In einem geteilten Land

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

17. September 2009


Die Teilung Deutschlands wurde vor zwanzig Jahren überwunden; die Teilung Koreas dauert bis zum heutigen Tag an. In unserer Stadt öffnete sich 1989 die Mauer; durch Korea dagegen zieht sich seit 56 Jahren eine undurchdringliche Grenze von vier Kilometern Breite. Nur durch diesen Todesstreifen brachte man die Waffen zum Schweigen.

In diesen Tagen bin ich zusammen mit anderen Vertretern der evangelischen Kirche in beiden Teilen Koreas zu Gast. Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer soll der Dank für die gewonnene Einheit unseres Landes auch in der Solidarität für die Koreaner zum Ausdruck kommen, deren Land nach wie vor gespalten ist. Die Folgen sind uns Deutschen vertraut. Der Koreakrieg riss Familien auseinander und zerstörte Freundschaften. Die Systeme in Nord und Süd entwickelten sich im letzten halben Jahrhundert immer weiter auseinander; doch die Verbundenheit der Menschen blieb.

Nur an einer Stelle kann man vom Norden aus bis an die Grenze zu Südkorea herankommen. Panmunjom heißt der kleine Ort, an dem der Waffenstillstand des Jahres 1953 ausgehandelt und unterzeichnet wurde. 170 Kilometer ist er von der nordkoreanischen Hauptstadt entfernt; nur 70 Kilometer ist man dort von der südkoreanischen Hauptstadt Seoul entfernt. Doch weiterfahren darf man nicht. Wir mussten umkehren und auf einem Umweg über China im Flugzeut die zehnfache Strecke hinter uns bringen, um nach Südkorea zu kommen. Dazwischen liegen Welten.

Die Sehnsucht nach Wiedervereinigung gibt es auf beiden Seiten. Doch sie wird unterschiedlich verstanden. Im gigantischen Stadion des 1. Mai in Pjöngjang führen fünfzigtausend Menschen in einer gewaltigen Inszenierung die Geschichte ihres Landes vor. Das vereinigte Korea soll genauso aussehen wie die heutige Militärherrschaft des kommunistischen Führers Kim Jong Il. Daran lässt dieses Schauspiel keinen Zweifel. Genauso wenig Zweifel gibt es daran, dass dies für Südkorea und seine Schutzmacht USA auf keinen Fall in Frage kommt.

Umso mehr berührt mich die Sehnsucht nach Einheit. Schon vor vielen Jahren habe ich diese Sehnsucht in Südkorea erlebt. Jetzt tritt sie mir auch im Norden entgegen. Im Vergleich muss ich zugeben: So stark äußerte sich die Hoffnung auf Wiedervereinigung in unserem Land nicht. Aber uns wurde geschenkt, was in Korea noch immer in weiter Ferne liegt. Wenn wir schon im Hoffen kleinlaut waren, sollte unsere Dankbarkeit umso kräftiger sein. Die Koreaner aber, die nach wie vor auf die Einheit ihres Landes warten, haben unsere Solidarität verdient. Deshalb bin ich in diesen Tagen in Korea. Und zwar in beiden Teilen: in Nord und Süd.