Ein Gespräch mit Bischof Wolfgang Huber, Berlin

Interview mit der "Zeit" und dem DeutschlandRadio

23. Mai 2003


"Die Vorstellung, dass schwammiges Reden eine besonders tragfähige Brücke ergibt, dieser Vorstellung habe ich mich nie hingegeben!"

Das Interview mit dem Bischof der Evagelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, führten Jan Ross, die ZEIT, und Annette Riedel, DeutschlandRadio Berlin.

Frage: Sie galten als das, was man gern einen ‚Linksprotestanten nennt. Gilt das heute noch? Oder haben Sie sich politisch als Bischof geändert? Kann man da noch ‚links’ sein oder muss das Alles aufhören in dem Augenblick, in dem man so ein Amt anfängt?

Huber: In so einem Amt ist es wichtig, dass die hoffentlich klaren Grundhaltungen, die man nach wie vor hat - und auch erkennbar macht - nicht gleichgesetzt werden mit einer einfachen parteipolitischen Zuordnung, denn man ist in der Tat Bischof für alle Glieder der eigenen Kirche. Man ist verantwortlich dafür Brücken zu schlagen und nicht Brücken abzubauen.

Frage: Deshalb ruht ja auch Ihre SPD-Mitgliedschaft?

Huber: Deswegen ruht meine SPD-Mitgliedschaft, aber ich habe es auch schon immer für falsch gehalten, diese Fähigkeit Brücken zu bauen, sozusagen dadurch unter Beweis zu stellen, dass man selber nicht mehr erkennbar macht, wo man eigentlich steht. Die Vorstellung, dass schwammiges Reden eine besonders tragfähige Brücke ergibt, dieser Vorstellung habe ich mich nie hingegeben!

Frage: Sind Sie denn anders politisch oder weniger politisch? Man sagt ja, dass zum Beispiel Ihre Bewerbung für den Vorsitz des Rates der EKD, der Evangelischen Kirchen Deutschlands, unter Umständen auch daran gescheitert ist, dass man Ihnen nachsagte, Sie seien zu politisch.

Huber: Können wir zunächst mal zwischendurch klarstellen, dass ich nie so dumm gewesen bin, mich um den Vorsitz des Rates der EKD zu bewerben. Das tut man auch nicht. Es gab Leute, die haben mich benannt. Ich hätte mich dem nicht entzogen. Ob daraus nichts geworden ist, weil die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg nicht als eine der reichsten Kirchen in Deutschland gilt oder ob es an meinem politischen Profil liegt oder – was doch das allernächst Liegende ist – dass die Menschen von der väterlichen und überzeugenden Gestalt von Manfred Kopp eingenommen waren, das sei dahin gestellt. Jedenfalls haben wir mit ihm sechs Jahre einen guten Ratsvorsitzenden gehabt, der seinerseits mindestens so politisch ist wie ich. Insofern glaube ich, die Evangelische Kirche insgesamt ist in den letzten Jahren nicht unpolitischer geworden - ich auch nicht – aber die Evangelische Kirche hat in den letzten Jahren – und daran habe ich mich nach Kräften beteiligt – deutlich gemacht, dass die politische Präsenz, das sich Reiben an den Reibungsflächen der Gesellschaft nur die Außenseite von etwas ist, was innerlich Kraft und Grund haben muss und das ist der christliche Glaube.

Frage: Im Herbst wird ein neuer Ratsvorsitzender der EKD gewählt werden. Stünden Sie wieder, wenn man Sie fragte, zur Verfügung?

Huber: Das steht gar nicht zur Diskussion. Jetzt wird gerade die Synode konstituiert, während wir miteinander reden und dann wird die Ratswahl im November vorbereitet. Der November ist der November.

Frage: Nächste Woche beginnt in Berlin der erste ökumenische Kirchentag - gemeinsam organisiert von Katholiken und den evangelischen Kirchen. Das ist eine Premiere; das gab es so noch nie. Sie haben an anderer Stelle davon gesprochen, dass Sie ein Signal erhoffen von diesem Kirchentag. Was kann das für Sie sein - über das ‚seht her, wir können organisiert massenhaft miteinander feiern’ hinaus? Ein Signal an wen, in welche Richtung?

Huber: Ein Signal nach innen und nach außen. Nach innen: das gemeinsame Bekenntnis der Christen ist wichtiger als das, was sie voneinander trennt. Es gibt mehr Konfessionsverbindendes als Konfessionstrennendes. Wenn wir die Unterschiede unserer Traditionen ins Spiel bringen wird das, was wir miteinander zu feiern und zu bekennen haben, an Gewicht gewinnen. Und nach außen: die christliche Botschaft, der christliche Glaube ist am Beginn des 21. Jahrhunderts nicht eine Sache von gestern oder von vorgestern, sondern es ist die Antwort auf Fragen, die die Menschen heute und morgen haben werden, nach ihrem Freiheitsverständnis, nach einem Sinn ihres Lebens über die Grenzen von Tod und von Schuld hinaus.

Frage: Und das ist nicht so ein bisschen schon aufgrund der schieren Masse auch ein ‚Rufen im Walde’, weil man sich so ein bisschen gemeinsam fürchtet vor dem Bedeutungsverlust und dadurch mehr zusammen rückt?

Huber: Ich verstehe jetzt nicht ganz, warum die Tatsache, dass mehr Menschen zum ökumenischen Kirchentag kommen als auch die kühnsten Prognosen vorausgesagt hatten, warum das irgend etwas zum Fürchten sein soll. Das ist ein Grund sich deutlich zu machen auch, in einer durch ganz viel Säkularität geprägten Gesellschaft. hat die Frage nach Gott ihren Ort. Ja, es fragen insbesondere im Osten Deutschlands mehr Menschen nach Gott als der Kirche angehören! Im Westen Deutschlands hat man manchmal das Gefühl, es ist gerade anders herum. Die Kirchen haben die Verantwortung, auf diese Fragen auch tatsächlich Antwort zu geben, Räume zu schaffen, in denen diese Fragen artikuliert werden können. Und in diesen Tagen wird nun der Pariser Platz oder der Gendarmenmarkt, der Platz vor dem Reichstag, dass Messegelände mit zu den Orten gehören, an denen diese Fragen gestellt werden. Das heißt im öffentlichen Raum ist Platz für die Frage nach Gott.

Frage: Wer in den vergangenen Jahren evangelische Kirchentage oder auch Katholikentage besucht hat, der konnte manchmal doch den Eindruck gewinnen, dass sich da so ein bisschen so ein ‚Wohlfühl-Milieu’ ausgebreitet hat und wenn man sich jetzt das Programm des evangelischen und katholischen ökumenischen Kirchentages hier anschaut - sind Sie hoffnungsvoll, dass man sich auch ein bisschen unbequemen Fragen, auch an die Kirche selbst stellen wird? Oder wird es eine Bestätigung von Lieblingsideen sozialer, ökologischer, friedlicher Art sein, so dass man sich fragen kann, wo der Biss geblieben ist?

Huber: Ich stimme Ihnen zu darin, dass es so eine Tendenz zum Wohlfühlen unter Gleichgesinnten immer wieder gibt. Ich habe aus meiner eigenen, ja inzwischen auch ziemlich langen Kirchentagsgeschichte Situationen vor Augen, bei denen ich mir gewünscht hätte, dass sozusagen die Kontroverse auch länger ausgehalten wird und dass man der Gefahr auch ausweicht, dass die eine Position in der einen Halle unter lauter Gleichgesinnten und die andere Position in der anderen Halle verhandelt wird - auch wieder unter lauter Gleichgesinnten. Ich nehme mal ein Beispiel: die Situation Israel – Palästina, das Lebensrecht Israels auf der einen Seite, das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser auf der anderen Seite. Da hat man es oft erlebt, dass der eine Aspekt in der Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden und der andere Aspekt in einem Nahost-Forum verhandelt wird. Ich wünsche mir sehr - und hoffe! - dass beispielsweise die Frage Irak-Krieg und die über diesen Krieg hinausreichenden Fragen: wie soll denn eine internationale Ordnung aussehen, dass die nicht so gefällig diskutiert werden und nur diejenigen zusammen sind, die dann ohnehin schon immer einer Meinung waren, sondern dass man auf Argumente einer anderen Seite auch hört.

Frage: Glauben Sie, dass wir am Beginn einer schönen neuen Tradition stehen? Oder ist dieser ökumenische Kirchentag zunächst mal eine einmalige Angelegenheit?

Huber: Er ist als ein einmaliges Ereignis zunächst mal geplant worden mit der Perspektive, dass man da miteinander dieses Ereignis auswertet und sich fragt ob - und wenn ja, wie - es weitergehen soll. Meine persönliche Haltung ist, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es bei einem einmaligen Ereignis bleibt. Auch mit dem katholischen Kardinal bin ich mir vollkommen einig darin, dass unsere Erwartung darin besteht, dass es weiter geht - und zwar dann doch in einem irgendwie auch verlässlichen Rhythmus.

Frage: Sie haben das Stichwort Irak schon selbst genannt - dieser Kirchentag hat einen ungeheuer langen Vorlauf, einen jahrelangen Vorlauf gehabt. Ist in den 700 Seiten Programm noch mehr zum Thema Krieg und Frieden nachträglich reingerutscht, einfach aufgrund der aktuellen weltpolitischen Lage?

Huber: So ist es. Erstens, kam das Thema auch schon intensiv vor, aber man hat auch insbesondere eine zusätzliche Großveranstaltung vorgesehen, die sich mit der Frage des Irak-Kriegs und seiner Folgen für das Völkerrecht beschäftigen wird. Schon da wird es immer wieder auch um die Frage des Verhältnisses des christlichen Glaubens zur Gewalt und solche Fragen gehen.

Frage: Sie sind ein Gegner dieses Krieges gewesen, haben das laut und deutliche gesagt. Nun ist er vorbei. Im Irak geht es drunter und drüber, aber ein Befreiungskrieg war es, wenn man das Ergebnis sieht. Haben Sie selbst jetzt im nachhinein andere Gedanken über diesen Krieg? Sehen Sie eine nachträgliche Legitimation durch den Tyrannensturz oder waren Ihre kritischen Analysen vorher so, dass die standhalten?

Huber: Die kritischen Analysen bezogen sich ja auf die Frage, ob die Vorstellung, dass kriegerische Gewalt als äußerstes Mittel unausweichlich sein kann, ob diese Vorstellung auf diesen Krieg angewandt werden kann. Da muss ich auch im nachhinein sagen: Das ist nicht der Fall, ein äußerstes Mittel war es nicht. Die Kriegsziele, die als politische Ziele das Eine wie das Andere einen guten Sinn haben, haben als Legitimation gewechselt. Jetzt sagen Sie – wie viele: das war ein Befreiungskrieg, dessen Zweck der Sturz des Tyrannen war. Vorher war es mal ein Entwaffnungskrieg, der die Beseitigung von Massenvernichtungswaffen zum Ziel hatte. Im einen wie im anderen Fall gab es gute Gründe dafür zu sagen, das Ziel ist in sich legitim. Die Mittel müssen aber andere sein und im einen wie im anderen Fall haben wir ja jetzt einen merkwürdigen Zustand: Die Massenvernichtungsmittel, die beseitigt werden sollten, sind noch nicht gefunden worden und der Tyrann, von dem ich mir sehr gewünscht hätte, dass er vor einen internationalen Gerichtshof gestellt wird, von dem ist nicht mehr die Rede. Wo er ist, weiß keiner, abgesehen davon, dass, wenn man sich schon auf ethische wie völkerrechtliche Kriterien des Umgangs mit kriegerischer Gewalt beruft, ein ganz wichtiges Kriterium in der Frage besteht, dass der Zustand, der hinterher einkehrt, besser sein soll als der Zustand der vorher war.

Frage: Dann müssen wir also noch abwarten, bevor wir entscheiden, ob es ein gerechter Krieg war?

Huber: Richtig, man muss abwarten, ob dieses Kriterium schließlich und endlich zutrifft. Ob es ein gerechter Krieg war, ist damit aber trotzdem nicht beantwortet, weil der gerechte Krieg von mehreren Kriterien abhängt - jetzt mal abgesehen davon, dass auch bei der Erfüllung der Kriterien ich nicht von einem gerechten Krieg rede.

Frage: Warum nicht?

Huber: Ja, weil ich davon überzeugt bin, dass die Vorstellung, ein Krieg sei gerecht, eine so große – beinahe hätte ich gesagt ‚diabolische’ - Verführung in sich enthält, dass wir von dieser Rede von einem gerechten Krieg besser ablassen.

Frage: Aber das ist doch ein Streit um Worte! Es geht doch um die Frage, sind Kriege legitimierbar und warum soll man sie dann im äußersten Fall nicht gerecht nennen?

Huber: Ich muss mich ja immer wundern, wenn ausgerechnet Journalisten bei einem Versuch, Worte sorgfältig zu verwenden, sagen, das sei ein Streit um Worte! Es ist ein wichtiger Streit um ein wichtiges Wort!

Frage: ...der aber an anderer Stelle, zum Beispiel als es um den Kosovo-Krieg ging, von den Kirchen seinerzeit eindeutig zugunsten ‚gerecht’ oder ‚gerechtfertigt’ entschieden worden ist!

Huber: Ja, aber auch da werden Sie von mir niemals das Wort ‚gerechter Krieg’ gehört haben, sondern es ging nur um die Frage, ob in einer Situation, in der schon Krieg herrscht, die eigene Beteiligung durch die Anwendung militärischer Gewalt als äußerstes Mittel gerechtfertigt werden kann. Der Krieg im Kosovo wurde doch nicht ein gerechter Krieg dadurch, dass wir uns beteiligt haben! Es war ein absolut ungerechter Krieg, aber der Versuch, ihn mit Waffengewalt zu beenden, war eine äußerste Notmaßnahme – über die man im zeitlichen Abstand übrigens auch noch mal anders denkt als vorher. Insofern können wir sagen, beenden wir jetzt den Streit um das Wort. Ich sage, es geht um die Frage: war das im Irak eine ultima ratio, ein äußerstes Notmittel? Und ich sage: das war es nicht!

Frage: Sie haben in einer Predigt am 20. März im Berliner Dom folgenden Satz gesagt: ‚Jedes Menschenleben, das kriegerischer Gewalt zum Opfer fällt, ist ein Menschenleben zu viel’. Müsste man dem nicht aber genau so auch noch hinzufügen: ‚Jedes Menschenleben, das einem geduldeten Diktatur zum Opfer fällt, ist ein Menschenleben zu viel?

Huber: Auch das ist ein richtiger Satz.

Frage: Beide Sätze schließen sich aber unter Umständen aus!

Huber: Ja, sie schließen sich unter Umständen aus, wenn man der Meinung ist, dass diese Gewaltanwendung des Diktators nicht anders beendet werden kann als durch den Tyrannenmord. Dann soll man das sagen und dafür gerade stehen! Aber es ist ja genau so gekommen, wie man befürchtet hat: Wer sein Leben nicht gelassen hat, ist der Tyrann!

Frage: Aber ist vielleicht so verhindert worden, dass noch mehrere tausend Menschen – und man hat die Massengräber inzwischen gefunden – ihr Leben hätten lassen müssen, wenn man ihn denn weiter geduldet hätte?

Huber: Das ist eine Möglichkeit; das hätte sein können. Ich will nicht missverstanden werden. Ich gehöre zu denjenigen, die über zweierlei erschrocken sind: Erstens, darüber, wie lange wir gerade in Europa das Morden haben geschehen lassen, ohne es überhaupt auf den Radarschirm unseres Bewusstseins kommen zu lassen und wie lange wir, zweitens, zugeschaut haben – darüber bin ich erschrocken. Deswegen unterstütze ich die Überzeugung derjenigen, die gesagt haben, dass diese Tyrannei ein Ende haben musste. Aber ich halte fest an der Überzeugung, die Verwüstung des Landes, das Sterben von Zivilisten, das Chaos in Krankenhäusern, das Plündern von Kulturschätzen - das alles sind Folgen de Krieges, die damit verbunden sind, die ich durch nichts als gerechtfertigt ansehe!

Frage: Ein Kreuzzug ist der Irak-Krieg nicht gewesen, sollte er nicht sein. Trotzdem steht er natürlich in einem weiteren Horizont des Verhältnisses des Westens zum Islam, zu dieser Weltregion. Muslime gibt es auch in Deutschland, der christlich- muslimische Dialog wird auf dem Kirchentag – denke ich – ebenfalls eine prominente Rolle spielen. Haben Sie das Gefühl, dass dieser Dialog schon so geführt wird, wie man sich das wünschen sollte? Sie haben gelegentlich mal das Wort von der ‚Schummel-Ökumene’ angewandt, den man sozusagen auch für das Interreligiöse verwenden könnte. Wird da immer noch geschummelt, wenn es um das Gespräch zwischen Christen und Muslimen geht?

Huber: Es wird geschummelt - in dem Sinn nämlich, dass zentralen Fragen ausgewichen wird. Das nenne ich die ‚interreligiöse Schummelei’, von der ich glaube, dass sie nach dem 11. September nicht mehr möglich ist. In dieser Hinsicht ist der 11. September, glaube ich, eine Zäsur aus der wir die Folgerungen auch in Deutschland noch nicht in zureichendem Maß gezogen haben. Ich bin zudem sehr beunruhigt darüber, dass es sehr schwer ist, Gesprächspartner auf der muslimischen Seite für diesen Dialog zu finden. Es sind in meinen Augen zu oft dieselben Menschen auf die man stößt – nichts gegen diese Menschen, ihre große Gesprächsfähigkeit, die Gesprächskultur, die sie haben. Aber sie repräsentieren, ohne Zweifel, nicht die gesamte Breite des Islam, den wir auch in Deutschland haben.

Frage: Sie haben das Gefühl, uns wird da so eine Fassade vorgeführt?

Huber: Wir begegnen nur einem Segment innerhalb des Islam. Wir begegnen natürlich gerade nicht den stärker fundamentalistisch-islamistisch geprägten Gruppierungen...

Frage: Aber selbst an dieses, nicht das fundamentalistische Segment gibt es ja sogar eine Menge offener Fragen. Es wurde im Februar letzten Jahres vom Zentralrat der Muslime in Deutschland eine ‚islamische Charta’ veröffentlicht. Da hat die EKD auch dazu Stellung genommen, offene Fragen formuliert an dieses Grundverständnis der Beziehungen von Muslimen zur deutschen Gesellschaft. Wie intensiv ist der Dialog aufgrund dieses Papiers? Sie haben beklagt, dass es keine Personen gibt, die sie ansprechen können, aber es gibt ja jetzt immerhin etwas schwarz auf weiß, worüber man auch miteinander diskutieren kann.

Huber: Die weiterführenden Fragen, die vom Rat der EKD gestellt worden sind, diese Fragen sind – jedenfalls was mich betrifft – vollständig unbeantwortet.

Frage: Sind sie inhaltlich unbeantwortet oder es hat gar keine Reaktion gegeben?

Huber: Sowohl als auch. Ich habe kürzlich noch mal nachgefragt. Dieser Brief der EKA an den Zentralrat ist nicht beantwortet und auch nicht die Grundfrage, um die es geht, nämlich ob eigentlich der Verzicht auf den Begriff eines islamischen Staates inhaltlich oder taktisch begründet ist. Diese Frage ist unbeantwortet und das ist ja ein wichtiger Kern. Wenn man als Minderheit in einem Land lebt und dann sagt‚ man käme ja gar nicht darum herum, den Pluralismus dieses Landes irgendwie zu akzeptieren’. Wenn man den nicht akzeptierte, wäre man selber gar nicht da. Etwas ganz Anderes ist, ob man im Grundsatz Pluralismus Respekt vor den Überzeugungen Anderer, Trennung von Religion und politischen Rechten und politischer Gestaltung, ob man das an sich akzeptiert oder nicht.

Frage: Und wenn es auf dem Kirchentag jetzt ein Begegnungszentrum geben wird zwischen Muslimen und Christen auf dem Berliner Mariannenplatz, ist es da dann auch wieder darauf angelegt, das es eher so kuschelig zugeht, wie der Kollege es eben nannte? Oder glauben Sie schon, dass dann solche offenen Fragen auch von der Basis – also von den Kirchentagsbesuchern – bei solchen interreligiösen Begegnungen ausgetragen werden?

Huber: Ich bin fest davon überzeugt dass, was wir in Berlin erleben werden, nach meiner Einschätzung eher offener, eher auch kontroverser sein wird. Dass man dafür eine bestimmte Atmosphäre braucht und dass man auch sich bemühen wird, eine Atmosphäre des wechselseitigen Respekts und von daher auch des Wohlfühlens zu haben - dass ist ja o.k.. Aber das alleine genügt nicht. Die Einsicht, dass man das Fremde nur verstehen kann, wenn man auch weiß, wo man selber zu Hause ist, dass Verständigungsprozesse geklärte Identität voraussetzen - diese Einsicht wird einem manchmal auf eine sehr unangenehme Weise aufgenötigt. Aber sie ist unabhängig davon richtig.

Frage: Gäbe es im Moment ein politisches Amt, Herr Huber, das Sie auf keinen Fall oder das Sie gerne haben wollen würden?

Huber: Politische Ämter sind in diesem Sinn für mich überhaupt kein Thema. Abgesehen davon, dass ich mir wünsche, dass hierzulande in der öffentlichen Diskussion die Wahrnehmung von politischen Aufgaben auch ein Stück mehr Respekt und Anerkennung artikuliert wird und nicht nur die Häme dann, wenn es schief läuft. Wir sind alle darauf angewiesen, dass politische Ämter wahrgenommen werden. Wir machen es gegenüber der Politik genauso wie viele Leute es auch der Kirche gegenüber machen: Wir haben hohe Erwartungen; wir nehmen die Personen stark in Anspruch und wir verachten gleichzeitig die Institution. Und das ist keine gute Entwicklung. Da ist Korrektur angesagt, finde ich.


Wolfgang Huber wurde am 12. Aug. 1942 in Straßburg geboren. Nach dem Abitur studierte H. u. a. in Heidelberg, Göttingen und Tübingen evangelische Theologie und promovierte 1966 in Tübingen zum Dr. theol. 1972 habilitierte er sich in Heidelberg. Nach beiden theologischen Examen war H. 1966-1968 Vikar in Reutlingen. 1968 kam er zur Forschungsstätte der Evangelischen Forschungsgemeinschaft in Heidelberg. 1973 wurde er stellv. Leiter des Instituts dieser Forschungsstätte. Von 1973 – 1978 war H. Mitglied des theologischen Ausschusses der Evangelischen Kirche der Union. 1980 folgte H. einem Ruf als Professor für Sozialethik an die Universität Marburg. 1984: Professur für Systematische Theologie in Heidelberg. Seit 1979 Mitglied des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentages leitete H. 1985 als Präsident (1983-1985) den 21. Kirchentag in Düsseldorf. Als Gegner des ‚Kalten Krieges’ gab H. 1987 mit dem früheren Berliner Bischof Scharf Thesen zu ‚Versöhnung und Frieden mit den Völkern der Sowjetunion’ heraus, in denen er den Antikommunismus als Wurzel der Unversöhnlichkeit und als ein Haupthindernis für Frieden und Verständigung bezeichnete. H. vertrat stets die Meinung, dass sich die Kirche auch in der Politik zu Wort melden müsse, engagierte sich auch in der praktischen Politik als stellv. Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Heidelberg-Ziegelhausen und strebte zunächst für 1994 ein Bundestagsmandat an. Er zog jedoch im Juni 1993 seine Kandidatur zurück. Im Mai 1994 wurde H. Bischof der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg. Im öffentlichen Gespräch war H. u.a. als er das ‚Kirchenasyl’ für von der Abschiebung Bedrohte verteidigte, Kritik übte an Versäumnissen der Politik bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut für eine neue Struktur der Kirche plädierte und als erklärter Kriegsgegner. Im Mai 2001: Das Bundeskabinett beruft H. als eines von 24 Mitgliedern eines ‚Nationalen Ethikrats’, der sich im Vorfeld eines im Bundestag verabschiedeten Gesetzes mit Fragen der Gentechnik und des Embryonenschutzes befasste.

Quelle: DIE ZEIT 22/2003