. Er hat die Gewissensqual seiner Mitverschwörer mitgetragen und ihnen dadurch einen Weg gewiesen, dass er auf das Phänomen der Schuldübernahme aufmerksam geworden ist und gemerkt hat: Es gibt extreme Situationen persönlicher Verantwortung, in denen es nicht darum gehen kann, wie ich selber schuldlos aus der Affäre komme, sondern darum, wie eine künftige Generation leben kann.

epd: Wie wichtig war Bonhoeffers Martyrium für die evangelische Kirche, um nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Identität zu finden?

Huber: Manche haben sich mit Dietrich Bonhoeffers Tod genauso schwer getan wie mit anderen Blutzeugen des Nationalsozialismus. Der Einwand hieß auch in Bonhoeffers Fall, er sei ja nicht als ein Glaubenszeuge gestorben, sondern als politischer Widerstandskämpfer. Die Kirche hat sogar eine Zeit lang die Neigung gehabt, sich dazu in Distanz zu begeben. Erst die Veröffentlichung der Briefe aus dem Gefängnis in dem Buch «Widerstand und Ergebung» und die Veröffentlichung der Ethik-Manuskripte haben den Durchbruch herbeigeführt und Bonhoeffer zu einer größeren Wirkung verholfen.

epd: Ist Bonhoeffer ein evangelischer Heiliger?

Huber: Das Augsburgische Bekenntnis von 1530 hat zwar - als grundlegendes Bekenntnisdokument unserer Kirche - die «Anrufung der Heiligen» abgelehnt, aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Vorbild im Glauben für uns wichtig und für unseren Glauben förderlich ist. Wir sollen der Heiligen gedenken, heißt es da, «damit wir so wie sie glauben und Gutes tun unserem besonderen Auftrag gemäß». In genau diesem Sinn ist Dietrich Bonhoeffer ein «evangelischer Heiliger», übrigens nicht nur für Christen in Deutschland, sondern in der ganzen Welt.

Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd)