„Pflege im Alter“

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

30. April 2009


Vera B. schaut dem Treiben auf dem Flur zu. Äußerlich unbeteiligt, wie es scheint. Eine Gruppe von Besuchern ist in der Pflegeeinrichtung zu Gast. Seit jungen Jahren sitzt sie wegen einer Kinderlähmung im Rollstuhl. Früher konnte sie noch einige Schritte laufen. Eine Therapeutin hatte ihr Flötenunterricht gegeben. Sie lacht für ihr Leben gern.

Jetzt im hohen Alter ist Vera B. rund um die Uhr pflegebedürftig. Sie wird wie 709.000 Menschen in Deutschland in einem Pflegeheim versorgt; Tendenz steigend. In wenigen Jahrzehnten wird sich die Zahl der Pflegeplätze in Deutschland verdoppeln.

Aber wer wird sie pflegen? Viel Leidenschaft, aber auch viel Leidensbereitschaft gehört zu diesem Beruf. Gesellschaftliche Anerkennung findet er nicht. Gute Bezahlung auch nicht. Gerade wurde für Pflegehilfskräfte ein gesetzlicher Mindestlohn vorgesehen. Das ist ein Alarmsignal.

Unter den Berufswünschen ohne Studium schafft der Pflegeberuf es nicht unter die ersten 25 Plätze. Doch pflegebedürftig sind viele. Aber niemand denkt gerne daran. In alten Menschen im Pflegeheim begegnet mir meine eigene Zukunft. Die will ich lieber verdrängen. Meine eigenen Ängste spiegeln sich in meinen kritischen Urteilen darüber, wie es im Pflegeheim zugeht. Weil ich das eigene Alter verdrängen will, lasse ich es an Wertschätzung für Menschen fehlen, die als Pflegekräfte arbeiten. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden.

Für 25 Euro werden heute die Winterreifen in der Werkstatt gewechselt. Genau dieselbe Summe steht für eine „erweiterte große Körperpflege“ zur Verfügung. Die Hilfe beim Aufstehen und beim Gang zur Toilette, das Aus- und Ankleiden, das Waschen, Duschen oder Baden, die Mundpflege, das Kämmen und Rasieren – derselbe Preis wie das Wechseln von vier Reifen. Am Bett zu sitzen, dem Patienten zuzuhören, die Hand zu streicheln, einen gemeinsamen Spaziergang zu machen – das alles ist gar nicht erst vorgesehen.

So kann es nicht bleiben. „Du sollst Vater und Mutter ehren“: der respektvolle Umgang mit dem Alter ist mit diesem Gebot gemeint. Mehr Wertschätzung und auch mehr Geld wird für die Pflege benötigt. Berufliche Pflege braucht die nötige Unterstützung. Dann kann auch ehrenamtlicher Einsatz Wichtiges beitragen.

Wie die Besucher in dem Heim von Vera B. Für einen ganzen Nachmittag brachten sie Freude ins Haus. Auch als sie gegangen sind, bleibt das Leuchten in Veras Augen - lebendig und voll Lebenslust.