Einladen statt abhängen – unterwegs gegen Armut und Ausgrenzung

Veranstaltung am 25.6. in Berlin

29. Juni 2010


  Mehr als 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer – aus Kirchengemeinden, Diakonie und Cari-tas, Wissenschaft und Politik – beteiligten sich an der Veranstaltung “Einladen statt abhängen – kirchliches Netzwerk unterwegs gegen Armut und Ausgrenzung“. Der von EKD mit ihrem SI organisierte Aktionstag war ein großer Erfolg. Er war ein Beitrag der Evangelischen Kirche zur Fokuswoche der Nationalen Armutskonferenz. In Berlin präsentierten sich 18 Ar-mutsprojekte und Initiativen aus dem Bereich der Kirche, Caritas und Diakonie: von Stralsund bis Ravensburg, von Köln über Wetzlar bis Schlottwitz, einem Dorf bei Dresden. „Be-eindruckend war die Begeisterung der Engagierten aus den Gemeinden, die sich gegen Ar-mut und Ausgrenzung engagieren“, sagte Cornelia Coenen-Marx (Kirchenamt der EKD). Sie moderierte mit Dr. Michael Hartmann von der Ev. Akademie zu Berlin die Veranstaltung und interviewte gemeinsam mit Reinhard Thies die nach Berlin gekommen Vertreterinnen und Vertreter der Projekte. Und die überzeugten vor allem durch Kreativität und pfiffige Ideen.

Für Reinhard Thies vom Diakonischen Werk geht es in Zukunft vor allem um eine Stärkung der Armutsquartiere und um eine tragende Struktur  in den Gemeinden. „Der Aktionstag  macht Hoffnung, dass die Kirchen sich in Zukunft nicht nur für, sondern mit den Armen auf den Weg machen“, lautete das Fazit von Gerhard Wegner, Direktor des Sozialwissenschaft-lichen Instituts der EKD (SI). Deutlich wurde in den Beiträgen und Diskussionen, dass Kirche und Kirchengemeinden neben dem Engagement in Projekten in ihren sozialen Kernbereichen (Kindergarten, Schulen, Familienbildung und – beratung) das Thema Armut aufgreifen und sich politisch einmischen sollten. „Dies gilt auch für die geistliche Dimension“, unterstrich Gerhard Wegner. Nicht wenige arme Menschen fragten nach Seelsorge und geistlicher Bil-dung, die sie in ihrer schwierigen Lebenssituation stärken könne.

In Berlin wurde heftige Kritik am Sparkonzept der Bundesregierung geäußert. In der Begrü-ßung ging Prälat Bernhard Felmberg auf die aktuelle Situation ein. Er berichtete, dass Kir-chen, Diakonisches Werk und Vertreter des Caritasverbandes unter anderem Bundesminis-terin von der Leyen aufgefordert haben, sich für die konkreten Zielvorgaben zur Armutsbe-kämpfung des Europäischen Rates einzusetzen.

Besonders große Resonanz fand der Vortrag von Martin Schenk aus Österreich mit dem provokanten Titel „Es reicht! Für alle!“. Die Beobachtungen und Analysen von Martin Schenk boten in Verbindung mit den von dem Bochumer Professor Ernst-Ulrich Huster eingebrachten Daten einen aufschlussreichen Einstieg in die Analyse der politischen Situation. Huster ist einer der Herausgeber des Handbuches „Armut und soziale Ausgrenzung“. Die zentrale Aufgabe besteht demnach darin, Verteilung, Teilhabe und Stärkung der persönlichen Res-sourcen sinnvoll aufeinander zu beziehen. In seinem Referat „Was kommt nach der Schule: Berufliche Karriere oder Hartz IV?“ ging Professor Werner Schönig (Köln) auf die Risiken des Übergangs von der Schule in den Beruf ein. Er präsentierte eine neuere Studie zur Resilienz.
Vor dem Podium am Nachmittag sorgten die Power Girls aus der Paul-Gerhardt-Gemeinde für bewegte Bilder und neuen Schwung. Sie demonstrierten, wie vielfältig die Arbeit mit Ju-gendlichen in einer Kirchengemeinde sein kann.

Thema des Podiumsgespräch war: Gerechte Teilhabe – wie kann das in der Praxis ausse-hen? Pfarrerin Andrea Holm aus Ravensburg berichtete anschaulich, wie es gelingt, Kirche und Kirchenraum für Menschen aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen zu öffnen. „Armut hat viele Gesichter“, betont Andrea Holm, und nennt die Stichworte Einsamkeit und Beziehungslosigkeit. In der Vesperkirche in Ravensburg treffen sich Menschen mit und ohne Geld. Es sind bis zu 800 Männer und Frauen, die an langen Tischen gemeinsam essen, sich austauschen und dabei Vorurteile über Bord werfen. Pfarrer Peter Storck von der Kirchen-gemeinde Heilig Kreuz-Passion wagte den Sprung von Schwaben in die Hauptstadt und stellte die Obdachlosenarbeit in Berlin-Kreuzberg vor. Männer, langzeitarbeitslos, ohne ein Zuhause und zum Teil mit einer Suchtproblematik finden hier einen Raum zum Überleben. In dem Berliner Sozial- und Kulturzentrum Gitschiner Straße ist „Kunst trotz(t) Armut“ das Pro-gramm. Dort werden Bilder gemalt, Menschen mit wenig Geld können trommeln lernen und sind mit im Gospelchor „Different Voices“. Den Blick auf die Aktivitäten von katholischen Gemeinden ermöglichte Dr. Frank Johannes Hensel, Diözesan-Direktor Köln. Sozialraumar-beit in Köln-Chorweiler zum Beispiel beinhaltet auch die Suche nach „Talenten im Stadtteil“ und geht bis hin zum „Strom-Spar-Check“.  Hans-Martin Gutmann, Professor für Praktische Theologie, Universität Hamburg, und Professor Gerhard Wegner reflektierten kritisch den Bereich der Ausbildung von Pastorinnen und Pfarrern, Stichwort gerechte Teilhabe. Sie be-zogen Stellung zur Praxis der theologischen Verkündigung, ohne in einen abgehobenen Dis-kurs zu entschweben. Der Bogen von der Praxis zur Theorie und zurück gelang überzeugend. „Es hätte ruhig noch länger dauern können“, sagten mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Abschied in der Hessischen Landesvertretung in Berlin.

Renate Giesler

Die Beiträge der Referenten finden Sie hier: www.si-ekd.de