Leben bis zuletzt

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

11. Juni 2009


Selbst verantwortete Lebensgestaltung ist ein hohes Gut. Bis an die Grenze des Todes soll sie gewährleistet sein. Auch dann, wenn wir uns in schwerer Krankheit selbst nicht mehr äußern können. Deshalb gibt es Patientenverfügungen. Sie geben über meinen Willen auch dann noch Auskunft, wenn mich niemand mehr fragen kann. Ihre rechtliche Reichweite soll jetzt gesetzlich geregelt werden. Schon lange diskutiert der Deutsche Bundestag darüber. Ob er in diesen Tagen zu einem Ergebnis kommt, ist ungewiss.

Die Diskussion zeigt: Selbstbestimmung bedeutet gerade nicht, dass ich alles selbst bestimmen kann. Jeder Mensch ist in seiner Freiheit auch vom Beistand anderer abhängig. Und er bemüht sich – hoffentlich! – auch darum, anderen zu ihrer Freiheit zu verhelfen. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Von der Geburt bis zum Tod. Wenn die Abgeordneten über Patientenverfügungen diskutieren, sollten sie das nicht vergessen.

Niemand von uns wurde gefragt, ob er geboren werden wollte. Wann und wo wir zur Welt kommen, hat niemand von uns in der Hand. Deshalb betrachten wir unser Leben als ein Geschenk, das uns anvertraut wird.  Es geht darum, verantwortlich mit dieser Gabe umzugehen.

Neugeborene können nicht autonom überleben. Sie bedürfen der Fürsorge.  Auch Menschen, die unheilbar krank sind oder im Sterben liegen, sind auf Zuwendung und Solidarität angewiesen. Angehörige, Freunde, Ärzte und Pflegekräfte setzen sich für sie ein. Die Solidargemeinschaft muss Vorsorge treffen, dass der nötige Beistand gewährleistet ist. Unheilbar kranke und sterbende Menschen haben einen Anspruch darauf, dass sie als Person geachtet werden. Wenn das Ende kommt, soll es ein Tod sein, der ihrer Würde entspricht.

In solchen Situationen gibt es keine Selbstbestimmung ohne die Hilfe anderer. Wenn ich selbst nichts mehr sagen kann, wird hoffentlich eine Person meines Vertrauens für mich sprechen. Wer diese Person ist, habe ich in meiner Patientenverfügung festgelegt. Meinen „letzten Willen“ legt sie nur in Umrissen fest. Mehr als die Richtung kann sie vernünftigerweise nicht angeben. Ob eine ärztliche Maßnahme ergriffen wird oder unterbleibt, entscheidet sich im Gespräch. Es soll ein Gespräch zwischen Menschen sein, die meine Würde achten und denen mein erkennbarer Wille wichtig ist. Deren Fürsorge wird zum Teil meiner Selbstbestimmung. Im Vertrauen dafür kann ich ein getrostes Leben führen – auch angesichts von Sterben und Tod.