Was würde Jesus dazu sagen?

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

12. November 2009


„Was würde Jesus dazu sagen?“ Dieser Frage widmet sich meine Kolumne seit genau vier Jahren. Damals, im November 2005, beschrieb ich in meiner ersten Kolumne das Wunder, dass die Frauenkirche in Dresden wieder eingeweiht werden konnte. Die unterschiedlichsten Themen folgten.

Was würde Jesus dazu sagen? „Na, frajen könn´ wa´ ihn jedenfalls nich’ mehr!“ hielt mir einmal ein älterer Mann in der typischen Berliner Direktheit entgegen. Wie sollte ich da widersprechen? Dennoch hat es einen guten Sinn, sich dieser Frage auszusetzen. Sie schärft den Blick auf das Leiden und die Freuden der Menschen in unserer Stadt.

Was würde Jesus dazu sagen? Zum ersten Mal habe ich diese Frage von dem christlichen Widerstandskämpfer Martin Niemöller gehört. In der Nazizeit war er Pfarrer in Berlin. Vor vielen Jahrzehnten habe ich ihn persönlich zum ersten Mal bei einem flammenden Appell gegen die Atomwaffen erlebt. Damals stellte er diese Frage; ich habe sie nie wieder vergessen.

Niemöller wuchs in einer kinderreichen Familie auf. Jedes Kind hatte bestimmte Aufgaben zu erledigen. Er hatte die kaputten Schuhe der Familie zum Schuster zu bringen. Wenn er auf die fertigen Schuhe wartete, sah er über dem Arbeitsplatz des Schusters immer dieselbe Frage, in Holz geschnitzt. Der Handwerker ließ sich bei seiner Arbeit von Jesus über die Schulter schauen. Sein Arbeitsalltag war von der Frage bestimmt: Was würde Jesus dazu sagen?

Wer fragt, weiß die Antwort noch nicht. Manche Fragen sind besonders schwer zu beantworten. Diese gehört dazu. Auch ich wusste die Antwort manchmal nicht. Fassungslos war ich über den Mord an einem Jugendlichen. Überschwänglich war meine Freude über die Einweihung der Frauenkirche in Dresden. Antworten lagen da fern.

Aber wer nach der Antwort Jesu fragt, der weiß: Jetzt zählt nicht mehr, was „ich“ zu sagen habe. Auch das, was „man“ so sagt, gilt hier nicht. Jetzt kommt es auf das an, was Jesus vorgelebt hat. Gottvertrauen und die Liebe zum Nächsten gingen Jesus über alles. Wer sich daran ausrichtet, findet eine klare Meinung. Er bezieht Position. Das ist das Ende der Beliebigkeit.

Mit dem Ende meiner Amtszeit als Bischof verabschiede ich mich auch von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Über fünfzehn Jahre lang war ich Bischof in Berlin. Vier Jahre lang habe ich Ereignisse der Zeit für Sie aus einem besonderen Blickwinkel angeschaut.

Ihnen allen gelten meine herzlichen Segenswünsche. Ich hoffe, dass diese Frage Sie auch weiterhin begleitet: „Was würde Jesus dazu sagen?“