Peinliche Ungeduld

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

13. November 2008


Den Berlinern wird nachgesagt, sie hätten hin und wieder eine kesse Lippe oder seien frech wie Oskar. Man lässt es ihnen liebevoll durchgehen. Schließlich können sie auch sehr charmant sein. Und oft haben sie ein weites Herz.

Ungeduldig können Berliner auch sein. Manchmal wird diese Ungeduld peinlich. Zum Beispiel, wenn man im September Weihnachtslebkuchen und im November Weihnachtsmänner braucht. Oder Weihnachtsbäume schon vor dem Ersten Advent aufstellt.  Da halte ich es lieber mit dem biblischen Satz: „Alles hat seine Zeit.“

Natürlich müssen Geschäfte ihre Kunden umwerben. Aber Weihnachtsbaumkugeln im November sind gedankenlos. Dass dadurch am Ende mehr Weihnachtsbaumkugeln verkauft werden, glaube ich nicht. Aber manche können schließlich den Volkstrauertag und den Totensonntag nicht mehr von den Adventssonntagen unterscheiden. Und das ist ein Jammer!

Wer die Adventszeit zu früh einläutet, zeigt damit schlechten Geschmack und poltert zur Unzeit mit der Tür ins Haus. Den Wirkungen kann man sich gar nicht entziehen. Selbst wenn Sie nur eine Flasche Essig kaufen wollen, stolpern Sie heute schon über die ausgebreitete Weihnachtsdekoration.

Das erinnert mich sehr an Astrid Lindgrens wunderbares Kinderbuch „Karlsson vom Dach“. Auch dort geht es nämlich um tolpatschiges Handeln und seine Folgen. Der dicke, sympathische Karlsson wohnt auf dem Dach. Doch er hat einen Propeller und kann fliegen. Dadurch kommt es zu regelmäßigen Besuchen bei dem kleinen Jungen Lillebror. Doch immer wieder unternimmt Karlsson Dinge, die einfach nur peinlich sind. Kinder können sich beim Vorlesen darüber ausschütten. In Lillebrors Kinderzimmer greift er immer wieder beherzt  in die Grünpflanze und zieht  sie aus der Blumentopferde heraus. Dann wundert er sich, dass die Wurzeln noch nicht angewachsen sind, und steckt die Pflanze wieder in den Topf. Weil Karlsson oft zu Besuch kommt, kann die Pflanze keine Wurzeln schlagen. Jedes Kind versteht, dass das sinnlos und peinlich ist. Nur Karlsson will es nicht begreifen.

„Alles hat seine Zeit.“ Für alles im Leben gibt es den richtigen Moment. Wenn man den verpasst, wird die schönste Sache sinnlos und peinlich. Seien es Grünpflanzen oder Weihnachtsmänner. In Berlin müssen manche diese Lektion noch lernen. Vielleicht finden wir Kinder, die uns Erwachsenen „Karlsson vom Dach“ vorlesen. Hoffentlich lernen wir dann wieder, über sinnlose, peinliche Aktionen herzhaft zu lachen. Und das nächste Mal darauf zu verzichten.