Freilassung Christian Klar – Schuld

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

04. Dezember 2008


Christian Klar, so viel steht fest, war an den Anschlägen der RAF führend beteiligt. Er wurde des Mordes überführt und verurteilt. Er zeigt keine Reue und distanziert sich nicht.

Dennoch gilt für ihn wie für jeden anderen Straftäter das gleiche Recht. So will es der Rechtsstaat. Christian Klar kommt nach 26 Jahren aus der Haft frei. In Deutschland ist eine lebenslange Gefängnisstrafe auf 25 Jahre begrenzt. Anders als ihr Name sagt. Die meisten Verurteilten kommen schon nach 18 Jahren frei. Auch wer zu lebenslanger Haft verurteilt ist, soll die Chance auf ein Leben in Freiheit behalten. Unsere Rechtsordnung sieht darin ein Gebot der Menschenwürde.

In diesem Fall stößt die Freilassung bei vielen auf Unverständnis. Die rücksichtslose Brutalität der Terroraktionen ist unvergessen. Angeblich dienten sie einer anderen Gesellschaftsordnung. In Wahrheit haben sie der Suche nach einer besseren Gesellschaft nur geschadet. Christian Klar hat zur Aufklärung der damaligen Morde nichts beigetragen; dadurch hat er den Schmerz der Hinterbliebenen vertieft. Michael Buback, der Sohn des damals ermordeten Generalbundesanwalts Buback, hat Offenheit immer wieder angemahnt. Weil sie fehlt, bleibt eine offene Wunde. Das Schweigen fügt den Angehörigen zusätzlichen Schmerz zu. Dadurch geraten Gerechtigkeitsempfinden und Rechtsstaat in einen Konflikt miteinander.

Zum Rechtsstaat gehört auch, dass nicht die Betroffenen Recht sprechen, sondern ein unabhängiger Richter. Ich respektiere dessen Entscheidung; aber mein Respekt gilt zugleich den Angehörigen der RAF-Opfer. Auch nach dreißig Jahren hat deren Perspektive Vorrang. Sie verlangen nicht Rache, aber Aufklärung. Sie wollen wissen, wer ihre Väter und Ehemänner getötet hat. Sie haben ein Recht darauf. Wer ihnen dieses Recht verweigert, macht sich erneut schuldig. Vielleicht nicht vor dem irdischen Richter, aber jedenfalls vor dem himmlischen.

Auch ich rede nicht der Rache das Wort. Wenn die Bibel sagt: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, dann wird damit nicht unsere Rachsucht gerechtfertigt. Sie wird vielmehr begrenzt. Fordere nicht mehr, als du erlitten hast! Jesus hat sogar die Liebe zum Feind geboten und das Gesetz der Vergeltung außer Kraft gesetzt. Aber er hat dem Wunsch nach der Wahrheit nicht widersprochen. Er hat Wahrheit gefordert. „Eure Rede sei ja ja, nein nein; was darüber ist, das ist vom Übel.“ Christian Klars Ja fehlt. Er steht nicht zu dem, was er getan hat. Er bereut es nicht. Deshalb tut seine Freilassung weh.