Chris Gueffroy

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

05. Februar 2009


Als Chris Gueffroy und sein Freund Christian Gaudian am 5. Februar 1989 versuchten, den letzten Metallzaun der Grenze nach Neukölln zu überklettern, war es schon zu spät. Die DDR-Grenzposten hatten sie bereits entdeckt. Erbarmungslos schossen sie auf die beiden jungen Männer. Chris Gueffroy wurde von zehn Kugeln getroffen. Der Zwanzigjährige starb noch im Grenzstreifen. Er war das letzte Maueropfer, das an der innerdeutschen Grenze erschossen wurde. Heute vor zwanzig Jahren. Ein trauriges Gedenkdatum. Ein Anlass, der Vergesslichkeit zu wehren.

Christian Gaudian wurde schwer verletzt festgenommen. Das Stadtbezirksgericht Pankow verurteilte ihn drei Monate später zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Wegen „versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall“ wurde er eingesperrt.

An der Britzer Allee erinnert eine Gedenktafel an Chris Gueffroy. Ein ernster junger Mann schaut uns an. Er träumte vom Reisen. Zum „Grundwehrdienst“ in der DDR-Volksarmee wollte er nicht; im Mai 1989 stand seine Einberufung bevor. Beim Reichstag erinnert ein einfaches Holzkreuz an ihn. Mit der Erinnerung an die Mauertoten tut das offizielle Berlin sich schwer.

Vor zwanzig Jahren rief Chris Gueffroys Tod tiefe Empörung und scharfe Proteste hervor. Der SED-Generalsekretär Erich Honecker hob schließlich Anfang April den Schießbefehl in einer geheimen Anweisung auf. Offiziell hatte es einen solchen Befehl natürlich nie gegeben. Nur wenige Monate nach dem Tod von Chris Gueffroy brach die DDR zusammen. Doch auch zwei Jahrzehnte nach der friedlichen Revolution darf die Erinnerung an Mauer und Stacheldraht nicht verblassen. Denn es war eine Todesgrenze.

Die SED war von der Furcht getrieben, dass ihr die Bevölkerung weglief. Um das zu verhindern, schreckte sie auch vor tödlichen Schüssen nicht zurück. Ein ausgeklügeltes System von Metallzäunen, Selbstschussanlagen, Minen, Kettenhunden und schwer bewaffneten Grenzposten schottete die DDR ab.

Mindestens 136 Menschen kamen an der Berliner Mauer ums Leben. In der Kapelle der Versöhnung wird ihrer in täglichen Andachten gedacht. Die biblische Gewissheit, dass ihre Namen „im Himmel geschrieben“ sind, kann unserer Vergesslichkeit wehren. Es ist gut, dass wir uns in Berlin frei bewegen können – ohne Mauer und Stacheldraht. Aber wir vergessen nicht, dass diese Stadt beinahe drei Jahrzehnte lang durch die Mauer geteilt war. Und wir gedenken der Opfer, die diese Todesgrenze gefordert hat. Zuletzt heute vor zwanzig Jahren.