9. November

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

06. November 2008


Ein Rabbiner und acht seiner Schüler fahren in der Nacht durch Berlin. Sie sind durch ihre Kopfbedeckung und ihre dunkle Kleidung deutlich als Juden erkennbar. Sie gehören zu der jüdischen Gemeinschaft Chabad Lubawitsch. Die Männer aus England und den USA genießen Berlin als eine fremde Stadt und ahnen nichts Schlimmes. Plötzlich bremst der Wagen vor ihnen sie aus, nötigt sie, mit ihrem Kleinbus rückwärts zu fahren. Sie werden beschimpft beleidigt. Ein brennender Gegenstand wird nach ihnen geworfen. Die Attacke zeigt, dass der Antisemitismus auch in unserer Stadt immer wieder aufflackert. Dieser Fall ist nur einer von vielen. Immer wieder werden Denkmale mit Hakenkreuzen beschmiert oder Gräber beschädigt. „Jude“ gilt bei manchen Jugendlichen wieder als Schimpfwort.

Es ist gut, dass die beiden Täter schnell ermittelt wurden. Sie stammen aus  Familien, die nach Deutschland eingewandert sind. Der Hass gegen Juden kennt keine Altersbegrenzung und keine Landesgrenze. Natürlich ist die schnelle Reaktion der Polizei wichtig. Aber gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass Menschen nicht alten Vorurteilen hinterher laufen. Miteinander müssen wir Verständnis und Verständigung voranbringen. Dazu verpflichtet uns auch die Erinnerung an die Geschichte.

Am kommenden Sonntag gedenken wir der antisemitischen Pogrome vor genau siebzig Jahren. Am 9. November 1938 verwüsteten SA und SS, die gewaltbereiten Stoßtrupps der Nazis, über 1.200 Synagogen sowie tausende Geschäfte und Wohnungen deutscher Juden. Kinder und Eltern, Alte und Junge, Arbeitskollegen und Nachbarn wurden in aller Öffentlichkeit gedemütigt und ausgegrenzt. Später gequält, misshandelt und ermordet. Jüdischer Herkunft zu sein, reichte nach der Ideologie der Nazis dafür aus. Viele standen dabei oder schauten weg, erschreckend viele. Einzelne erhoben mahnend ihre Stimme, hier in Berlin vor allem der katholische Dompropst Bernhard Lichtenberg und der evangelische Pfarrer Helmut Gollwitzer.

Was damals geschah, muss auch der jungen Generation bewusst werden. Unsere Scham über die Gewalttaten von 1938 darf nicht verstummen. Deshalb laden die christlichen Kirchen und die jüdische Gemeinde gemeinsam am kommenden Sonntag zu einem Gedenkweg, der um 14.00 Uhr am Roten Rathaus beginnt. Alle sind willkommen. Oft kommen wir zu spät, wenn auch heute noch Juden beschimpft oder verhöhnt werden. Deshalb ist ein gemeinsames öffentliches Zeichen nötig. Ein wichtiges jüdisches Wort bringt es auf den Punkt: „Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung.“