Der Protest gegen den Irak-Krieg war richtig

EKD-Synodenpräses: Die Älteren müssen zur Finanzierung der Kirche herangezogen werden

19. Mai 2003


Schmude: Rentner sollen sich stärker an Kirchenfinanzierung beteiligen

Scheidender Präses der EKD-Synode: Erfahrung und Schaffenskraft der Senioren wird gebraucht

M o e r s (idea) - Für eine stärkere Beteiligung von Rentnern an der Kirchenfinanzierung plädiert der scheidende Präses der EKD-Synode, Jürgen Schmude (Moers). Der fast 67jährige Jurist hat seit 1985 den Vorsitz des Kirchenparlaments inne. In einem Interview mit der Evangelischen Nachrichtenagentur idea (Wetzlar) sagte er, Rentner würden so gut wie gar nicht zur Kirchenfinanzierung herangezogen, weil die wenigsten kirchensteuerpflichtig sind. Gleichwohl nutzten sie kirchliche Angebote häufig mehr als andere; oft seien sie auch vermögend. Hier müsse ein wirksamerer und gerechterer Weg gefunden werden. Das gelte auch für die Gesellschaft insgesamt. Wenn auf die Jüngeren immer größere Belastungen zukämen, könne es sein, dass Alte bis zur Feindseligkeit abgelehnt würden. Dazu trügen auch viele Senioren bei, wenn sie eine “gemeinschaftsfeindliche” Haltung an den Tag legten nach dem Motto: “Ich habe genug gearbeitet, nun lass ich mich verwöhnen.” Sie sollten nicht jede verringerte Rentensteigerung als undankbaren und ruchlosen Angriff auf ihr Lebenswerk betrachten. Statt dessen könnten sie ihre Erfahrungen und Schaffenskraft in die Gesellschaft einbringen. Kritik übt Schmude an einer seiner Ansicht nach zu starren Altersgrenze von 65 Jahren. Geeignete Personen müssten die Chance haben, bis zum Alter von 70 oder 75 Jahren Leitungsfunktionen zu übernehmen.

Enttäuscht über Uneinigkeit der Landeskirchen

Der frühere SPD-Bundesminister gehört der neuen EKD-Synode, die sich am 23. Mai in Leipzig konstituiert, nicht mehr an. Zu den Enttäuschungen seiner 18jährigen Amtszeit zählt Schmude die Uneinigkeit der Landeskirchen im Blick auf die umstrittenen Segnungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Selbst nach der Verabredung der Kirchenkonferenz (Vertretung der 24 Landeskirchen), dass niemand eigene Wege gehen solle, haben drei Synoden eine gottesdienstliche Begleitung für eingetragene Lebenspartnerschaften ermöglicht. Offensichtlich hätten sich manche Mitglieder der Kirchenkonferenz nicht getraut, ihre Synodalen für eine gemeinsame Haltung auf EKD-Ebene zu gewinnen, so Schmude. Um Homosexuelle nicht zu diskriminieren, müsse die Kirche nicht Rituale nachmachen, die für die Trauung entwickelt wurden.

Für ein Ende des kommunistischen Systems in Nordkorea

Auf die Frage, wie die EKD zu Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea stehe, sagte Schmude: “Ziel muss es weiterhin sein, ein Ende dieses kommunistischen Systems herbeizuführen.” In Nordkorea spielten sich unglaubliche Massenverbrechen ab. Schmude befürwortet eine Weltinnenpolitik, bei der die Verantwortlichen genug Handlungskraft entwickeln, um die Unterdrückung ganzer Völker zu verhindern. Voraussetzung sei ein Beschluss der UNO. Es dürfe nicht sein, dass ein Staat allein entscheide, gegen ein anderes Land vorzugehen, wie es die USA gegen den Irak praktiziert hätten.


Das Interview im Wortlaut:


Der Protest gegen den Irak-Krieg war richtig

EKD-Synodenpräses: Die Älteren müssen zur Finanzierung der Kirche herangezogen werden

Kein Repräsentant der EKD amtierte so lange wie er: Jürgen Schmude, Präses der EKD-Synode und damit Inhaber des nach dem EKD-Ratsvorsitz zweithöchsten Amtes in der evangelischen Volkskirche. Als der promovierte Jurist 1985 von der EKD-Synode gewählt wurde, war der damals 48jährige bereits Bundesjustiz-, Bildungs- und Innenminister im Kabinett von Helmut Schmidt gewesen. Nachdem 1982 die SPD in die Opposition ging, wurde er stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Diese Position gab er dann zugunsten seines kirchlichen Amtes auf. In der neuen Legislaturperiode der EKD-Synode, die in dieser Woche mit der Tagung in Leipzig eröffnet wird, kandidiert der fast 67jährige nicht mehr als Präses des 120köpfigen “Kirchenparlaments” von 26,3 Millionen Kirchenmitgliedern in 24 Landeskirchen. Mit Schmude, der 1944 seine ostpreußische Heimatstadt Insterburg verlassen musste und im niederrheinischen Moers Heimat fand, sprach Helmut Matthies.

idea: Herr Präses, selten hat sich die EKD derart eindeutig geäußert wie gegen den Irak-Krieg. In einzelnen Stellungnahmen von Kirchenleitern wurden Szenarien gezeichnet mit hunderttausenden Toten, Millionen Flüchtlingen, schweren Folgen für das israelisch-palästinensische oder das christlich-islamische Verhältnis. Davon ist – Gott sei Dank – nichts eingetreten. Hätte man mit seinen Prognosen nicht vorsichtiger sein müssen? Und: Müsste man sich jetzt nicht dankbar darüber äußern, dass eine Diktatur relativ schnell ein Ende gefunden hat?

Schmude: Es ist eine Tatsache, dass es die befürchteten größeren Katastrophen nicht gegeben hat. Es ist aber auch Tatsache, dass sowohl Tausende von Toten als auch die Zerstörung vieler Bereiche des Iraks zu beklagen sind. Den vielen Toten ist nicht mehr zu helfen. Das alles ist schlimm genug. Von daher gibt es keinen Grund zur Verharmlosung nach dem Motto: “Es ist doch alles noch ganz gut verlaufen.” Entscheidend aber ist, dass wir uns von der EKD vor allem deshalb so engagiert gegen diesen Krieg geäußert haben, weil unter Berufung auf den christlichen Glauben durch führende Persönlichkeiten des Westens – besonders der USA – die Notwendigkeit dieses Krieges begründet wurde. Dem aber können wir uns nicht anschließen.

Ein vorzeitiges Jubelgeschrei ist in Sachen Irak nicht angebracht

idea: Nun wird ausgerechnet von einzelnen prominenten Linken mit einem selbstkritischen Blick auf die eigenen Reihen darauf hingewiesen, dass der Irak-Krieg zwar über 4.000 Tote gebracht habe und jeder Tote natürlich einer zuviel sei, dass aber dem Saddam-Regime insgesamt eine Million Menschen zum Opfer fielen, also rund 40.000 pro Jahr. Dank des Krieges gebe es also in diesem Jahr wesentlich weniger Opfer im Irak zu beklagen. Man müsste diesen Krieg also nach dem Motto bejahen: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende ...

Schmude: Das sind unrealistische Betrachtungen. Wie viele Tote es noch bei Folgekonflikten im Irak geben wird, muss man abwarten. Ein vorzeitiges Jubelgeschrei ist jedenfalls nicht angebracht. Ich bin ein Anhänger einer Weltinnenpolitik, bei der die Verantwortlichen mit entsprechender Handlungskraft dafür sorgen müssten, dass die Unterdrückung ganzer Völker unterbunden wird. Das kann aber nur so gehen, dass die Staatengemeinschaft vereint beschließt und dann handelt, und nicht, dass ein Staat, wie jetzt die USA, plötzlich von selbst entscheidet, gegen ein anderes Land vorzugehen.

In Nordkorea unglaubliche Massenverbrechen

idea: Laut Menschenrechtsorganisationen gibt es derzeit weltweit 46 Kriege – mit teilweise schrecklichen Folgen, wenn man beispielsweise an den Krieg gegen die eigene Bevölkerung in Nordkorea denkt, der bereits zwei Millionen Hungertote zu verzeichnen hat. Wird die EKD hier auch massiv protestieren?

Schmude: Für mich spielen sich in Nordkorea unglaubliche Massenverbrechen ab, und vermutlich wird gegen dieses Land von der UN und den USA bisher relativ wenig unternommen, weil man Angst hat vor dessen möglichen Atomwaffen und auch davor, dass Südkorea stark betroffen sein könnte, liegt doch z.B. dessen Hauptstadt nur 40 Kilometer von der nordkoreanischen Grenze entfernt. Von daher halte ich mich mit Ratschlägen zurück. Aber Ziel muss es weiterhin sein, ein Ende dieses kommunistischen Systems herbeizuführen. In der EKD sind wir grundsätzlich dafür, dass alle Kriege, die gegenwärtig geführt werden, ein Ende finden, denn Krieg bedeutet immer furchtbares Leid.

Was ich besser nicht geäußert hätte

idea: Worüber haben Sie sich in den 18 Jahren als Präses der EKD-Synode besonders gefreut?

Schmude: Über das, was ich selbst nicht erreicht, aber als großes Glück empfunden habe: die Öffnung der Mauer, die deutsche Einheit. Ich habe mich zuvor sehr für die Aufrechterhaltung der kirchlichen Beziehungen zwischen Ost und West engagiert und mich natürlich dann auch besonders über die wiedervereinigte EKD gefreut. Ich habe bereits 1985 nach meiner Wahl zum Präses in einem idea-Interview gesagt, ich verstünde gar nicht, warum der deutsche Protestantismus in eine Ost- und Westkirche geteilt sei. Das hat mir bei unseren kirchlichen Freunden im Osten den Vorwurf der Dummheit eingebracht. Sie meinten, so etwas sage man nicht, das schade ihrer Arbeit. Aber so war eben die Zeit des Kalten Krieges.

idea: Trotzdem hat man im Zusammenhang mit Ihrer Wahl nicht verstanden, dass Sie, kurz bevor Sie 1985 zum Präses gewählt wurden, in einem Vortrag das Einheitsgebot des Grundgesetzes in Frage stellten und noch wenige Tage vor dem Fall der Mauer in der Fernsehsendung “Pro und Kontra” Wiedervereinigung den Kontra-Part übernommen hatten.

Schmude: Meine Überlegung zum Wiedervereinigungsgebot war missverständlich formuliert. Ich hätte sie besser nicht  geäußert. Mir ging es damals tatsächlich um den Zusammenhalt der Deutschen, aber das wurde so vielfach nicht verstanden. Und bei der Fernsehsendung Ende Oktober 1989 war ich mit meiner Zuordnung zur Kontra-Position  nicht einverstanden. Mein zweiter Satz in der Sendung lautete: “Ich bin nicht gegen die Wiedervereinigung; ich bin sehr wohl gegen eine Diskussion, die den Eindruck erweckt, als läge die Wiedervereinigung auf dem Tisch.”

Die Parteizugehörigkeit spielt heute in der Kirche kaum noch eine Rolle

idea: Als Sie als noch ranghoher SPD-Politiker Präses der EKD-Synode wurden, sprachen konservative Synodale von einem großen Linksruck in der EKD. Davon ist inzwischen nicht mehr die Rede. Ist die EKD also mehr in die Mitte gerückt oder gar frömmer geworden?

Schmude: Es ging mir als Präses immer um zweierlei: Erstens habe ich mich enorm darum bemüht, dass alle politisch aktiven Protestanten, in welcher demokratischen Partei sie auch seien, innerhalb der EKD zusammenhalten. Ich bin froh, dass dies im wesentlichen gelungen ist. Die Frage der Parteizugehörigkeit spielt heute in der EKD kaum noch eine Rolle. Entscheidend ist vielmehr, was der einzelne aus seiner Parteizugehörigkeit macht und wie er mit seinen Mitmenschen umgeht. Zweitens war und ist mein Ziel, dass sich Kirche von der Politik bewusst unterscheidet. Politische Aktionen zu initiieren, das können Politiker naturgemäß oft besser als andere. Die Kirche aber muss vor allem Orientierung geben, Themen ansprechen und Angebote machen, wie das andere nicht können, kurzum: den Horizont des Evangeliums eindeutig klar machen. Ich denke, dass das in den letzten Jahren auch verstärkt gelungen ist.

idea: Hat sich damit Ihr Wunsch, den Sie 1996 äußerten, dass es doch in den nächsten Jahren einen geistlichen Aufbruch in der EKD geben möge, erfüllt?

Schmude: Ein wenig schon, wobei mir bewusst ist, dass nichts auf Dauer wirksam bleibt, wenn man sich nicht dafür auch stark engagiert. Von daher freue ich mich ganz besonders, dass vermutlich die Synodentagung mit der größten Resonanz in den letzten Jahren die in Leipzig 1999 zum Schwerpunktthema Evangelisation und Mission war. Denn kaum ein anderes Synodenthema wird so häufig zitiert wie dieses.

Das Verhalten von drei Synoden ist ein Rückschlag für die EKD

idea: Gerade in den letzten Monaten musste die Leitung der EKD – der Rat – einen Wermutstropfen hinnehmen. Obwohl alle Leiter der 24 Mitgliedskirchen der EKD auf der Kirchenkonferenz im Sommer beschlossen hatten, keine eigenständige Lösung in der Frage der Homo-Segnung vorzunehmen, sondern zu warten, bis es eine einvernehmliche Lösung in der EKD gibt, haben die Synoden von Berlin-Brandenburg, Hessen-Nassau und der Pfalz sich nicht daran gehalten, sondern sich für die Segnung ausgesprochen. Der badische Landesbischof Ulrich Fischer hat dies als Verstoß gegen die Gemeinschaft der Landeskirchen kritisiert. Er sprach von einem Rückschlag für die EKD. Wie ist so etwas möglich, wo man doch andererseits ständig eine Stärkung der EKD fordert?

Schmude: Zunächst einmal lege ich größten Wert darauf, dass Homosexuelle in der Kirche weder diskriminiert noch diffamiert werden dürfen. Sie müssen vielmehr voll angenommen werden und mitwirken können in allen kirchlichen Bereichen. Das bedeutet aber nicht, dass deswegen Rituale nachgemacht werden müssen, die etwa für eine Eheschließung entwickelt worden sind. Denn eine solche Übernahme entspricht nicht dem Auftrag der Kirche. In der Tat ist es für mich enttäuschend, dass wir einerseits in der Kirchenkonferenz fest verabredeten, dass niemand eigene Wege gehen soll, und andererseits dann genau das doch geschah. Manche Mitglieder der Kirchenkonferenz trauten sich offensichtlich nicht, ihren Synodalen zu sagen: “Lasst uns doch erst einmal auf EKD-Ebene versuchen, eine gemeinsame Haltung einzunehmen.” Gleichzeitig bitte ich aber die Kritiker dieser Synodenentscheidungen, die Abweichung nicht hochzuspielen, als entscheide sich an der “Homo-Segnung” die Frage der Bibeltreue. Ich vermute, dass es sich hier schließlich um Einzelfälle handeln wird, es also nicht viele dieser “Segnungen” geben wird.

Eine “Kirchensteuer” für Rentner?

idea: Was hätten Sie als Präses gerne noch in der EKD erreicht?

Schmude: Ich hätte gern zu einer Lösung beigetragen, wie sich die Kirche noch wirksamer und gerechter finanzieren kann. Es ist ja so, dass Rentner bisher so gut wie gar nicht zu Zahlungen herangezogen werden, obwohl sie kirchliche Angebote häufig mehr als andere in Anspruch nehmen und oft auch vermögend sind. Hier müsste ein Weg gefunden werden. Mir ist nichts Brauchbares dazu eingefallen. Generell hätte ich gerne, dass sich die Synode mit der immer stärkeren Alterung unserer Gesellschaft beschäftigt. An dieses Thema wollte man aber bisher offensichtlich nicht heran, weil man meinte, es lasse die Kirche dann selbst alt aussehen. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass auf die Jüngeren immer größere Belastungen zukommen, so dass es sein könnte, dass Alte bis hin zur Feindseligkeit abgelehnt werden.

Der Standpunkt vieler Alter ist gemeinschaftsfeindlich

idea: Wie könnte eine Lösung aussehen?

Schmude: Zum einen: dass die Alten nicht jede verringerte Rentensteigerung als undankbaren und ruchlosen Angriff auf sich betrachten. Zum andern: dass mehr Ältere als bisher ihre große Erfahrung und Schaffenskraft, die sie ja oft durchaus noch haben, in die Gesellschaft einbringen – gerade auch für die Jüngeren. Der Standpunkt vieler: “Ich habe genug gearbeitet, nun lass ich mich verwöhnen” ist gemeinschaftsfeindlich und auch nicht mehr durchzuhalten angesichts der Entwicklung, dass es bald mehr Ältere als Jüngere geben wird. Ein Problem der Politik ist hier, dass sie sich angesichts des großen Wählerpotentials nicht an unbequeme, aber notwendige Entscheidungen herantraut.

Man sollte auch noch mit 75 evangelischer Bischof sein können

idea: Hat man aber nicht auch durch kirchliche Gesetze mit dafür gesorgt, dass vielfach bereits 65jährige nicht mehr verantwortlich tätig sein können? Die Bischöfe, die aus der Nachkriegszeit am bekanntesten sind, sind die, die bis über 70 amtierten: Otto Dibelius (bis 86), Hanns Lilje und Martin Niemöller (beide bis 72). Das wäre bei der heutigen Kirchengesetzgebung unmöglich, bei der Bischöfe in der Regel mit 65 aufhören müssen. Andererseits fasziniert der Papst mit 82 Jahren Millionen Jugendliche, und wenn Billy Graham mit seinen 84 Jahren predigt, kommen weiterhin Zehntausende. Wer aber ist heute selbst in der EKD-Synode noch über 70? In der evangelischen Kirche erklären Bischöfe schon Anfang 60, sie seien jetzt zu alt und müssten abtreten. Ist es da ein Wunder, wenn es sich Älteren geradezu aufdrängt, dass sie offensichtlich nicht mehr gewollt sind?

Schmude: Wir haben leider in Deutschland zu starre Regelungen. Wer 65 ist und gerne weitermachen möchte, darf es meist gesetzlich nicht. Das ist auch in fast allen Landeskirchen so. In anderen Ländern und Kirchen ist man hier flexibler. Wir sollten deshalb die Möglichkeit schaffen, dass Gremien Persönlichkeiten, die dazu in der Lage wären, bitten können, doch bis 70 oder 75 weiterhin eine Leitungsfunktion zu übernehmen, wie dies z. B. in der katholischen Kirche der Fall ist. Aber dazu gehört eine Kultur des offenen Umgangs miteinander, in der das Nein zu einer Verlängerung ebenso selbstverständlich ist wie eben auch das Ja zu einer Weiterbeschäftigung. Im übrigen gibt es besonders für pensionierte Pfarrer viele Möglichkeiten, weiter aktiv zu bleiben, indem sie Vertretungsdienste übernehmen, sich um kirchliche Gruppen kümmern usw. Dies wird je länger, je mehr nötig sein und sollte vielleicht auch kirchlich stärker gefördert werden.

Geht es unter Rats-Christen anders zu als unter Politikern?

idea: Sie können wie sonst kein anderer Kirchenmann einen Vergleich zwischen dem Umgang in politischen Gremien – in Ihrem Fall das Bundeskabinett unter Helmut Schmidt (SPD) – und der Leitung der evangelischen Volkskirche ziehen. Geht es eigentlich unter solcherlei Christen anders zu als unter Politikern?

Schmude: Es geht friedlich, verbindlicher und menschlicher zu. Allerdings bin ich der letzte, der auf Politiker Steine wirft, sie also schlecht macht. Sie stehen unter ganz anderen Zwängen als Kirchenleute, so dass sich von daher manche Probleme erklären lassen.

“Ein CVJMer tanzt nicht”

idea: Sie sind durch einen der bekanntesten evangelikalen Jugendpfarrer der Nachkriegszeit geprägt worden: Johannes Busch (1905-1956) vom CVJM-Westbund. Was hat Sie an ihm fasziniert?

Schmude: Ich habe Busch im Rahmen einer Evangelisationswoche erlebt, zu der wir als CVJM-Mitglieder nach Rheinhausen – heute ein Stadtteil von Duisburg – gefahren sind. Was mich damals im Alter von 14, 15 Jahren sehr angesprochen hat, waren sowohl seine Offenheit als auch die Unbedingtheit seiner biblischen Verkündigung. Was er und sein Bruder Wilhelm – ebenfalls Jugendpfarrer – Anfang der 50er Jahre über äußere Formen sagten, sieht man heute natürlich etwas anders.

idea: Wie meinen Sie das?

Schmude: Damals gab es heftige Diskussionen darüber, wie weit sich der CVJM, der sich einst ja Christlicher Verein Junger Männer nannte, auch für Mädchen und Frauen öffnen sollte. Wilhelm Busch nahm dazu mit einem harten Wort Stellung: “Bleibt mir mit den Weiberröcken vom Hals.” Inzwischen nennt sich der CVJM Christlicher Verein Junger Menschen, und das weibliche Geschlecht ist voll integriert. Anders denkt man wahrscheinlich auch bei der Frage, wie ein CVJM-Mitglied es mit dem Tanzen halten solle. Damals war ein geflügeltes Busch-Wort: “Gegen das Tanzen an sich ist nichts einzuwenden, aber wer tanzt schon an sich.” Damit war natürlich klar: Ein CVJMer tanzt nicht.

idea: Vielen Dank für das Gespräch.

Quelle: Informationsdienst der Deutschen Evangelischen Allianz (idea) vom 19. Mai 2003