Was heißt Krise?

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

19. februar 2009


„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele!“ An dieses Wort Jesu hat mein Londoner Kollege im Bischofsamt, Richard Chartres, wohl gedacht, als er vor wenigen Tagen zum Mittel der Provokation griff.

Der britische Kirchenmann erklärte, dass Arbeitslosigkeit für manche Finanzmanager ein Segen wäre. Der Seele tue es gut, aus der ständigen Hektik des Arbeitslebens herausgenommen zu werden. Manchmal bräuchten Menschen Zeit, um über den Sinn ihres Lebens nachzudenken. Manchmal, so meinte er offenbar, müssen sie dazu sogar gezwungen werden.

Wie wahr! Vielen, die offenbar besinnungslos auf ihre Bonuszahlungen fixiert waren, muss man eine Zeit des Nachdenkens wünschen. Eine Finanzordnung, in der die Gewinne privatisiert und die Risiken sozialisiert werden, muss überdacht und geändert werden. Jeder, der in diese Maschinerie einbezogen ist, braucht Abstand. Denn er muss sich kritisch fragen, wie es weitergehen soll. Je größer die Verantwortung, desto wichtiger diese Frage. Nachdenken tut not. Und das braucht Zeit!

Deshalb sollte man „Finanzkrise“ nicht nur als Unwort des Jahres bezeichnen. In jeder Krise steckt vielmehr auch eine Chance. Bei schweren Krankheiten kann die Krise der Umschlagspunkt zur Heilung sein. Aber nur, wenn die richtigen Mittel ergriffen werden. Um diese Mittel geht es auch jetzt. Das braucht Klarheit und Entschlossenheit! Und Zeit zum Nachdenken!

Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. Und Bischof Chartres weiß das. Denn er kennt die Armut in London, wie wir die Armut in Berlin kennen. Arbeitslosigkeit als „Segen“ – das gilt am ehesten für Menschen, die mir hohen Abfindungen aus ihrem Job verabschiedet werden. Nur wer es sich leisten kann, wird die ungewollt freie Zeit zum Nachdenken nutzen können. Wer von der Sorge um das tägliche Brot geplagt wird, hat dafür keinen Spielraum. Die Zahl der von Armut bedrohten Menschen steigt. Ihnen kann keiner sagen, ihre Arbeitslosigkeit sei ein Segen. Sie brauchen das tägliche Brot, wenn sie nicht Schaden nehmen wollen an ihrer Seele. Das darf gerade in dieser Krise nicht vergessen werden.

Worin liegt dann die Chance der gegenwärtigen Finanzkrise? Sie zeigt die Notwendigkeit, allen das Auskommen zu sichern und gerechte Teilhabe zu ermöglichen. Freiheit ist für alle da. Und deshalb: Gerechtigkeit erhöht ein Volk!