UN Weltgipfel: Weder gelungen noch gescheitert

Die Ergebnisse der UN-Konferenz für Nachhaltigkeit und Entwicklung in Johannesburg im Lichte der gemeinsamen Stellung des Rates der EKD und der DBK vom 5. Juli 2002

6. September 2002


1. Generelle Einschätzung

„Rio hat uns eine Straßenkarte geliefert, aber das war nicht gut genug. Wir brauchen einen Fahrplan“, sagte Nitin Desai, der Generalsekretär des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung zu Beginn der Konferenz in Johannesburg. Einen verbindlichen Fahrplan hat die Konferenz in Johannesburg jedoch nicht hervorgebracht. Es ist im großen Ganzen bei unverbindlichen Absichtserklärungen geblieben. „Fortschritte in der Umsetzung einer global nachhaltigen Entwicklung sind heute eine Überlebensfrage für die Zukunft der Menschheit“, haben der Rat der EKD und die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer Stellungnahme vor dem UN-Gipfel erklärt. Diese notwendigen Fortschritte blieben zwar nicht ganz aus, sind aber doch eher dem Handeln einzelner Länder überlassen, denn gemeinsame und verbindliche Aktionen sind in Johannesburg nur wenige verabredet worden.

Es ist außerordentlich bedauerlich, dass selbst angesichts der immensen globalen Probleme von Armut und Umweltzerstörung die Staatengemeinschaft noch weit von der Fähigkeit entfernt zu sein scheint, gemeinsam und verbindlich für das Weltgemeinwohl zu handeln. Mit der Durchsetzung kurzsichtiger nationaler wirtschaftlicher Interessen haben einige Länder - in vielen Fällen leider insbesondere die USA - weitergehende und verbindliche internationale Vereinbarungen verhindert. Das vom Generalsekretär der UNO, Kofi Annan, geforderte „globale Verantwortungsbewusstsein“ wurde allenfalls ansatzweise sichtbar. Die meisten Ergebnisse des UN-Gipfels sind vage und ohne Zeitpläne und konkrete Zielvorgaben. Da sich dieses Ergebnis bereits bei der Vorbereitung der Johannesburg-Konferenz abgezeichnet hat, konnte kaum mehr erwartet werden, auch wenn die Hoffnungen der Kirchen größer waren.

Die Kirchen hatten gehofft, dass durch die Vereinbarung von konkreten Maßnahmen, konkreten Zielen und klaren Zeitplänen die Absichtserklärungen von Rio, sich für eine nachhaltige Entwicklung einzusetzen, wenigstens teilweise in die Tat umgesetzt würden. Diese Hoffungen sind leider kaum erfüllt worden. Wir sind jedoch dankbar, dass sich die EU ebenso wie die deutsche Regierung ebenfalls für konkrete Verhandlungsergebnisse eingesetzt haben, wenn auch leider nicht mit den erhofften Erfolgen. Trotzdem gab es in einigen Teilbereichen auch Erfolge, während in anderen Bereichen nur vage und kaum weiterführende Kompromisse diese Erfolge erheblich trüben.


2. Einschätzung einiger Ergebnisse zu verschiedenen Themenfeldern im Einzelnen

Positiv:

-  Rio-Prinzipien: Grundsätzlich hält der Weltgipfel von Johannesburg an den so genannten Rio-Prinzipien fest, also das Vorsorgeprinzip und das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung der Staaten. Die Kirchen haben das Prinzip der Nachhaltigkeit, das der Weltgipfel in Johannesburg in den Vordergrund stellt, als Ausdruck christlicher Verantwortung für weltweite, gegenwärtige wie zukünftige Generationen umfassende Gerechtigkeit angenommen (so beispielsweise im Gemeinsamen Wort der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland vom Februar 1997, in der Schrift „Handeln für die Zukunft der Schöpfung“ der Deutschen Bischofskonferenz vom Oktober 1998 und der Studie „Ernährungssicherung und Nachhaltige Entwicklung“ der Kammer der EKD für Entwicklung und Umwelt). Vielleicht ist es angesichts der veränderten Weltlage und politischen Prioritäten ja schon ein Erfolg, das in Johannesburg das Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg bestätigt wurde und es diesbezüglich zumindest keine Rückschritte gab. Doch trotz vielfältiger Bemühungen und einzelner Fortschritte steht die notwendige Trendwende zu einer nachhaltigen Entwicklung noch aus.

- Schutz des Wasssers
Die Evangelische Kirche in Deutschland dankt der deutsche Verhandlungsdelegation, dass sie sich in Johannesburg für die Bekämpfung der Armut durch den nachhaltigen Schutz von Boden und Wasser eingesetzt hat. Der Zugang zu sauberem Wasser als Voraussetzung für gesundes Leben, wirtschaftliche Entwicklung und Ernährungssicherung wird im 21. Jahrhundert zur Schlüsselfrage der Armutsbekämpfung. Wir begrüßen deshalb, dass das UN-Millenniumsziel, bis 2015 die Zahl der Menschen zu halbieren, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und zu sanitären Anlagen haben, in den Aktionsplan von Johannesburg übernommen wurde.

- Gesundheitsschutz
Wir begrüßen auch die Absichtserklärungen, dass viele Industrieländer mit der Bereitstellung von mehr Mitteln für vorsorgenden Gesundheitsschutz in den Entwicklungsländern beitragen wollen und mahnen mit allem Nachdruck an, dass es dabei nicht wieder bei Absichtserklärungen und schönen Worten bleibt, sondern dass diese Maßnahmen umgehend in die Tat umgesetzt werden. Die EKD begrüßt vor allem die Entscheidung, das Menschenrecht auf Gesundheit im Text zu verankern. Damit ist ausgeschlossen, dass Genitalverstümmelung von Frauen als kulturelles Recht gerechtfertigt werden kann.

- Biodiversität
Von erheblicher Bedeutung ist der Beschluss, den globalen Verlust der Biodiversität bis 2010 umzukehren und im Rahmen der Konvention für biologische Vielfalt einen Vertrag zum gerechten Vorteilsausgleich für die Entwicklungsländer zu erarbeiten. Damit könnten Entwicklungsländer an den Gewinnen beteiligt werden, die sich aus der Nutzung ihrer genetischen Ressourcen ergeben.

- globaler Klimaschutz
Durch die Ankündigungen Kanadas und Russlands, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichen, ist auch ohne die USA eine schnelle Ratifikation, Umsetzung und Fortentwicklung des Kyoto-Protokolls möglich, das eine Verringerung des CO2-Ausstosses der Industrieländer um insgesamt 5,2 % im Vergleich zu 1990 bis zum Jahr 2005 vorsieht. Die Flutkatastrophe hat uns einmal mehr und drastisch vor Augen geführt, dass die konsequente Förderung des Energiesparens, der Energieeffizienz und erneuerbarer Energien in Deutschland und weltweit eine unverzichtbare Basis nachhaltiger Entwicklung ist.

 
Negativ:

- Welthandel und Umweltschutz
Der UN-Konferenz ist es nicht gelungen, den Vorrang der UN-Umweltkonventionen vor den Vereinbarungen der Welthandelskonferenz festzulegen. Die Freiheit des Welthandels darf nicht auf Kosten der Armen und der Umwelt zum obersten Prinzip werden.

- Welthandel und Agrarsubventionen
Auf der anderen Seite weigern sich die USA und andere Industrienationen, ihre Subventionen und Schutzzölle für den Agrarbereich abzubauen (Schröder hatte sich in seiner Rede dafür eingesetzt). Dies steht nicht nur im Widerspruch zu ihren eigenen Freihandelsprinzipien, sondern hindert vor allem arme Länder am Zugang zu den Agrarmärkten in den USA und Europa.

- Erneuerbare Energien
Die Europäische Union ist damit gescheitert, ein globales Ziel im Bereich erneuerbare Energien durchzusetzen. Es blieb bei unverbindlichen Absichtserklärungen.

- Die erhoffte Erhöhung der Entwicklungsfinanzierung durch verbindliche Regelungen zum Erreichen eines Anteils von 0,7 % des Bruttosozialprodukts der Industrieländer für öffentliche Entwicklungshilfe ist nicht erreicht worden. Allerdings gibt es von verschiedenen Seiten Versprechungen für größere finanzielle Hilfeleistungen für Entwicklungsländern. Es bleibt abzuwarten, ob sie wirklich eingehalten werden und in welcher Form dies geschieht.


3. Ausblick:

Die Ergebnisse des UN-Gipfels geben weder Anlass zu hohen Erwartungen und zu Optimismus noch zur Resignation. Vieles wurde nicht erreicht, einiges wurde angestoßen.

Für die Kirchen ergibt sich daraus die Konsequenz, sich jetzt noch mehr als zuvor für nachhaltige Entwicklung einzusetzen und mit beispielhaftem Handeln dazu beizutragen. Es gehört zu den Zielen kirchlichen Handelns, mit zahlreichen praktischen Initiativen den Schöpfungsglauben in alltägliches Handeln zu übersetzen. Die Kirchen werden außerdem sich in Politik und Gesellschaft dafür einsetzen, dass die Vereinbarungen und Ankündigungen von Johannesburg auch wirklich umgesetzt werden und die deutsch und europäische Politik auffordern, in den Bereichen, in denen keine greifbare und verbindliche Ergebnisse zustande kamen, auch im Alleingang oder mit kooperationsbereiten Partnern weitergehende Maßnahmen für eine nachhaltige Entwicklung zu ergreifen. Dabei werden auch die Entwicklungswerke der Kirchen eine wichtige Rolle spielen.

Die Kirchen sehen in einer Beteiligung an der Weiterführung des Rio-Prozesses für eine nachhaltige Entwicklung eine zentrale Verpflichtung und Chance für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Entwicklungs- und Umweltschutzfragen werden immer mehr zu strategischen Überlebensfragen für die Zukunft der Menschheit. Ihre Gewährleistung ist vorsorgende Friedenspolitik. Die Kirchen setzen sich für die Ermöglichung einer solchen neuen Politik ein und ermutigen alle Christen, durch entschlossenes Handeln Zeugnis von der Liebe Gottes zu seiner Schöpfung abzulegen. Sie fordern die Politiker aller Parteien auf, selbst Zeichen zu setzen und das von Kofi Annan eingeforderte globale Verantwortungsprinzip zur Maxime ihrer Politik zu machen.

Kirchenamt der EKD, Referat 315, Eberhard Hitzler,  Hannover 6.9.02