"Integrieren statt ignorieren"

Gemeinsames Wort zur Interkulturellen Woche

26. September 2003


Gemeinsames Wort zur Woche der ausländischen Mitbürger / Interkulturelle Woche 2003 vom 28. September bis 4. Oktober 2003

Migration ist kein vorübergehendes und nur auf Deutschland begrenzbares Phänomen, das sich bald erledigt hätte. Zuwanderer gehören ganz selbstverständlich zur Wirklichkeit unserer Gesellschaft. Die Migration als Realität nicht einfach verdrängen, sondern sie vielmehr akzeptieren und gestalten zu wollen, ist deshalb kein politisches Randthema, sondern zentrale gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daran erinnert uns die jährliche Woche der ausländischen Mitbürger.

Zur ehemals klassischen Arbeitsmigration sind inzwischen vielfältige neue Formen von Zuwanderung hinzugekommen. Dennoch bleiben die grundsätzlichen Fragestellungen bestehen, ja haben sich dramatisch zugespitzt:

  • Ob wir die Entwicklung zu einem gleichberechtigten Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen in unserer Gesellschaft wirklich wollen?
  • Ob es allseits anerkannter Konsens ist, dass die Achtung der persönlichen Würde jedes Einzelnen und die Wahrung seiner Menschenrechte Grundlage für das Gelingen dieses Prozesses ist?
  • Ob wir dabei die Förderung der jeweiligen kulturellen Identität der Zuwanderer und die Unterstützung des interkulturellen Austauschs als wichtige Elemente auf dem Weg zur Integration ernst nehmen?
  • Und ob wir uns schließlich in Staat und Gesellschaft zur Schaffung weitgehender Partizipationsmöglichkeiten bereit finden, die Voraussetzung für eine volle rechtliche, soziale, kulturelle und berufliche Integration der Zuwanderer sind?

Als Christen tragen wir hier eine ganz besondere Verantwortung. Bereits auf der ersten Seite der Bibel (Gen 1,27) steht, dass jeder Mensch – unabhängig von Geschlecht oder Sprache, Nationalität oder Glaubensüberzeugung – ein »Abbild Gottes« ist. Daraus ergibt sich für die Kirchen eine doppelte Aufgabe: Zum einen das Bewusstsein und die Sensibilität für die Würde jedes Menschen in unserer Gesellschaft wach zu halten und immer wieder anzumahnen sowie zum anderen auch selbst ein konkretes und glaubwürdiges Zeugnis für die Wertschätzung und Beheimatung der Zuwanderer bei uns abzulegen.

Wir alle wissen: Die Zuwanderer haben wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg, zur sozialen Stabilität und zur kulturellen Mannigfaltigkeit in Deutschland beigetragen; viele – gerade aus der zweiten und dritten Migrantengeneration – haben dauerhafte Freundschaften, Partnerschaften und Ehen mit der deutschen Bevölkerung geschlossen; zahlreiche Beispiele gelungenen Miteinanders von Zuwanderern und Einheimischen in Betrieben, Vereinen, Bürgerinitiativen und nicht zuletzt im Bereich von Kirchengemeinden und kirchlichen Verbänden machen Mut.

Aber es gibt immer wieder auch Feindseligkeiten und Übergriffe, verborgen schwelenden oder offen ausbrechenden Rassismus. Gerade im Blick auf die lange politische Diskussion um das Zuwanderungsgesetz wird deutlich, wie schwierig es ist, die inzwischen komplexer und differenzierter gewordene Problematik von Migration und Asylsuche präziser zu gestalten.

Das Motto »Integrieren statt ignorieren« mahnt uns, dass immer noch zu viele Menschen sich dieser Herausforderung nicht stellen wollen. Dabei handelt es sich doch bei der Verwirklichung der Integration aller Bevölkerungsgruppen um eine große Aufgabe unserer Gesellschaft.

Zum Erreichen dieses Ziels bedarf es

  • der allgemeinen Einsicht, dass Immigration für die Aufnahmegesellschaft nicht Bedrohung oder Wertverlust bedeuten muss, sondern auch Chancen für eine Horizonterweiterung und Bereicherung in Gesellschaft und Kirche, Wirtschaft und Kultur eröffnet,
  • des Aufbaus einer Kultur der Solidarität und der Wertschätzung gegenüber den ausländischen Mitbürgern,
  • der Bereitschaft zu vielfältigen interkulturellen Begegnungen und Gesprächen sowie des über alle politischen Meinungsverschiedenheiten hinausreichenden Mitwirkens möglichst aller gesellschaftlichen Gruppen.

Wieder ist es die Hl. Schrift, die uns in Jes 2,1-5 und in Apg 2,1-11 die Verheißung schenkt, dass Menschen aus allen Völkern, Nationen und Sprachen unter der Führung des Geistes Gottes in Frieden und Gerechtigkeit zusammenleben können.

Wir wünschen, dass etwas davon sich in den Aktionen, Veranstaltungen und Gottesdiensten dieser Woche und darüber hinaus bereits verwirklichen möge. Gott schenke uns dazu seinen Segen und seine Wegbegleitung.

Präses i.R. Manfred Kock
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Karl Kardinal Lehmann
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Metropolit Augoustinos
Griechisch-Orthodoxer Metropolit von Deutschland

Hinweis:
Eingebettet in die Interkulturelle Woche ist der "Tag des Flüchtlings" am Freitag, 3. Oktober.

weitere Informationen:  www.interkulturellewoche.de/