Margot Käßmann begrüßt Wahl Wolfgang Hubers

Interview mit der Fuldaer Zeitung / Kommentar

06. November 2003


"Synode hat sehr gute Wahl getroffen"

Nach Meinung der hannoverschen Landesbischöfin Margot Käßmann hat die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland gestern eine sehr gute Wahl getroffen: Der neue Ratsvorsitzende, Berlins Bischof Wolfgang Huber, sei "einer der schärfsten Denker des Protestantismus in Deutschland." Vor der Entscheidung der Synode hatte die Bischöfin und frühere Kirchentags-Generalsekretärin Käßmann selbst zum Kreis derer gehört, die neben Huber als Favoriten gehandelt worden waren. Unsere Zeitung fragte sie nach ihrer Einschätzung des Wahlausgangs.

Frage: Sind Sie enttäuscht, dass nach der Wahl zum Rat die Frage nach einer Kandidatur der Margot Käßmann zur Vorsitzenden gar nicht aufkam?

Käßmann: Auch wenn manche das schwer verstehen: Ich bin im Moment einfach nur erleichtert, weil all der auch öffentliche Druck weg ist und die Spekulationen ein Ende haben. Die Synode hat eine ganz klare Entscheidung getroffen und danach war der Ratsvorsitz geklärt. Das hat uns als Rat die Fragen abgenommen, die es vor sechs Jahren gab.

Frage:Hatten Sie vor der Synode erwogen, für eine Bewerbung als Ratsvorsitzende zur Verfügung zu stehen?

Käßmann: Nein, ich habe mich wie die anderen auf Bitten des Wahlausschusses der Wahl zum Rat gestellt. Und im Medienzeitalter kamen da natürlich Spekulationen auf: Könnte theoretisch auch eine Frau Ratsvorsitzende werden? Dem können Sie sich gar nicht wirklich entziehen. Aber Sie können auch nicht sagen: ,Ich stehe keinesfalls zur Verfügung.' Sonst heißt es ,typisch Frau', oder andere sagen: Sie hat den Frauen eine Chance verbaut.

Frage: Bischof Huber ist gewählt. Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zu ihm?

Käßmann: Wir haben seit vielen Jahren ein freundschaftliches Verhältnis. Im Vorfeld hatten wir miteinander abgesprochen, dass wir uns nicht gegeneinander ausspielen lassen. Ich freue mich riesig, dass er Ratsvorsitzender geworden ist!

Frage: Wie beschreiben Sie die Position Hubers im deutschen Protestantismus?

Käßmann: Er ist einer der klarsten und schärfsten Denker des Protestantismus in Deutschland heute. Als früherer Professor für Sozialethik ist er auf einem Gebiet besonders qualifiziert, auf dem wir heute Kompetenz brauchen: soziale Gerechtigkeit.

Frage:Was kann ein Ratsvorsitzender im Chor der evangelischen Bischöfe, Präsides und Kirchenpräsidenten eigentlich bewirken?

Käßmann: Nach innen kann er versuchen, einen gewissen Konsens herzustellen. Das gelingt natürlich nicht immer. Nach außen aber ist er DAS Gesicht des Protestantismus. Und bei Wolfgang Huber ist dieses Gesicht markant, wiedererkennbar - das ist heute wichtig.

Frage: Welche großen Aufgaben sehen sie in der Amtszeit des neuen Ratsvorsitzenden der EKD?

Käßmann: Er wird einerseits die Kirche nach innen ermutigen müssen: Wir sind nicht kurz vor dem Untergang, sondern können aus dem Glauben heraus die Herausforderungen annehmen. Nach außen wird er klar machen müssen: Hier sind Themen, in die mischen wir uns ein, da könnt ihr die Haltung der Kirche nicht ignorieren. Nehmen wir als Beispiel die Gentechnologie.

Frage: Wie viele der heute 24 Gliedkirchen wird die EKD in sechs Jahren noch haben?

Käßmann: Da will ich nicht spekulieren. Aber ich bin dankbar, dass sich in den Strukturen einiges bewegt. Das gilt etwa für Zusammenschlüsse als auch für Landeskirchen, die ja Größenordnungen von 65000 bis 3,2 Millionen haben und so oft inkompatibel sind. Vor allem hoffe ich, dass die Reformvorhaben zwischen EKD und gliedkirchlichen Zusammenschlüssen bis dahin zum Abschluss gekommen sind.

Das Interview führte Hartmut Zimmermann

Quelle: Fuldaer Zeitung vom 6. November 2003


"Geerdeter" Professor

Kommentar von Hartmut Zimmermann

Im zweiten Anlauf, aber nicht zweite Wahl: Mit ihrem klaren Votum für Wolfgang Huber hat die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) deutlich gemacht, dass sie es dem Berliner Bischof zutraut, den Zusammenschluss der 24 Kirchen mit Geschick durch die nächsten sechs Jahre zu führen. 1997 war Huber, der vor seinem Wechsel ins Berliner Bischofsamt als Hochschullehrer in Marburg und Heidelberg wirkte, bei der Bewerbung um das Amt an der EKD-Spitze dem nun scheidenden Ratsvorsitzenden Manfred Kock unterlegen. Mit deutlicher Mehrheit hat das Kirchenparlament gestern unterstrichen, dass es Huber sein ausdauerndes Streben nach dem hohen Amt nicht verübelt.

Der Überraschungssieger von 1997, Manfred Kock, war auch an der EKD-Spitze eine Pfarrer-Gestalt, die einen starken Akzent auf seelsorgerliche Fragen legte. Huber, dessen Hochschullehrer-Hintergrund ihm auch zur Berufung in den Nationalen Ethikrat verhalf, ist eher ein Akademiker-Typ. Allerdings haben ihn die Jahre an der Spitze der Berlin-Brandenburgischen Kirche und das Erleben des real existierenden Schwunds von Geld und Gläubigen durchaus "geerdet". Der einst als "Linker" beargwöhnte Huber, der mit dem Wechsel ins Bischofsamt sein SPD-Parteibuch zurückgab, spricht zum Staunen vieler Weggenossen von der Notwendigkeit missionarischer Aktivitäten.

Mit seinem Vorgänger Kock verbindet den Hauptstadt-Bischof der Anspruch, zu politischen Fragen "um Gottes Willen" Stellung zu nehmen. Ob er sich dabei in den Medien im nicht immer einstimmigen Chor der Landesbischöfe, Präsides und Kirchenpräsidenten Gehör verschaffen kann, wird auch von seiner persönlichen Ausstrahlung abhängen. Die und eine ganze Portion Hausmacht wird er auch brauchen, wenn er steuernd in den Prozess der Umstrukturierung der EKD eingreifen will: Wer den Kirchen-Dachverband gegenüber den traditionsreichen konfessionellen Zusammenschlüssen der lutherischen und unierten Kirchen stärken möchte, der braucht einen langen Atem und viele Verbündete. Zum Beispiel seine Beinahe-Konkurrentin, die Landesbischöfin der evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers, Margot Käßmann, mit der Huber nicht zuletzt das gemeinsame Engagement im Deutschen Evangelischen Kirchentag verbindet.

Quelle: Fuldaer Zeitung vom 6. November 2003