Huber: Miteinander der Generationen hat Priorität für Gesellschaft

EKD-Ratsvorsitzender kritisiert «zum Teil maßlose» Spitzengehälter

11. Februar 2004


Berlin (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, will die Auswirkungen des Alterswandels für Kirche und Gesellschaft ins Zentrum der politischen Debatte rücken. Nach den ersten 100 Tagen im Amt bezog der Theologieprofessor im epd-Interview (vom 10. Februar 2004) auch Position zum kirchlichen Reformprozess, zum Kopftuchstreit und zu hohen Manager-Gehältern in Zeiten der Arbeitslosigkeit. Die Fragen stellte Thomas Schiller.

epd: Welche Arbeitsschwerpunkte stehen im neuen Jahr an?

Huber: Ich stelle die Auswirkungen des Alterswandels für Kirche und Gesellschaft ins Zentrum. Und die Frage nach dem künftigen Miteinander der Generationen muss auch die Beiträge bestimmen, die wir zum gesellschaftlichen Dialog und zur politischen Debatte leisten. Dabei wird auch im Jahr 2004 die Reformdebatte im Vordergrund stehen. Mut zu Reformen zu machen und dabei Mund der Stummen und Anwalt der Schwachen zu sein, ist gerade in diesem Jahr ein Arbeitsschwerpunkt.

epd: Sie waren als Ratsvorsitzender in den ersten Wochen stark in den Medien präsent und haben mehrfach zu aktuellen Fragen Stellung genommen. Sind Ihre Interventionen zur Tagespolitik auf Gehör gestoßen?

Huber: Wir werden sehr aufmerksam gehört - und zwar nicht nur dann, wenn wir öffentlich Stellung nehmen, sondern erst recht im unmittelbaren Gespräch. Aber dass wir gehört werden, bedeutet nicht, dass unsere Vorschläge «eins zu eins umgesetzt» werden. Nicht in allen Themen gelingt es, zur Übereinstimmung zu kommen. Das zeigt sich in so wichtigen Debatten wie der Reformdiskussion oder der Diskussion über die rechtliche Regelung der Zuwanderung und das Asylrecht.

epd: In der Bildungspolitik haben sich die Sozialdemokraten - für viele überraschend eindeutig - für den Ausbau von Universitäten zu Elite-Hochschulen ausgesprochen. Sehen Sie darin eine Chance zur Überwindung des Reformstaus oder das Risiko gesellschaftlicher Risse?

Huber: Meine Frage ist vor allem, ob auf diesem Weg die nötige Steigerung in der Qualität der deutschen Hochschulausbildung wirklich erreicht werden kann. Denn dabei geht es im Kern doch um die Frage, ob Studierende in Deutschland einen ausreichend ausgestatteten Studienplatz mit der dazu gehörenden Lehre und individuellen Förderung vorfinden. Nur wenn das im Allgemeinen gesichert ist, kann es einen edlen Wettstreit der Hochschulen darum geben, wer die Elite von morgen ausbildet. Dabei wünsche ich mir freilich, dass von Elite im Sinn einer Verantwortungselite die Rede ist - also jenseits von Standesdünkel oder Besitzstandsdenken. Der gleiche Zugang zu Bildungschancen und der Wettbewerb um Qualität müssen also miteinander verbunden werden; davon sind wir nach meinem Urteil meilenweit entfernt.

epd: Namhafte Personen der deutschen Wirtschaftselite stehen im Düsseldorfer Mannesmann-Prozess vor Gericht. Halten Sie die umstrittenen Abfindungssummen für Manager und die Höhe der Vorstandsbezüge in deutschen Unternehmen für ein sozialethisches Problem?

Huber: Ganz unabhängig davon, was in diesem Düsseldorfer Verfahren strafrechtlich herauskommt - sozialethisch muss man fragen, ob die - zum Teil ziemlich maßlose - Steigerung hoher individueller Einkünfte in eine Zeit passt, die von hoher Arbeitslosigkeit, Minijobs, Ich-AGs stagnierenden oder sinkenden Löhnen gerade im Niedriglohnbereich geprägt ist. Anderes ließe sich nicht mehr bezahlen, heißt es dann immer. Für den Spitzenbereich scheint das nicht zu gelten.

epd: Der Vizepräses der EKD-Synode, Professor Michael Schibilsky, hat einen Vorstoß zu einer Form zeitgemäßer Bibel-Rezeption unternommen und eine Neu-Übersetzung der Heiligen Schrift durch Prominente vorgeschlagen. Was halten Sie von diesem Projekt?

Huber: Die Verwirrung ist ja dadurch entstanden, dass der Anschein erweckt wurde, es solle sich um eine Neufassung der Luther-Bibel oder genauer: um einen Ersatz für die Luther-Bibel handeln. Das aber kommt nicht in Frage. Die Luther-Bibel hat für die evangelische Kirche und über sie hinaus eine einmalige und unersetzbare Bedeutung. Eine moderate Revision der Luther-Bibel haben wir im Jahr 1984 abgeschlossen. Sie hat sich bewährt und steht nicht zur Disposition. Unabhängig von der Luther-Bibel hat es immer wieder Neuübersetzungen gegeben. Manche waren erfolgreich, andere weniger. An die Luther-Bibel hat noch keine herangereicht. Das wird man auch einem nächsten Versuch, sollte er denn unternommen werden, gelassen voraussagen können. Deshalb rate ich von jedem Brimborium bei solchen Überlegungen ab.

epd: Die Debatte um das Tragen von Kopftüchern durch Lehrerinnen hat im Protestantismus zu unterschiedlichen Auffassungen von Personen geführt, die sich sonst politisch oder theologisch nahe stehen. Hat es Sie überrascht, dass der Bundespräsident oder der rheinische Präses im Grundsatz andere Positionen als der Ratsvorsitzende vertreten?

Huber: Wenn Sie die Debatte aufmerksam verfolgt haben, wird Ihnen die Übereinstimmung nicht verborgen geblieben sein: Die Religionsfreiheit und ihre Ausstrahlung in den öffentlichen Raum bildet den gemeinsamen Ausgangspunkt. Das persönliche Bekenntnis des einzelnen - auch der Lehrerin und des Lehrers - hat durchaus auch in der Schule seinen Ort. Aber es unterliegt dem Gebot der Mäßigung. Ob dieses Mäßigungsgebot beim Tragen des Kopftuchs verletzt wird, wird unterschiedlich bewertet.

epd: Ihre eigene Landeskirche in Berlin-Brandenburg hat sich zum Jahreswechsel mit der Evangelischen Kirche der schlesischen Oberlausitz vereinigt. Ist dies ein Modell für weitere Fusionen?

Huber: Ermutigung, nicht Modell. In den unterschiedlichen Gegebenheiten müssen jeweils die passenden Wege gefunden werden. Ich hoffe, dass es gelingt, dabei das Tempo etwas zu steigern. Denn wir sollten nicht den Eindruck erwecken, als würden wir Strukturfragen zum Anlass für andauernde Selbstbeschäftigung nehmen. Strukturfragen sind wichtig, der Verkündigungsauftrag der Kirche ist aber weit wichtiger. Darauf, dass Freude am Zeugnis der Kirche entsteht - darauf kommt es an.

Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd)