Statement in der Pressekonferenz zur Veröffentlichung der Denkschrift des Rates der EKD „Umkehr zum Leben. Nachhaltige Entwicklung im Zeichen des Klimawandels“, Berlin

Wolfgang Huber

14. Juli 2009


Erst vorletzte Woche habe ich hier das Wort des Rates der EKD zur globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise unter dem Titel „Wie ein Riss in einer hohen Mauer“ vorgestellt. In dessen Vorwort habe ich ausgeführt: „Die Erschütterungen durch die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise sind von den Herausforderungen des Klimawandels nicht zu trennen. Beide fordern, über eine kurzfristige Krisenbewältigung hinaus, zu einem gründlichen Wandel des Denkens und Handelns heraus. Aus dem geforderten Umschwung muss eine Umkehr werden.“

Auf diesem Hintergrund bin ich dankbar dafür, dass ich Ihnen heute sozusagen den zweiten Text dieses Programms vorstellen kann, nämlich eine Denkschrift der EKD zur „Nachhaltigen Entwicklung im Zeichen des Klimawandels“.

Welches Gewicht ich diesem Thema beimesse, habe ich vor zwei Jahren durch einen Appell zum Klimawandel deutlich gemacht, in dem ich auch schon auf die prophetische Warnung vor einem möglichen „Zu spät“ Bezug genommen hatte. Seitdem ist die globale Bedeutung dieser Herausforderung noch drastischer ins Bewusstsein getreten.

Insbesondere wurde deutlich, wie sich der Klimawandel auf die steigende weltweite Nachfrage nach Lebensmitteln in den Schwellen- und Entwicklungsländern und wie sich die wachsende Nutzung von Biomasse für die Energieerzeugung auf die globale Ernährungssicherung auswirkt. Insbesondere der massive weltweite Investitionsboom in Agrotreibstoffe wie Biodiesel und Bioethanol führt zur Verringerung der Anbauflächen für Lebensmittel und zu einer Verstärkung der Flächennutzungskonkurrenz zwischen food, feed und fuel, also zwischen Nahrungsmitteln, Futtermitteln und Treibstoffen. Die Kammer für nachhaltige Entwicklung legte bereits im letzten Jahr zu dieser Problematik der nachhaltigen Nutzung von Biomasse eine eigene Stellungnahme unter dem Titel „Ernährungssicherung vor Energieerzeugung“ vor.

Heute stellen wir nun die von derselben Kammer vorbereitete Denkschrift „Umkehr zum Leben. Nachhaltige Entwicklung im Zeichen des Klimawandels“ vor. Sie weitet den Gesichtspunkt der Ernährungssicherung aus und thematisiert nach einer ausführlichen Sach- und Problemanalyse insbesondere den Zusammenhang von Klimawandel und Armutsbekämpfung. Die in der Denkschrift vorgetragene Einschätzung, dass sich der Klimawandel sehr viel dynamischer vollzieht, als dies noch in der jüngsten Vergangenheit angenommen wurde, wird durch den „Synthese-Report“ unterstützt, in dem vor gut drei Wochen Klimaforscher aus der ganzen Welt die aktuellen klimawissenschaftlichen Erkenntnisse zusammengefasst haben. Dieser Synthesebericht gilt als Vorbereitung auf den 15. Weltklimagipfel, der im Dezember 2009 in Kopenhagen stattfinden soll. Auf ihm soll über ein Klimaschutzabkommen für die Zeit nach 2012, also über ein Anschluss-Abkommen an das Kyoto-Protokoll, verhandelt werden. Der Synthese-Report ist die wichtigste aktuelle Zusammenfassung der Klimaforschung seit dem IPCC-Bericht von 2007, auf den ich mich in meinem Klima-Appell aus demselben Jahr bezogen habe. Er verstärkt die Dringlichkeit der Aufgabe, den Klimawandel auf ein beherrschbares Maß zu begrenzen.

Aus der in unserer Denkschrift vorgetragenen Sicht kann dies gelingen, wenn wirtschaftliche Interessen, die grundlegenden Lebensbedürfnisse einer wachsenden Zahl von Menschen, die Rechte künftiger Generationen und die Erhaltung der natürlichen Ressourcen miteinander in Einklang gebracht werden. Die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise darf allerdings gerade von wirtschaftlich starken Akteuren nicht dazu missbraucht werden, um die eigenen Beiträge zur Bändigung des Klimawandels zu reduzieren und die Folgekosten des bisher vorherrschenden Raubbaus auf andere abzuwälzen.

Die Ernährungskrise, die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise und die Herausforderungen des Klimawandels fordern, wenn man sie im Zusammenhang sieht, den Übergang zu einem nachhaltigen Lebensstil. Für wirtschaftliches Handeln müssen politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die sich an diesem Kriterium ausrichten. Länder, die frühzeitig auf die Gefahren des Klimawandels reagieren, können Wettbewerbsvorteile erringen. Diesen Reformprozess zu nutzen, um generell die Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit der Wirtschaft zu erhöhen und gleichzeitig das weltweite Problem der Armut zu lindern, ist die zentrale Herausforderung unserer Zeit.

Neben den politischen Reformaufgaben, die sich in Deutschland und in der Europäischen Union stellen, geht es auf globaler Ebene vor allem darum, Ende 2009 in Kopenhagen ein zukunftsweisendes Vertragswerk zum Klimaschutz zustande zu bringen. Vorrangig ist es erforderlich, dass die Industrieländer, allen voran die EU,

- anspruchsvolle quantifizierte Ziele für 2020 formulieren, die nicht weniger als 40 Prozent unter den Emissionen von 1990 liegen sollten, und

- den Entwicklungsländern klare Finanzierungszusagen für die zusätzlichen Kosten von Maßnahmen des Klimaschutzes und der bereits heute unvermeidlichen Anpassung an die Folgen des Klimawandels geben.

Die Kirchen in den wohlhabenden Teilen unseres Globus müssen glaubwürdige Schritte zu mehr Gerechtigkeit, Solidarität und Nachhaltigkeit unternehmen: gegenüber dem Nächsten - besonders dem schwachen Nächsten -, gegenüber der Mitschöpfung und gegenüber den nächsten Generationen. Zur Umkehr der Kirchen in Richtung eines nachhaltigen Lebensstils gehört es insbesondere:

- Gerechtigkeits- und Umweltfragen in der kirchlichen Agenda inhaltlich und strukturell den notwendigen Rang zu geben,

- Fragen des Klimawandels und der Armutsbekämpfung deutlich miteinander zu verknüpfen,

- diese Themen in ihrer Bildungs-, Informations- und Advocacy-Arbeit angemessen zu berücksichtigen,

- Umweltmanagement zu einem selbstverständlichen Teil des kirchlichen Gebäudemanagements zu machen,

- im kirchlichen Veranstaltungsmanagement eine klimafreundliche Mobilität zu fördern,

- nachhaltige und klimafreundliche Formen der Energieerzeugung zu bevorzugen und Energiesparen als Energiequelle zu nutzen,

- das ökofaire Beschaffungswesen auszubauen.

Eine Reihe von Texten aus der letzten Zeit geben dazu konkrete Hinweise:

- die Kundgebung der 10. Synode der EKD 2008 zum Thema „Klimawandel – Wasserwandel – Lebenswandel“,

- die EKD-Texte „Ernährungssicherung vor Energieerzeugung“ und „Es ist nicht zu spät für eine Antwort auf den Klimawandel“ und

- die von Brot für die Welt, BUND und Evangelischem Entwicklungsdienst herausgegebene Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie „Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt“.

Zahlreiche Kirchengemeinden und kirchliche Gruppen arbeiten bereits daran, die Impulse der EKD-Synode und der Studie des Wuppertaler Instituts in die Praxis umzusetzen. Die Denkschrift „Umkehr zum Leben“ möchte diese Impulse stärken und zu einer breiten gesellschaftlichen Debatte über eine zugleich nachhaltige und der internationalen Gerechtigkeit verpflichteten Entwicklung beitragen. Der Kammer für nachhaltige Entwicklung danke ich sehr herzlich für den gewichtigen Beitrag, den sie zu dieser Aufgabe geleistet hat.