Statement in der Pressekonferenz zur Veröffentlichung der Denkschrift des Rates der EKD „Umkehr zum Leben. Nachhaltige Entwicklung im Zeichen des Klimawandels“, Berlin

Lothar Brock

14. Juli 2009


„Das Leben der neun Milliarden - Oder: Der Zusammenbruch des Kölner Stadtarchivs

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bewohnten anderthalb Milliarden Menschen die Erde, heute sind es sechseinhalb und im Jahre 2050 werden es neun Milliarden Menschen sein. Wir können wenig dafür tun, um ihnen ein glückliches Leben zu garantieren. Aber wir können und müssen alles dafür tun, dass sie nicht im Elend versinken. „Sie“ - das wird ein Großteil der jungen Leute von heute sein.

In der Klimadebatte kann man ganz unterschiedlichen Wegen folgen. Einer ist das Weitermachen wie bisher nach dem Motto: „Es ist noch immer gut gegangen“. Spätestens seit dem Zusammenbruch des Kölner Stadtarchivs im Vorfrühling dieses Jahres ist ein Umgang mit Risiken nach diesem Motto zumindest hierzulande nicht mehr populär. In der Tat zeigen die Ergebnisse des jüngsten G 8-Gipfels, dass auch die Repräsentanten der gegenwärtig führenden Industrieländer sich einem solchen Motto nicht (mehr) verschreiben wollen. Dass sich der Klimawandel vollzieht, dass er das Wohlergehen der Mehrzahl aller Menschen in Frage stellt, dass er dabei auch noch die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft, dass menschliche Aktivitäten ihn ganz wesentlich beeinflussen und dass von daher außerordentlicher Handlungsbedarf besteht, ist nun auch in der Hohen Politik kaum noch umstritten.

Ein zweiter Weg besteht darin, die Doppelherausforderung von Weltwirtschaftskrise und Klimawandel zu nutzen, um eine neue technologische Revolution in Gang zu setzen, die in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts ganz neue Möglichkeiten der „Naturbeherrschung“ eröffnen soll – ähnlich wie die industrielle Revolution Ende des 18. Jahrhunderts, die chemische Revolution Ende des 19. und die Informationsrevolution Ende des 20. Jahrhunderts. Das wäre zwar nicht ein Weitermachen wie bisher, wohl aber eine Fortsetzung bisherigeriger Handlungsmuster im Sinne einer Innovation zur Überwindung der Grenzen und zur Behebung der Nebenwirkungen von voraus gegangenen Innovationen. Nebenbei könnten einzelne Länder hoffen, auf diesem Wege auch gleich noch ihre Position im internationalen Konkurrenzgefüge zu stärken. So versucht Präsident Obama dem US-Kongress das neue Klimagesetz der Vereinigten Staaten mit drei Argumenten schmackhaft zu machen: Wiederankurbelung des Wachstums, Reduzierung der Abhängigkeit von Energie-Einfuhren und Festigung (oder Wiederherstellung) der weltwirtschaftlichen Führungsrolle der USA. Ein Großteil der G 8-Länder dürfte diese Haltung (mit entsprechenden Abstufungen ihres Führungsanspruchs) teilen. Da man aber die von Präsident Obama genannten Ziele auch anders erreichen kann, wundert es nicht, dass der Kongress sich bisher nur auf eine vergleichsweise magere Reduzierung einlassen will und selbst diese noch in Frage steht.

Ein dritter Weg ist der Versuch, mit bisherigen Verhaltensmustern zu brechen und zu einer grundlegenden Neubestimmung dessen zu gelangen, was wir als Glieder unterschiedlicher Lebensgemeinschaften im weltweiten Wirkungszusammenhang von Politik und Wirtschaft erstreben und wie wir das, was wir erstreben, erreichen wollen. Das Grundgesetz sichert uns allen die Unverletzlichkeit unserer Würde als Menschen zu. Unsere eigene Würde können wir nur als Anerkennung der Würde aller Menschen leben. Das hat Konsequenzen dafür, wie wir das Leben der anderen in unsere eigene Lebensführung einbeziehen. Unter dieser Perspektive ist die Antwort auf den Klimawandel nicht von technischen Innovationsmöglichkeiten im Konkurrenzkampf um das knappe Gut Umwelt her zu denken, sondern von den gesellschaftlichen Anforderungen an einen global und über Zeit verantwortbaren und gerechten Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Die Kirchen berufen sich dabei auf die Zusage Gottes nach der Sintflut: „So lange die Erde besteht, sollen nicht aufhören Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“ (Genesis 8, 22). Diese Zusage bedeutet nicht, dass es trotz der Engstirnigkeit menschlichen Verhaltens schon „irgendwie“ weitergehen wird, sondern dass jeder Mensch gefordert ist, sich dieser Engstirnigkeit bewusst zu werden und sie zu überwinden.

Der erste Weg ist nicht gangbar (obwohl sich ihm viele immer noch, wenn auch meist „klammheimlich“, anvertrauen). Der zweite und der dritte Weg stellen in der Praxis der Klimapolitik keine Alternativen dar. Vielmehr geht es darum, sie miteinander in ein produktives Gespräch zu bringen. Dem soll die Denkschrift des Rates der EKD zur „Nachhaltigen Entwicklung im Zeichen des Klimawandels“ dienen. Die Denkschrift ist ein Aufruf zur Umkehr, der sich aber nicht weltvergessen über bisherige Erfahrungen hinwegsetzt, sondern gerade in diesen Erfahrungen seine Begründung findet.

Die Denkschrift hält eine Politik für unzulänglich, die bei der Bearbeitung der gegenwärtigen Krisen in erster Linie immer noch an die Wiederankurbelung des quantitativen Wachstums (gemessen am Anstieg des preisbereinigten Bruttoinlandsproduktes) denkt. Wachstum in dieser Form ist als Leitziel einer zukunftsfähigen Gesellschaft nicht geeignet, sondern wirkt ihm eher entgegen, weil es auch den Umweltverbrauch positiv bewertet. Das Wachstum muss also an einen langfristig durchhaltbaren Umgang mit den natürlichen Ressourcen und den Klimaschutz gebunden werden. „Nur eine kluge Verbindung aus Effizienzsteigerungen mit veränderten Lebensstilen, Wirtschaftsformen und neuen klimapolitischen Institutionen“ kann letztlich zur Erreichung der beiden Grundziele einer vertretbaren Klimapolitik führen. Das sind zum einen die Begrenzung des mittleren Temperaturanstiegs auf unter 2° Celsius; zum andern die Steigerung der Anpassungsfähigkeit der Entwicklungsländer an den bereits unvermeidlichen Klimawandel. Diese Länder werden am meisten unter dem Klimawandel leiden und haben am wenigsten zu ihm beigetragen (S. 117-118).

Die Denkschrift stellt fest, dass die Klimapolitik der führenden Industriestaaten häufig als Abwehr von Gefahren für das eigene Wohlergehen begründet wird. Solche Gefahren werden z.B. in einer unkontrollierten Migration, einer Ausweitung des Terrorismus oder einer Beeinträchtigung des Zugangs zu strategischen Rohstoffen als Folge von Klimakonflikten in schwachen Staaten gesehen. Damit wird zwar aus dem „weichen“ Umwelt- ein „hartes“ Sicherheitsthema, und das hat dem Klimawandel in den vergangenen Jahren auch zweifellos öffentliche Aufmerksamkeit gebracht. Bei einer auf Gefahrenabwehr ausgerichteten Politik geht es unterschwellig aber immer auch um Besitzstandswahrung. Aus Gründen der Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit setzt die Denkschrift einer solchen Orientierung auf Gefahrenabwehr die Notwendigkeit einer auch und gerade in der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise forcierten Armutsbekämpfung entgegen. Die dementsprechende Politik muss den Entwicklungsländern helfen, das ihnen zustehende Recht auf gleiche Ressourcennutzung in einer klimaverträglichen Weise in Anspruch zu nehmen, und sie muss dafür sowohl in den Entwicklungs- als auch in den Industrieländern die erforderliche Umsteuerung des Ressourcenverbrauchs konsequent in Angriff nehmen. Wie das in Deutschland geschehen kann und was gesellschaftliche Organisationen, die Kirchen und jeder Einzelne dazu beitragen können, haben kirchliche Einrichtungen mit ihrer Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ im vergangenen Jahr in konkreter Form vorgestellt. Die Denkschrift knüpft an diese Vorarbeit an und bekräftigt für die Kirchen selbst das von der 10. Synode der EKD 2008 formulierte Ziel, die eigenen klimawirksamen Emissionen bis 2015 um 25% zu senken.