OSTERN / Christen feiern Tod und Auferstehung Jesu. Daraus erwachsen unmittelbar politische Konsequenzen

Das Leben ist stärker - Zuversicht muss jetzt wieder Boden gewinnen

24. März 2005


Wirtschaftliche Reformbereitschaft gehört ebenso dazu wie ein würdiger Umgang mit dem Sterben.

Von: WOLFGANG HUBER

Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden.“ Der Osterruf der biblischen Urgemeinde hallt ungebrochen in die heutige Welt. Er lässt sich von Schreckensmeldungen und persönlichen Schicksalsschlägen nicht aufhalten, sondern nimmt uns mit hinein in eine Hoffnung, die größer ist als aller Schrecken. In diesem umfassenden Sinn ist Ostern das Fest des Lebens, die klare Antwort Gottes auf unsere Angst vor Tod und Verderben. Der Osterruf ist der Pulsschlag unseres Glaubens und der Grund einer Zukunftshoffnung.

Christen feiern mit der Auferstehung Christi die Überwindung des Todes. Dem Tod ist die letzte Macht genommen. Das ist der Horizont, innerhalb dessen sie alles Geschehen wahrnehmen. Unser endliches und sterbliches Leben erscheint in dieser Perspektive als ein kostbares Geschenk, dem mit Achtung zu begegnen ist. Deshalb dürfen wir über dieses Leben nicht willkürlich verfügen – weder an seinem Beginn noch an seinem Ende. Fürsprache und Fürsorge für das menschliche Leben von seinem Anfang an und das Eintreten für ein Sterben in Würde statt eines eigenmächtig herbeigeführten Todes ergeben sich daraus, dass wir das endliche Leben der Menschen aus der Perspektive der Auferstehungsbotschaft betrachten.

Unter den Fragen, die sich einer Ethik des Lebens heute stellen, bewegt die Frage nach dem Umgang mit dem Sterben derzeit viele Menschen. Einerseits verdrängt oder mit den Mitteln der medizinischen Technik herausgeschoben, wird der Tod andererseits herbeigesehnt oder gar durch aktive Sterbehilfe herbeigeführt. Christen, die sich zu der Auferweckung Jesu von den Toten bekennen, sind bereit, das Sterben als einen Teil des Lebens anzunehmen. Die Entwicklungen im Bereich der modernen Medizin konfrontieren uns mit neuen ethischen Fragen: Muss Leben unter allen Umständen erhalten und verlängert werden? Wann darf ein Mensch sterben? Gibt es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben? Derzeit werden diese Fragen öffentlich diskutiert und beschäftigen anlässlich des Streits zwischen Eltern und Ehemann um den Umgang mit der seit 15 Jahren im Koma liegenden Terri Schiavo alle juristischen Instanzen: Muss Leben unter allen Umständen erhalten und verlängert werden?

Über Patientenverfügungen und die Gestaltung des Lebensendes wird erneut intensiv diskutiert. In der alttestamentlichen Weisheit des Predigers Salomo heißt es dazu: „Sterben hat seine Zeit“ (Prediger 3,2). An dieses Leitwort hält sich eine Stellungnahme, mit der die Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland gerade ethische Leitlinien für den Umgang mit diesem Thema vorgelegt hat. Die Zeit des Sterbens ist nach biblischer Sicht nicht in die Verfügung des Menschen gegeben; vielmehr bestimmt Gott allen Dingen ihre Zeit. Der Mensch steht vor der Aufgabe, zu erkennen und zu wissen, wann was an der Zeit ist. Das kann für die Situation der Einwilligungsunfähigkeit vorausschauend durch eine Vorsorgevollmacht oder eine Patientenverfügung geschehen.

Solche Verfügungen können die Erkenntnis zum Ausdruck bringen, dass auch dem Sterben seine Zeit gesetzt ist, in der es gilt, den Tod zuzulassen und seinem Kommen nichts mehr entgegenzusetzen. Diese Erkenntnis kann niemand stellvertretend für einen anderen haben. Jeder muss sie für sich selbst gewinnen und vor Gott verantworten. Eine Patientenverfügung kann eine Form sein, in der ein Mensch darüber Auskunft gibt.

Das Sterben eines Menschen lässt sich aber nicht planen. Und die Erfahrung zeigt, dass auch durch eine Patientenverfügung das Sterben nicht in allen Einzelheiten geregelt werden kann. Deshalb ist daran zu erinnern, dass in das Sterben des Einzelnen immer andere Menschen eingebunden sind: Angehörige, Freunde, Pflegende, Ärzte und Seelsorger. Darin zeigt sich auch und gerade für diese Lebensphase, dass Selbstbestimmung auf Fürsorge angewiesen ist, so wie die Fürsorge die Selbstbestimmung eines Patienten zu achten und ihr so weit wie möglich zu folgen hat. Insofern durchdringen und bedingen sich Selbstbestimmung und Fürsorge auch im Blick auf das Lebensende gegenseitig.

Doch eine Nötigung dazu, eine solche Verfügung vorzunehmen, darf nicht ausgesprochen werden. In dem Vorhaben einer gesetzlichen Regelung liegt deshalb auch eine Gefahr. Denn manche mögen denken, wenn etwas erst gesetzlich geregelt sei, werde es dadurch auch zum Regelfall. Aber der Beschäftigung mit der Endlichkeit des eigenen Lebens sollte kein Christ ausweichen. Ostern ermutigt dazu, sich den Fragen der eigenen Endlichkeit zu stellen. Denn unser endliches Leben steht unter einer Verheißung, die am Tod nicht zerbricht. Jedes einzelne menschliche Leben weiß der Glaube geborgen in Gott; jedem einzelnen menschlichen Leben gilt die Verheißung der Auferstehung. Diese Hoffnungsperspektive hat in der Auferweckung Jesu ihren Anker.

Das Licht der Auferstehungsbotschaft reicht, so weit wir denken können. Niemand ist davon ausgeschlossen. Es leuchtet auch für die Menschen, die unter der Endlichkeit ihres Lebens leiden, weil schwere Krankheit sie betroffen hat, derentwegen sie auf den Tod warten. Es leuchtet ebenso für die Menschen, die sich ausgeschlossen fühlen, weil sie zu den vielen gehören, die keinen Arbeitsplatz finden, obwohl sie sich darum bemühen. So direkt muss heute die Osterbotschaft verkündet werden, dass die einen wie die andern wissen: Sie sind gemeint.

Wenn jetzt die Christenheit Ostern feiert, dann erreicht uns das Licht des Ostermorgens. Die Sorgen auf dem Weg zu diesem Osterfest werden nun zurechtgerückt. Persönliche Zukunftsängste, wirtschaftliche Sorgen, der Streit um die Reformfähigkeit unseres Landes, die Angst vor Terror und Krieg sind keine Gründe zur Verzagtheit. Wer dem Gott vertraut, der neues Leben schafft, kann auch sich selbst etwas zutrauen. Wer vom Licht des Ostermorgens herkommt, braucht nicht alles grau zu malen. Wer den Neubeginn dieses Tages wahrnimmt, kann gar nicht darauf beharren, dass alles so bleibt, wie es ist. Als Kirche treten wir deshalb dafür ein, dass die Zuversicht wieder an Boden gewinnt. Die Osterfreude ist dafür eine entscheidende Quelle. Sie kann in uns und um uns Raum greifen, indem wir einstimmen in den Osterjubel der Jünger Jesu: „Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden!“

Unser Autor ist Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

Quelle: Rheinischer Merkur vom 24. März 2005