"Rückfall in die Kanonenboot-Politik der Vergangenheit"

EKD-Ratsvorsitzender im Gespräch mit SWR 2

17. Februar 2003


Interview am Sonntag, 16.02.2003, 12.45 bis 13.00 Uhr

Holger Gohla im Gespräch mit Präses Manfred Kock, EKD-Ratsvorsitzender

"Rückfall in die Kanonenboot-Politik der Vergangenheit"

EKD-Ratsvorsitzender: Der Irak ist keine ernsthafte Bedrohung

Baden-Baden. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Manfred Kock, hat den amerikanischen Präsidenten scharf kritisiert. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Kock, die Irak-Politik von George W. Bush sei "ein Rückfall in die Kanonenboot-Politik der Vergangenheit". Durch Bush sei ein Paradigmenwechsel eingeleitet worden. "Krieg, militärische Gewalt ist wieder ein normales Mittel der Politik. Das, was nach Gottes Willen nicht sein soll, das wird jetzt zur Unterstützung einer politischen Forderung benutzt", erklärte Kock. Der Irak sei keine ernsthafte Bedrohung. "Und daher ist ein Präventivkrieg hier nicht gerechtfertigt", meinte Kock.

Er begrüßte, dass in der deutschen Bevölkerung "eine große Bewegung gegen den Krieg vorhanden" sei. Deshalb dürften die Kirchen auch die Hoffnung nicht aufgeben, "dass Appelle nutzen, dass Gebete hilfreich sind". Die friedliche Lösung des Ost-West-Konflikts habe gezeigt, "dass Gebete und Kerzen dazu beitragen, eine gewaltfreie Lösung zu finden".

Kock zeigte sich besonders darüber enttäuscht, dass George W. Bush in seine Begründung für einen Krieg gegen den Irak sehr viele religiöse Komponenten einbeziehe. Mit Berufung „auf eine göttliche Instanz werde eine Art sakrale Begründung“ für den Krieg geliefert. Kock wörtlich: "Das schmerzt umso mehr als wir erleben, wie es im Bereich des Terrorismus auch solche heiligen Kriegsbeschwörungen gibt, die die Menschen in einer gewissen Form mobilisieren, ohne dass dabei die Vernunft noch gewahrt ist."


Das Interview im Wortlaut:

SWR2 - Interview der Woche vom 16.02.2003

Heute mit Präses Manfred Kock, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

SWR: Katholische wie evangelische Bischöfe haben sich, wie übrigens auch der Papst, sehr deutlich gegen einen Krieg im Irak ausgesprochen. Ein Angriff sei derzeit nicht zu rechtfertigen, ja ethisch ungerechtfertigt, heißt es in ökumenischer Eintracht. Ist denn ein vorbeugender Schutz, wie ihn insbesondere US-Präsident George W. Bush immer wieder hervorhebt, wirklich unmoralisch?

M. K.: Im Prinzip ist natürlich ein Schutz nicht unmoralisch. Aber ein Schlag gegen einen Gegner, der erkennbar nicht zum Angriff entschlossen ist, von dem man nicht weiß, was für Waffen er hat, der 1991 in hundert Stunden überwunden war und nun noch etwa ein Drittel der damaligen Militärmacht hat, ist keine ernsthafte Bedrohung. Und in sofern ist hier ein Präventivkrieg auch nicht gerechtfertigt.

SWR: Warum ist der Rat der EKD in seiner Erklärung nicht genauso deutlich gewesen wie die katholischen Bischöfe, die einen Präventivkrieg, wie die USA ihn offenbar führen wollen, explizit als nicht gerechtfertigt bezeichnet haben?

M. K.: Unsere Erklärung sagt dasselbe. Sie sagt, es ist derzeit nicht erkennbar, dass irgendeine Rechtfertigung für einen Krieg da ist und deshalb wird dieser Krieg eindeutig verurteilt.

SWR: Was können Appelle von Kirchenführern in der Politik überhaupt bewegen?

M. K.: Zunächst einmal ist deutlich, dass in der Bevölkerung eben doch eine große Bewegung gegen diesen Krieg da ist. Wir dürfen nicht die Hoffnung aufgeben, dass Appelle nützen, dass Gebete hilfreich sind. Es hat Beispiele dafür gegeben, dass es Erfolg gibt, dass ein Krieg abgewendet wird, dass Gewalt abgewendet wird. Und das ist eigentlich nach wie vor die Hoffnung, wenn sie auch, was das tatsächliche Vorgehen der Amerikaner angeht, gering ist.

SWR: An welches hoffnungsvolle Beispiel denken Sie?

M. K.: Ich denke, dass wir mit dem Ende der Ost-West-Spaltung erlebt haben, dass Gebete und Kerzen dazu beitrugen, eine gewaltfreie Lösung zu finden. Das war ja nicht selbstverständlich. Da waren die militärischen Truppen ja auch vorbereitet, eigentlich loszuschlagen auf der Seite der DDR, die Betriebskampfgruppen usw. – und das ist nicht geschehen. Und ich schiebe das darauf, dass die Bevölkerung selbst wirklich zum Frieden entschlossen ist und nicht darauf aus ist, sich gewalttätig zu entladen.

SWR: Kommt der Impuls zu einer vielleicht neuen wachsenden Friedensbewegung etwas zu spät?

M. K.: Das mag sein. Was mich besonders enttäuscht, ist ja, dass in der Begründung von Präsident Bush, auch sehr viel religiöse Komponenten einbezogen sind. Er hat sich darauf berufen, dass Gott nun Amerika erwählt hat, den Frieden zu stiften und in der Welt das Heil zu bringen. Er hat davon gesprochen, dass es eben ein Übel zu beseitigen gilt und dass er darin eben auch einem geradezu wörtlichen Auftrag folgt. Und das ist eine große Beschwernis, weil der Krieg dann, wenn man ihn führen müsste, ja nur auch rational begründet werden kann. Und hier wird unter Berufung auf eine göttliche Instanz doch eine Art sakraler Begründung gemacht und das schmerzt umso mehr als wir ja erleben wie es im Bereich des Terrorismus auch solche heiligen Kriegsbeschwörungen gibt, die die Menschen dann eben in einer bestimmten Form mobilisieren, ohne dass dabei die Vernunft noch gewahrt ist.

SWR: Unterstützen Sie dann die, ich sage mal, restriktive Haltung der Bundesregierung, sich nicht am Irak-Krieg zu beteiligen?

M. K.: Ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung klar gesagt hat: Wir nehmen an diesem Krieg nicht teil. Ich bin auch froh, dass die Oppositionen im Grunde ja nichts anderes sagt. Sie sagt: Es muss, wenn dann mandatiert werden durch die Vereinten Nationen. Und das ist ja doch eine sehr schwere Hürde, die zu überwinden ich im Moment gar nicht für wahrscheinlich halte. Das heißt also, wir leben in einem Land, das sich nicht ohne Not an einem Krieg beteiligen wird.

SWR: Was ist denn der Unterschied zwischen Jugoslawien und dem Balkan-Konflikt und jetzt dem Irak und der Situation dort?

M. K.: Im Balkan war es eine unmittelbare Bedrohung von Menschen. Da gab es terroristische Aktionen, die deutlich darauf hinausliefen, dass ein ganzes Land ethnisch gesäubert wurde. Das schien damals jedenfalls als eine Situation, in der man militärische Gewalt rechtfertigen konnte. Ich selber habe aber den Eindruck, dass auch in der Beschreibung, wie das eigentlich gelaufen ist, eben vieles versäumt worden ist, bevor es dann zur Gewalt kam. Man hätte möglicherweise rechtzeitig jedoch deutlicher noch diplomatische Mittel einsetzen müssen. Und der Kosovo selbst jetzt ist ja unter dem Schutzschild einer Militärschutzmacht, sonst würden sich diese Bevölkerungsteile wahrscheinlich immer noch in die Haare geraten. Und nun kommt ja die entscheidendere Aufgabe: Wie kann man denn das jetzt nun hinkriegen, dass die friedlich miteinander leben. Man kann ja nicht ewig das nur mit Soldaten machen. Das ist übrigens auch die große Frage für den Irak. Ich weiß gar nicht, was nach einem schnellen Sieg die Amerikaner dann eigentlich vorhaben. Wer soll denn dann die Ruhe bewahren? Welches Regime soll da einkehren? Wer soll davor bewahren, dass nicht dann wirklich Islamisten in diesem Land das Sagen bekommen? Und wohin wird dann die Reise gehen? Also Militär, wenn es denn im äußersten Notfall angewandt wird, ist dann immer noch nicht die Lösung, sondern es muss dann wirklich Frieden geschaffen werden.

SWR: Präses Kock, müssten aber nicht die katholischen, die evangelischen Christen in Deutschland und in der Welt nicht noch viel deutlicher sagen, dass Krieg letztlich kein Mittel gegen Politik ist und sein kann?

M. K.: Das ist genau für mich im Moment die große Schwierigkeit, dass ich sehe, hier ist ein Paradigmenwechsel durch Bush eingeleitet. Nämlich Krieg, militärische Gewalt ist wieder ein normales Mittel der Politik. Das, was nach Gottes Willen nicht sein soll, was man allenfalls als äußerste und auch immer mit Schuld verbundene Möglichkeit dann schließlich hinzunehmen bereit war, das wird sozusagen jetzt als Unterstützung einer politischen Forderung benutzt, und es ist letztlich wieder ein Rückfall in die Kanonenboot-Politik der Vergangenheit.

SWR: Präses Kock, von außen betrachtet kann man manchmal den Eindruck haben, dass die Kirchen viel reden, die Politik wenig hört, geschweige denn Rücksicht nimmt. Beispiel: Bioethik-Diskussion. Die Kirchen sind allenfalls gewünscht als professionelle Bedenkenträger - beim Frieden genauso. Oder fühlen sie sich von den Politkern wirklich gehört und verstanden?

M. K.: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Situationen, eben auch in der Bioethik, an denen deutlich wird, dass die Einreden, die durch die Kirchen und durch kirchliche Wissenschaftler eingelegt worden sind, doch zu einer größeren Nachdenklichkeit geführt haben. Ich möchte mir nicht vorstellen, was wir eigentlich erreicht hätten, wenn die Kirchen das nicht gemacht hätten, wie schnell plötzlich alles hier gemacht und in Gang gesetzt würde, was an Gespenstischem immer wieder durch die Meldungen blitzt; welche Klonerei sich in unserem Lande einstellen würde, wenn hier nicht ethische Bedenken auch artikuliert würden.

SWR: Sie werden seit Wochen nicht müde, sich für Reformen in unserem Land stark zu machen. Woran liegt es, dass der Reformstau, wie Sie es selbst nennen, nicht abgebaut wird und wir hier, wenn überhaupt, nur sehr langsam voran kommen. Wo klemmt es Ihrer Meinung nach?

M. K.: Dass es mit den Reformen nicht vorwärts geht, hängt damit zusammen, dass Reformen heute ein ganz besonderes Kennzeichen haben, dass sie in früheren Jahrzehnten unserer deutschen Politik nicht gehabt haben. Früher bedeutete Reform immer, dass es für die Menschen unverzüglich besser wurde, dass sie mehr soziale Möglichkeiten hatten, mehr soziale Sicherung, mehr Einkommen, schnelleres Wachstum ihres Wohlstandes. Jetzt bedeutet Reform ja Einschränkung von Sozialleistungen, Einschränkung von Gehaltssteigerungen, Einschränkung von Konsum, Einschränkung von ungehemmten Verbrauch – und das ist für die Menschen schwer zu begreifen. Allgemein und theoretisch sagt das jeder, dass das nötig ist. Aber wenn es den eigenen Geldbeutel betrifft, ist es nicht so leicht. Und deshalb tun sich die Politiker schwer, deshalb kriegen sie ihre Quittungen, wenn sie auch nur anfangen, irgendwo etwas in diese Richtung zu denken. Und dass sie es so zögerlich tun, hängt damit zusammen, dass sie eben den Mut zu Reformen wirklich nicht aufbringen. Aber ich glaube, dass es nötig wäre, dass Politiker wirklich den klaren, geraden Kurs angehen und den Leuten aufrichtig sagen, was sie erwartet, wenn es um die Sicherung der Gesundheitsfinanzierung, auf der Rentenfinanzierung geht. Das geht nicht ohne Einschränkungen.

SWR: Besteht aber nicht die Gefahr für die Kirchen, dass sie sich auf die Seite der Politik schlagen. Sozialer Abbau, das Stichwort haben Sie schon gerade genannt, also dass die Kirche sich letztlich gegen die Schwachen und gegen die Armen stellt, wenn sie Reformen fordern?

M. K.: Was die Kirchen hier sagen, ist ja eine Richtung, bei der gewahrt bleiben muss, dass diejenigen, die wirklich keine eigenen Möglichkeiten haben, nun auch in besonderer Weise der Solidarität der Gesellschaft nach wie vor sicher sein müssen. Also Langzeitkranke, Menschen, die chronische Leiden haben, die darf man nicht durch ständiges Zuzahlen in völliges Elend hineinbringen. Dafür ist die Solidargemeinschaft da und die darf auch nicht abgeschafft werden. Wir müssen aber Erneuerungen und Einschränkungen und Eigenverantwortung und Eigenbeteiligung haben, damit das soziale System, damit diese solidarische Form der Hilfe für die Schwachen wirklich gewährleistet bleibt. Wenn wir jetzt nicht handeln, dann wird es eines Tages ganz zusammenbrechen und dann hilft es den Schwachen auch nicht.

SWR: Was heißt es denn dann aus christlicher, aus evangelischer Sicht, soziale Gerechtigkeit zu praktizieren?

M. K.: Soziale Gerechtigkeit ist eben die Form, in der denen, die wirklich keine Chancen und keine Möglichkeit haben, aufgrund von Krankheit, aufgrund von sozialen Aufwachsbedingungen, denen dazu zu verhelfen, dass ihre Chancen sich bessern, dass sie wirklich das Gefühl haben, wir leben in einer Gesellschaft, die ein Schutzschild ist auch für die Schwachen - das heißt soziale Gerechtigkeit. Und auf der anderen Seite muss es möglich sein, dass diejenigen, die eigenverantwortlich handeln können – und das ist bis zu einem gewissen Grade nach dem Maße, was ich gerade gesagt habe, ja jeder – dass sie auch nach dem Maße dessen, was sie auch leisten können, zur Leistung wirklich mit herangezogen werden. Und dann kommt noch ein Drittes hinzu, dass diejenigen, die gut verdienen und die ein Vermögen haben ansammeln können, immer dessen gewiss sein müssen, dass dieses zu einer gesellschaftlichen Verantwortung nötigt. Eigentum ist nicht ein Selbstzweck für einen mit dem man machen kann, was man will, sondern es ist immer eine gemeine Verpflichtung damit verbunden. Starke können in einer Gesellschaft immer mehr leisten für das Große und Ganze und müssen sich das auch immer wieder bewusst machen.

SWR: Wo soll denn konkret angesetzt werden? Rentenreform haben wir schon angesprochen. Was bedeutet, den Refomstau auflösen, beispielsweise in der Jugend- in der Familienpolitik, für Sie?

M. K.: Das eigentliche Problem der Familienpolitik ist ja: Wie kriegt man es hin, dass wieder mehr Familie da ist. Ich halte es schon für richtig, dass Menschen, die keine Familie gründen – aus welchen Ursachen auch immer und aus welchen Motiven – dass sie wissen, dass sie entsprechend eben mehr zum Gemeinwohl beitragen müssen als diejenigen, die jetzt Familie und Kinder haben. Und ich finde es auch erforderlich - das mahnen wir immer wieder an – dass diejenigen, die nun Kinder haben, in ihren beruflichen Entfaltungen selbst gestützt werden müssen. Das hängt mit der Betreuung der Kinder zusammen, mit den Möglichkeiten, dass sie eben, was die Schule angeht, mit Ganztagsbetreuungen auch dann den Eltern die Möglichkeit geben, beide Erwerbstätig zu sein, wenn sie es denn wollen. Und diese Möglichkeiten müssen verstärkt werden. Eine solche Familienpolitik würde eben auch die Chancen der Gesellschaft insgesamt wieder heben.

SWR: Was können die Kirchen denn konkret dazu beitragen? Sie bauen ja auch Kindergärten, Planstellen im sozialen Bereich ab.

M. K.: Ja, das ist das große Problem, dass ja die gemeinsamen Anstrengungen, so etwas zu finanzieren, auch bei der Kirche davon abhängt, dass möglichst viele Menschen bereit sind, das mitzutragen. Und wenn Menschen nicht mehr bereit sind, der Kirche selbst das Geld anzuvertrauen in Form ihrer Kirchensteuer, sondern lieber dann austreten, dann wird das so sein, dass die Kirche das nicht mehr in dem Maße kann wie sie es in früheren Zeiten gemacht hat. Dann muss die Gesellschaft eben auf eine andere Weise finanzieren. Und dann wird sie sicher denen, die ausgetreten sind, auch das zumuten, dass sie sich dazu dann wieder mit ihren Beiträgen beteiligen.

SWR: Präses Kock, muss die Kirche, katholisch wie evangelisch, nicht auch zur Kenntnis geben, dass es heute andere Formen des familiären Zusammenlebens gibt - keine Ehe, keine Familie im herkömmlichen Sinne – und auch das mit unterstützen?

M. K.: Also ich sehe, dass wir eigentlich mehr daran arbeiten müssten, das Zusammenleben verlässlicher zu gestalten, die Familie zu stärken. Man hat manchmal den Eindruck, als würden wir uns mehr darum kümmern, wie man elegant geschieden wird, als wie man besser zusammenleben kann.  Also ich sehe in den alternativen Lebensformen, dass Menschen zeitweise zusammen leben, Ehen auf Zeit führen oder mit weniger Verbindlichkeit, rechtlich sich nur noch privat gegenüber einigermaßen verpflichten - keine Perspektive für diese Gesellschaft.


Quelle: SWR 2