"Hören auf die Bibel ist wie ein Sonntag im Alltag"

EKD-Ratsvorsitzender zum Abschluss der Synode (Ansprache im Wortlaut)

10. November 2003


Hinweis: Wir dokumentieren nachfolgend die Ansprache des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, die er zum Abschluss der 2. Tagung der 10. Synode der EKD am 6. November 2003 in Trier gehalten hat:

Liebe Frau Präses! Liebes Präsidium! Ich möchte damit beginnen, dass ich mich für den neuen Rat beim Präsidium sehr herzlich bedanke für die Art und die Intensität, in der diese Synode geleitet worden ist. Auch dieser ruhige, entspannte, überpünktliche, vorzeitige Schluss der Synode ist doch etwas, was, so glaube ich, alle, die die Synode miterleben, mit Freude und Dankbarkeit aufgenommen haben. Diesen Dank erlaube ich mir als Erstes auszusprechen.

Eine intensive Synode liegt hinter uns, in der Sie einen neuen Rat gewählt und mir die Verantwortung als Vorsitzender des Rates übertragen haben. Als gestern der Ratsvorsitzende gewählt wurde, habe ich immer wieder auf die Losung für den gestrigen Mittwoch aus dem Buch Nahum geschaut und immer wieder gelesen: „Der Herr ist gütig und eine Feste zur Zeit der Not und kennt die, die auf ihn trauen.“ Ich habe gedacht: Das kann ein Leitwort sein für die gemeinsame Arbeit in den Jahren, die vor uns liegen.

Der Herr ist gütig. Wenn es uns gelingt, die Welt, in der wir leben, und unsere Situation als Kirche immer wieder unter dem Gesichtspunkt von Gottes Güte wahrzunehmen und von dieser Güte Gottes weiter zu erzählen, wenn es uns gelingt, diese Güte Gottes, die für uns anschaulich wird in Jesu Christus, zu vermitteln, dann werden wir den richtigen Ton finden für das, was wir in unserer Kirche wie über die Grenzen der Kirche hinaus tun.

Eine Feste zur Zeit der Not. Man braucht kein Pessimist zu sein, um zu wissen, dass wir nicht einfach auf einer breiten, bequemen Straße entlanggehen werden, sondern immer wieder mit Schwierigkeiten zu tun haben, mit Widerständen, mit einem Wind, der uns immer wieder auch einmal ins Gesicht weht. Zu wissen, dass dann Gott die Feste ist in der Zeit der Not, der Anker, an den wir uns halten, der Richtpunkt, an dem wir uns ausrichten, das wird uns dabei helfen, auch mit schwierigen Situationen gemeinsam klar zu kommen.

Und er kennt die, die auf ihn trauen. Das Vertrauen auf Gott als Lebenshaltung – wenn uns das als Einzelne bestimmt und wenn uns das als Kirche miteinander prägt, dann bringen wir einen unverwechselbaren Ton in das Gespräch in dieser Gesellschaft und in das Gespräch mit unseren Mitmenschen. Nach diesem unverwechselbaren Ton wird immer wieder gefragt, auch in der Diskussion über Schwerpunktthemen unserer Synode ging es immer wieder um ihn.

Diese in den drei Elementen des gestrigen Losungswortes enthaltene Grundhaltung weiterzugeben ist die entscheidende Aufgabe, die wir miteinander als Kirche haben. Kirche - das ist ja eine Verantwortungsgemeinschaft zur Weitergabe des Evangeliums.

Die Synode hat wieder in Trier getagt wie 1985. Der damals gewählte Ratsvorsitzende, der damalige Berliner Bischof Martin Kruse, hat bei der damaligen Synode die beiden Grundfragen formuliert: Wie werde ich Christ? Wie bleibe ich Christ? Das sind zwei Grundfragen auch für die Arbeitsperiode vom Jahre 2003 an.

Ich möchte hier in Trier in Erinnerung an 1985 und an Martin Kruse diese beiden Fragen wieder aufnehmen und sagen: Wir sollten sie weiterführen und weiter entwickeln. Trier 2003 unterstreicht nun allerdings in ganz besonderer Weise, dass im Blick auf diese beiden Fragen – Wie werde ich Christ und wie bleibe ich Christ? – die Bibel der entscheidende Bezugspunkt, das entscheidende Lebensbuch, das entscheidende Lebens-Mittel ist.

Mir ist bei der Diskussion dieser Synode ein Wort aus dem 1. Psalm in den Sinn gekommen. Dort ist von demjenigen die Rede, der Lust hat am Gesetz des Herrn und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht. Bei diesen Worten muss man „Gesetz“ in diesem Zusammenhang als Inbegriff für die biblische Botschaft insgesamt nehmen. Wir sind eingeladen, Lust zu haben am lebendigen Wort Gottes und über ihm zu sinnen oder – wie der hebräische Ausdruck ursprünglich meint – auf ihm zu kauen bei Tag und Nacht, leibhaft in sich aufzunehmen, was uns da anvertraut ist. Dazu, als Lebensbuch und als Lebens-Mittel, ist uns die Bibel in die Hand gegeben, als Einzelnen und als Kirche.

Die Bibel in unserer Hand, das hat das Bühnenbild – so wird es immer wieder genannt –, das hinter uns hängt und das Frau Bach für uns gestaltet hat, uns während dieser Tage vor Augen gestellt. Die Bibel in unserer Hand, die gelesene Bibel, die aufgeschlagene Bibel prägt das ganze Bild. Sie wird in die Hand genommen, um gelesen zu werden. Sie ist in unserer Hand, um interpretiert zu werden, durchaus mit modernen Mitteln, den Computer eingeschlossen.

Sie ist uns in die Hand gegeben als die komponierte Bibel, deren Vermittlung, deren Verlebendigung mit den Mitteln von Kunst und Kultur durchaus im Sinne ihrer Botschaft ist. Es ist die Bibel, die uns in die Hand gegeben ist als die Bibel, die gelebt wird in der Liebe von Menschen, die einem der Motive des Bühnenbildes auf eine so wunderbar dezente Weise angedeutet ist. Es ist die Bibel, die uns in die Hand gegeben ist in der Fürsorge für andere Menschen, in der Fürsorge für die nächste Generation, wie es ein anderes Motiv auf dem Bühnenbild zeigt.

"Hören auf die Bibel ist wie ein Sonntag im Alltag." Dieser kurze Satz aus der Kundgebung dieser Synode hat mich besonders angerührt. Das ist ja, wenn man es ernst nimmt, eine Einladung zur Erneuerung evangelischer Bibelfrömmigkeit. Auch in den Bemühungen um neue Formen evangelischer Spiritualität, die ich zu den vielen verheißungsvollen Seiten unserer gegenwärtigen Entwicklung zähle, sollten wir das im Sinn haben. Auch wenn wir neue Formen von Spiritualität entwickeln, auch wenn wir dabei von anderen lernen - es geht um Spiritualität mit Bibelbezug.

Das Bühnenbild dieser Synode hat mir auch deswegen so gut gefallen, weil es auf die eine wie auf die andere Weise zeigt: Mit der Bibel zu leben hat auch zu tun mit einer Kultur der Achtung und der Achtsamkeit im Umgang miteinander; in den beiden Motiven mit den menschlichen Händen sehe ich das ganz besonders klar angedeutet.

Für eine Kultur der Achtung und der Achtsamkeit einzutreten ist eine gute Regel im Umgang miteinander. Ich sage hier, auch wenn zehn Wahlgänge etwas Belastendes haben, auch wenn die Zeitungen das zum Teil noch einmal ein bisschen belastender geschildert haben, als es vielleicht war: Ich habe auch diese Wahlsynode so empfunden, dass diese Evangelische Kirche in Deutschland gewillt ist, die Achtung und Achtsamkeit im Umgang miteinander zu wahren und weiter zu entwickeln, und dafür bin ich dankbar. Denn das ist eine Grundlage dafür, dass wir dann glaubwürdig auch dort intervenieren, wo Achtung und Achtsamkeit im Umgang miteinander in unserer Gesellschaft und in unserer Politik in Gefahr geraten und verletzt werden und wo wir dann auch deutlich sprechen müssen.

Die Wiederbelebung antisemitischer Vorurteile durch einen Abgeordneten des Deutschen Bundestags, durch den Abgeordneten Hohmann, habe ich persönlich in diesen Tagen als ein solches Zeichen gesehen, in dem die Kultur der Achtung und der Achtsamkeit auf eine Weise verletzt wird, die für uns nicht akzeptabel ist.

Als ich am frühen Morgen – ich weiß nicht, ob ich sofort ausgeschlafen war, als ich angerufen wurde – auf diese Frage angesprochen wurde, konnte ich gar nicht anders, als zu sagen: In meinem Verständnis ist politische Mitverantwortung, ein politisches Mandat für diesen demokratischen Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland mit der Propagierung antisemitischer Vorurteile schlechterdings unvereinbar.

So führt die Beschäftigung mit dem, was uns im Innern zusammenhält, auch immer wieder zu Interventionen nach außen und zu Stellungnahmen zu politischen Fragen dieser Art. Ich glaube, so wollen und so müssen wir das auch in Zukunft halten.

In den letzten Tagen ist immer wieder und auf verschiedene Weisen dem Ratsvorsitzenden gedankt worden, der den Vorsitz im Rat und in der Kirchenkonferenz der EKD in den letzten sechs Jahren geführt hat, Manfred Kock. Das Umgewöhnen wird für die Zeitungen noch einige Zeit dauern. Ich habe keine Schwierigkeiten damit, dass die „Leipziger Volkszeitung“ mir heute den Namen Manfred Huber gegeben hat. Im Gegenteil! Ich freue mich darüber, weil ich innerhalb des mir Möglichen sehr gern das übernehmen will, was ich in den sechs Jahren von Manfred Kock gelernt habe, in sechs Jahren, in denen uns auch persönlich eine sehr gute Zusammenarbeit verbunden hat.

Aber ich möchte an dieser Stelle den Dank, der hier auszusprechen ist, ausweiten. Das Erleben der Arbeit im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in den letzten sechs Jahren war das Erlebnis und die Erfahrung einer sehr intensiven, einer sehr geschwisterlichen und einer sehr freundschaftlichen Zusammenarbeit. Wir haben uns wahrgenommen als Menschen und als Personen. Wir haben uns nicht wahrgenommen als Funktionsträger oder Repräsentanten von Meinungen. Wir haben miteinander nach einem Weg gesucht, der für die EKD der beste Weg war, zu dem wir jedenfalls mit unseren begrenzten Kräften imstande waren.

Deswegen möchte ich gerne, dass die Synode die dankbare Aufmerksamkeit, die sie Manfred Kock zugewandt hat, auch den anderen Mitgliedern des Rats der EKD zuwendet, die mit dieser Synode aus der Verantwortung im Rat – aus der Verantwortung für unsere Kirche keineswegs – ausscheiden. Ich nenne dabei an erster Stelle den stellvertretenden Vorsitzenden, Landesbischof Volker Kreß, und ich nenne ebenso die anderen Mitglieder, die ich Ihnen eigentlich alle im Einzelnen noch einmal schildern müsste, wie ich sie erlebt habe; aber das kann ich hier nicht tun.

Diejenigen, die außer den beiden Vorsitzenden ausscheiden, sind Walter Herrenbrück, Maria Jepsen, Robert Leicht, Ruth Leuze, Axel Noack und Eckhart von Vietinghoff. Wer die Namen hört, spürt dabei auch gleich, welche besonderen Kompetenzen und welche besonderen persönlichen Farben im Rat gewesen sind und im nächsten Rat nicht mehr sein werden. Wenn ich diese Namen nenne, füge ich ausdrücklich den Namen von Jürgen Schmude hinzu, der 18 Jahre lang nicht nur Präses der Synode, sondern auch ein sehr wirkungsvolles Mitglied des Rates der EKD gewesen ist. Er ist übrigens derjenige, dessen Brief zur Ratswahl unter den ersten drei Briefen gewesen ist, die ich gestern bekommen habe.

Mein Dank an die ausscheidenden Ratsmitglieder – das merken Sie – ist sehr persönlich, ist aber zugleich – das spüre ich – ein Dank der ganzen Synode.

Diese Synode hat Spaß an der Aufgabe gemacht, die vor dem neuen Rat liegt. Sie haben die Personen so deutlich vor Augen , dass ich sie nicht mehr nennen muss. Ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit und schließe in den Dank für Vergangenes wie in die Vorfreude auf Zukünftiges ausdrücklich das Kirchenamt der EKD – alle seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – ein. In der Synode merkt man ja sehr deutlich, dass die Arbeit dort nicht nur mit hoher professioneller Kompetenz, sondern gleichzeitig mit einem ganz großen Maß an menschlicher Zuwendung und an Fürsorge getan wird, eben genau aus dem Geist jener Kultur der Achtung und der Achtsamkeit, von der ich mir wünsche, dass sie unsere Kirche überhaupt prägt. Herzlichen Dank!

Durch diese Synode und in der Entwicklung der Ereignisse, die dabei auch mich persönlich ereilt haben, hat mich ein Vers, den ich in meiner Tasche liegen hatte, mehr und mehr begleitet, bestimmt, gehalten, getröstet, ermutigt und ermuntert, und mit ihm will ich schließen:

Sing’, bet’ und geh’ auf Gottes Wegen,
verricht das Deine nur getreu
und trau’ des Himmels reichem Segen,
so wird er bei dir werden neu.
Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt,
den verlässt er nicht.

Herzlichen Dank!