Zuwanderung

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

06. August 2009


Ist noch jemand da? Auf der Höhe der Sommerferien erscheint unsere Stadt leerer als sonst. Die Urlaubszeit erleichtert die Suche nach einem Parkplatz vor der eigenen Haustür. In der Innenstadt prägen schlendernde Touristen das Bild. Die Gehetzten fehlen. Und die S-Bahn? Würde sie endlich wieder zuverlässig fahren, wäre sie auch nicht so voll wie an einem Werktag mitten im November.

Unsere Stadt fühlt sich leerer an als sonst. Dazu passt die Nachricht, dass die Zahl der Einwohner in Deutschland wiederum rückläufig ist. Das liegt nicht nur an der Alterspyramide. Vielmehr wandern inzwischen auch mehr Menschen aus Deutschland aus, als zuwandern. 56.000 Menschen mehr kehrten Deutschland im vergangenen Jahr den Rücken zu, als in unser Land eingewandert sind. Die Fernsehsender haben deshalb eine neue Sparte aufgemacht: „Umzug in ein neues Leben“ oder „Mein neues Leben“ heißen die entsprechenden Sendungen. Sie schildern die Lebenswege und Familiengeschichten von Menschen, die Deutschland hinter sich lassen.

Abwanderung ist etwas Zwiespältiges. Ein Zeichen der Freiheit für die, die Grenzen überschreiten können. Ein Verlust für die, die bleiben. Vor zwanzig Jahren forderten Bürgerinnen und Bürger der DDR die Freiheit ein, dorthin zu reisen, wohin sie wollten, und ihren Aufenthalt dort zu nehmen, wo sie es richtig fanden. Andere wollten bleiben: in Freiheit und wirtschaftlicher Sicherheit.

Es ist diese Freiheit, von der Menschen Gebrauch machen, wenn sie Deutschland verlassen. Aber ein Verlust ist es auch. Oft sind es gut Ausgebildete, Unternehmungslustige, die anderswo ihr Glück suchen. Ihre Initiative wird uns fehlen. Ihre Kinder ziehen sie anderswo groß. Aber ihre Freiheit verdient Respekt.

Respekt verdienen auch die, die in unserem Land Aufnahme suchen, weil sie in ihrem Herkunftsland nicht mehr leben können. Im Jahr 2008 erbaten lediglich 19.217 Menschen um politisches Asyl. Niemand kann sagen, für sie gäbe es in unserem Land keinen Platz! Wenn ihre Gründe ehrlich sind und sie die Kraft zur Integration aufbringen, sollten wir ihre Freiheit würdigen. So wie unsere eigene. Denn auch im eigenen Land ziehen wir von Ost nach West, von Süd nach Nord. Unsere Stadt profitiert davon am meisten. Sie wächst nun schon im vierten Jahr hintereinander.

Dabei suchen vor allem junge Menschen in Berlin eine Perspektive. Schon spricht man vom „Prenzlberg-Effekt“, weil dieser Bezirk besonders stark wächst. Jung, flexibel, wachsend – so präsentiert sich Berlin in diesem Sommer. Und hoffentlich weit darüber hinaus.