Baby im Altkleider-Container

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

12. März 2009


Mitten in Berlin, ein paar Schritte von einem Supermarkt und einer Hofeinfahrt. Rundherum mehrstöckige Mietshäuser mit Fenstern und Balkonen. Ein Restaurant ist in der Nähe. Es könnte überall sein.

In der Güntzelstraße in Wilmersdorf findet ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes einen toten Säugling. Der Junge kam voll entwickelt, lebend und gesund zur Welt.  Er muss mehrere Stunden gelebt haben. Doch er durfte nicht leben. Die polizeilichen Ermittlungen dauern an.

"Mein Kreislauf sackte dabei weg, mir ging es nicht gut. Der Schock sitzt noch immer tief!" Jeder kann verstehen, wie es dem Mann zu Mute war, der das Kind fand.  Zwischen den alten Kleidern stieß er auf das tote Baby. „Es war sauber, nicht mit Blut verschmiert. Deshalb habe ich im ersten Moment auch gedacht, es ist eine Spielzeugpuppe", fügt der Zeuge hinzu. Erst bei genauerem Hinsehen wird ihm klar: Es handelt sich um einen Menschen.

Die Namen der Berliner Stadtbezirke wechseln. Vor einem Jahr beerdigte Pfarrer Ralf Musold in Berlin-Köpenick ein kleines namenloses Mädchen. In einem Rucksack mit der Aufschrift „paradox“ war es von Spaziergängern in der Nähe des Müggelturms gefunden worden. Wie viele werden an dem Container in Wilmersdorf vorbeigegangen sein, ohne zu ahnen, was sich darin verbarg! Konnte keiner das Schreien hören? War es von vornherein in den Kleidern erstickt? Eine Handbreit trennte mich von dieser Tragödie – und ich konnte nicht helfen. Als der Container aufgeschlossen wurde, kam alle Hilfe zu spät. Es ist zum Verzweifeln.

„Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit!“ An Gott richtet sich dieser Ruf. Er steht über dieser Woche, die uns die Schamesröte ins Gesicht treibt. Ein gesunder Junge durfte nicht leben. Keiner kam ihm zu Hilfe. Wo auch immer die Mutter und der Vater dieses Kindes sein mögen – der Ruf nach Barmherzigkeit soll sie wenigstens jetzt erreichen: „Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit!“

Das Schicksal des toten Babys im Altkleider-Container bringen wir vor Gott. Wir halten uns dabei an die Worte Jesu, an sein Beispiel, seinen Lebenseinsatz: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Nirgendwo tritt uns diese Aufforderung zur Liebe so bezwingend entgegen wie in einem Kind. Und trotzdem dies: ein toter Junge im Container. Zu spät für die Liebe. Halt bietet nur das Zutrauen zu Gott. Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass das Leben geachtet wird. Gerade das Leben von Kindern. Diese Hoffnung haben wir bitter nötig.