"Die Anwendung von Gewalt ist niemals gerecht"

Bischof Huber im Gespräch mit der Berliner Zeitung

13. Februar 2003


Bischof Huber über einen Krieg gegen Irak und den Versuch einer friedlichen Lösung

Der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, lehnt den Einsatz von militärischer Gewalt nicht grundsätzlich ab. Gegenüber dem Irak hält er ein kriegerisches Vorgehen aber für nicht gerechtfertigt.

Christen aller Konfessionen demonstrieren und beten in diesen Tagen für den Frieden. Mit Kundgebungen und Fürbitten wird ein Krieg nicht verhindert werden können.

In jüngster Zeit haben Appelle und Demonstrationen nicht unmittelbar Kriege verhindern können. Aber sie haben die Bereitschaft unterstützt, andere Wege zu suchen. Sie haben, etwa in den achtziger Jahren, die Abrüstungsbereitschaft gefördert. Und sie können gegenwärtig dazu beitragen, dass über Grenzen hinweg neues Denken und Nachdenken einsetzt.

BZ: Was stützt Ihren Glauben, ein Krieg im Irak sei noch zu verhindern?

Huber: Meine Hoffnung richtet sich darauf, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Lage ist, eine Kriegsautomatik zu verhindern.

BZ: Bisher haben die Kirchen gesagt, Krieg müsse als letztes Mittel erlaubt sein. Gilt das nicht mehr?

Huber: Die Aussage heißt: Militärische Gewalt ist nur als äußerstes Mittel vertretbar. Es muss dafür einen zwingenden Grund geben. Der Schutz der Zivilbevölkerung und die Angemessenheit der Mittel müssen beachtet werden. Und man muss erwarten können, dass die Verhältnisse, die bei einem solchen Krieg herauskommen, besser sind als der Zustand, den man jetzt hat. Wenn man diese Kriterien auf die jetzige Kriegsplanung gegen den Irak anwendet, komme ich zu dem Ergebnis, dass sie nicht erfüllt sind. Dieser Militärschlag würde den Charakter eines Präventivkrieges haben. Und der lässt sich ethisch nicht rechtfertigen.

BZ: Unions-Politiker werfen Kirchenführern vor, ihnen fehle der Blick für die Realitäten. Sind Sie blauäugig?

Huber: Ich stelle diesen Kritikern die Gegenfrage: Wie könnt ihr es verantworten, für eine politische Realität, die ihr überhaupt noch nicht zu beschreiben vermögt, das Mittel tötender Gewalt einzusetzen?

BZ: Kommt bei Ihnen Gesinnung vor Verantwortung?

Huber: Ich kann nur dringend davor warnen, Gesinnungs- und Verantwortungsethik gegeneinander auszuspielen. Als ob Verantwortungsethiker gesinnungslos und Gesinnungsethiker verantwortungslos seien. Ich finde es unangemessen, Menschen, die vor der Anwendung von Gewalt warnen, das Etikett "Gesinnungsethiker" anzuheften und zu unterstellen, sie wollten ihre eigenen Hände in Unschuld waschen. Und es sei ihnen nicht so wichtig, ob darüber die Welt zu Grunde geht. Das ist nicht meine Position und auch nicht die der Leitungsgremien der evangelischen Kirche.

BZ: US-Präsident Bush begründet seine Machtpolitik auch mit religiösen Argumenten. Missbraucht er die Bibel?

Huber: Die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts haben uns gelehrt, dass wir von den Vorstellungen von einem gerechten Krieg Abschied nehmen müssen. Die Anwendung von Gewalt gegen Menschen ist niemals gerecht. Auch wenn sie um einer vermeintlich gerechten Sache willen geschieht. Es liegt mir fern, dem amerikanischen Präsidenten seine persönliche Frömmigkeit abzusprechen. Aber in der Art und Weise, in der er Elemente des christlichen Glaubens zur Rechtfertigung seiner Politik verwendet, ist er schlecht beraten.

BZ: Der Militäreinsatz der Amerikaner in Afghanistan hat kaum Proteste hervorgerufen. Warum hat die Friedensbewegung so schwach reagiert?

Huber: Damals standen wir unter dem Schock des 11. September. Deshalb war die Meinung weit verbreitet, Untätigkeit sei keine Antwort auf die mörderische Gewalt, die wir bei den Terroranschlägen erlebt haben. Dass in Afghanistan auch Dörfer zerstört, das Leben von Menschen vernichtet wurde, die mit dem Anlass nichts zu tun hatten, haben viele als gleichsam unvermeidlich hingenommen. Es ist erschreckend, dass wir im Blick auf die Opfer an Menschenleben dazu neigen, mit zweierlei Maß zu messen. Christen dürfen das auf keinen Fall zulassen.

BZ: In der Irak-Frage sind Bundesregierung und Kirchen nahe beieinander. Sehen Sie die Gefahr einer politischen Parteinahme?

Huber: Wir können unser Engagement als Kirchen nicht davon abhängig machen, welche Partei sich mit dem Thema Frieden identifiziert. Im Übrigen: Wenn Deutschland in der Welt dadurch auffällt, dass seine Regierung, seine Bevölkerung und seine Kirchen besonders deutlich für den Frieden und gegen die Anwendung militärischer Gewalt auftreten, dann braucht man sich dessen doch nicht zu schämen.

BZ: In Ostdeutschland wird Krieg stärker abgelehnt als in den alten Ländern. Wie erklären Sie sich das?

Huber: Ich habe den Eindruck, dass diese Ablehnung sich bei manchen Ostdeutschen mit Anti-Amerikanismus vermischt. Der scheint in den neuen Ländern stärker ausgeprägt zu sein als in den alten. Wir müssen uns aber dagegen wehren, Kritik an der amerikanischen Regierung mit Anti-Amerikanismus gleichzusetzen. Wenn man gegen einen Krieg im Irak auf die Straße geht, demonstriert man doch nicht gegen Amerika. Ich habe nirgendwo schärfere Kritik am gegenwärtigen Kurs der Bush-Regierung gehört als in den USA selbst. Von meinen amerikanischen Freunden und Gesprächspartnern höre ich immer wieder die inständige Bitte: Haltet an eurer klaren Position fest.

BZ: Wird das Thema Krieg oder Frieden zentrales Thema des Ökumenischen Kirchentages in Berlin werden?

Huber: Es könnte sein, dass dem Ökumenischen Kirchentag ein solches Thema zuwächst. Ich wäre dankbar, wenn es dazu nicht käme. Denn ich habe nach wie vor die Hoffnung, dass es gelingen kann, eine kriegerische Auseinandersetzung im Irak zu verhindern. Der Kirchentag, der in großem Einvernehmen zwischen den Kirchen vorbereitet wird, würde auch dann seine Thematik und seinen Sinn haben. Sollte es dennoch Krieg geben, dann wäre der Ökumenische Kirchentag der geeignete Ort für eine verantwortliche christliche Reaktion. Die würde heißen: Bekundung einer vorbehaltlosen Friedensbereitschaft und Eintreten für den Schutz von Menschen gegen Gewalt, von welcher Seite sie auch immer ausgeübt wird.

Das Gespräch führte Peter Pragal.


Quelle: Berliner Zeitung v. 13.02.2003