"Der Irak ist keine ernsthafte Bedrohung"

Der evangelische Ratsvorsitzende Kock wirft dem US-Präsidenten religiösen Fundamentalismus vor

04. Februar 2003


Manfred Kock, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, ist durch das Sendungsbewusstsein von US-Präsident Bush beim Vorgehen gegen den Irak beunruhigt. Im Gespräch mit Andreas Geldner und Michael Trauthig kritisiert er die Vermischung von Machtpolitik und religiös anmutender Rhetorik.

Welche Hoffnung haben Sie noch auf eine friedliche Lösung der Irak-Krise?

Ich habe nur noch wenig Hoffnung. Noch könnte Saddam Hussein zwar nachgeben und abrüsten, aber mein Verstand sagt mir, dass es kaum noch Chancen für den Frieden gibt.

Was macht Sie so pessimistisch?

Die Bush-Rede zur Lage der Nation hat meine Hoffnungen sinken lassen. Dabei wurde das entscheidende Motiv des US-Präsidenten deutlich: Er meint, eine amerikanische, religiöse, ja fast messianische Mission zu haben. Demnach hat Gott das amerikanische Volk dazu berufen, Gerechtigkeit in dieser Welt zu schaffen. Ich habe furchtbare Angst vor solch einer religiösen Begründung. Sie erinnert an die Argumente, mit der Islamisten zum Heiligen Krieg aufrufen. Eine solche Sicht erschreckt mich, weil man sich dann keine große Mühe mehr zu geben braucht, Saddam vielleicht auf eine andere Weise zu bändigen.

Sie glauben ernsthaft, politische Überlegungen träten bei Bush zurück?

Bei seiner Mission kämpft er gegen das Böse an sich. Er meint wohl, dann müsse man nicht mehr genau definieren, worin das Böse besteht und welche anderen Möglichkeiten es zu seiner Beseitigung gibt. Doch die Art der religiösen Begründung des US-Präsidenten finde ich auch aus einem anderen Grund bedenklich. Der Vorwurf, dass Religion zur Gewalt beiträgt, erhält auf diese Weise seine Bestätigung. Doch mit dem Glauben Jesu Christi hat dies nichts mehr zu tun. Es artikuliert sich so vielmehr ein fundamentalistisches Verständnis von der göttlichen Offenbarung, wonach ein auserwähltes Volk die Welt befreien soll. Gegen eine solche Auffassung hat es die Vernunft schwer. Das ist eine Sakralisierung der Politik.

Unterscheidet sich vielleicht an diesem Punkt das amerikanische und das europäische Glaubensverständnis?

Nein. Der große Teil der amerikanischen Kirchen, selbst die methodistische Kirche, aus der Präsident Bush kommt, ist mehrheitlich gegen den Krieg – insbesondere gegen eine religiöse Begründung für den Krieg. Es gibt aber offensichtlich in den konservativen Kirchen der Südstaaten starke fundamentalistische Kräfte, die sich auf diese Argumentation einlassen. Auch die Formulierung „Achse des Bösen“ ist ein den apokalyptischen Vorstellungen dieser Kreise entlehnter Begriff. Die Mehrheit der US-Kirchen teilt diese Sicht aber nicht: der Papst, die Katholiken, die ökumenisch orientierten Protestanten.

Würden Sie also George W. Bush als religiösen Fundamentalisten bezeichnen?

Wie seine persönliche Religiosität ist, weiß ich nicht. Der Präsident ist offenbar ein frommer Mann. Aber eine Politik, die mit einer solchen Sprache und einem solchen Bewusstsein formuliert wird, kann ich nur als fundamentalistisch bezeichnen. Manche meinen zwar, er nutze diese Argumentationsfigur nur, um Machtpolitik zu betreiben. Ich sehe aber in seinen Äußerungen die verschiedenen Motivationen unentwirrbar miteinander verbunden: Machtpolitik und religiöse Begründung.

Können Sie denn wenigstens seine Politik nachvollziehen?

Bei der politischen Beurteilung gibt es manche Dinge, die ich verstehe. Zum Beispiel dass er seinem Volk, das am 11. September diesen schrecklichen Anschlag erlebt hat, das Gefühl geben will: Wir tun etwas. Dies erklärt wohl auch, warum er sich mit Saddam eine Symbolfigur des Bösen herausgreift. Allerdings verstehe ich nicht die Auswahl des Gegners, die der US-Präsident jetzt trifft. Andere politische Bösewichter sind nicht derart im Visier wie der in Bagdad.

Könnten Sie sich eine Situation vorstellen, in der ein Militärschlag zum Beispiel gegen den Irak gerechtfertigt wäre?

Ich kann mir grundsätzlich Notlagen vorstellen, die Militärschläge rechtfertigen – aber nicht im Blick auf den Irak. Dieses Land ist doch seit dem Golfkrieg von 1991 eminent geschwächt. Sein militärisches Potenzial wurde um etwa zwei Drittel verringert. Ich halte den Irak heute nicht für eine so ernsthafte Bedrohung, wie sie uns vor Augen gemalt wird. Das bedeutet aber nicht, dass ich einem bedingungslosen Pazifismus das Wort rede. In unserer Kirche gibt es sowohl Menschen, die eine solche Haltung predigen, wie auch realpolitisch denkende Christen. In Bezug aber auf den Irak glaube ich, dass man schon zu früh auf den Krieg als Drohmittel gesetzt hat. Dies führe ich auf einen Wandel des politischen Klimas seit dem Ende des Ost-West-Konflikts zurück. Seitdem wird der Krieg wieder zum Mittel der Politik, und zwar nicht von irgendwelchen Schurkenstaaten, sondern leider auch von Nationen, mit denen wir verbündet sind.

Das klingt, als hätte es die Kriegserklärung des 11. September nie gegeben.

Der Terror kann nicht mit dem Mittel des Krieges gebändigt werden. Für das Vorgehen in Afghanistan gab es noch gute Gründe. Schließlich herrschte dort ein Regime, das die Terroristen schützte und förderte. Dagegen musste man sich wehren. Doch das Ergebnis dieses Krieges zeigt auch, dass der Terrorismus sich nicht in einem einzelnen Staat einnistet. Er ist vielmehr ein Fluidum in einem Teil dieser Welt. Beim Kampf gegen die Gewalttäter geht es darum, diesen Teil der Welt davor zu bewahren, im Terrorismus eine gerechtfertigte Handlungsweise oder in der Symbolfigur bin Laden ein Hoffnungszeichen zu sehen. Unsere afrikanischen Partnerkirchen berichten, wie sich in der Bevölkerung der Elendsviertel eine Stimmung – nicht nur unter den Muslimen – breit macht, die in solche Terrorakte sogar ihre Hoffnung setzt. Bin Laden ist dort ein beliebter Vorname für Kinder geworden. Solche Probleme sind mit dem Vorgehen gegen Saddam Hussein noch lange nicht gelöst.

Hat nicht die Kriegsdrohung die Inspektionen erst möglich gemacht, hat sie nicht erst Saddam zum Nachgeben bewegt?

Eine Kriegsdrohung ist nur glaubwürdig, wenn man auch bereit ist, den Militärschlag zu führen. Wenn ein Staat einen anderen angreift, ist es legitim, sich zu verteidigen. Ein Angriff kann auch gerechtfertigt sein, wenn die Völkergemeinschaft feststellt, dass es eklatante Verletzungen des Völkerrechts gibt. Dann können sich Staaten zu einer Art Polizeiaktion zusammentun. Ein solches Vorgehen bedarf aber auch genauer Ziele. Man muss wissen, was nach dem Krieg kommt. Das Ergebnis des Kosovo-Krieges etwa stimmt in dieser Hinsicht bedenklich. Dort herrscht nur Frieden, weil noch internationale Truppen im Land sind. Was folgt denn nach einem Sturz von Saddam? Auch in der irakischen Opposition gibt es Gruppierungen, die für den Islamismus anfällig sind.

Sieht sich die Kirche in dieser Frage als Stimme des Volkes?

Wir müssen unsere Einschätzung unabhängig davon formulieren, ob wir die Mehrheitsmeinung treffen. Ich bin aber froh um den Rückenwind für unsere Position. Das geht weit über die Grenzen unserer christlichen Gemeinden hinaus.

Wie weit soll der Protest gegen den Krieg gehen? Würden Sie sich an einer Sitzblockade vor einer US-Kaserne beteiligen?

Nein, ganz sicher nicht, solange ich in meinem Amt bin. Ob ich das als Privatperson im Ruhestand tun würde, weiß ich nicht. Ich unterstütze keine Formen der symbolischen Gegengewalt.

Welche Aktionen der Friedensbewegung würden Sie befürworten?

Ich persönlich bin der Meinung, dass wir als Christen und als Kirche nur die Macht des Wortes und des Gebetes haben. Beides müssen wir von jeder Form von Gewalt frei halten. Für mich sind die Symbole des Protests die Kerzen und die Gebete der Montagsdemonstrationen in der Ex-DDR.


Quelle: Stuttgarter Zeitung vom 4. Februar 2003