Grußwort anlässlich der Einführung von Oberlandeskirchenrat Dr. Hans Ulrich Anke als Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD

Klaus Winterhoff

04. September 2008


Herr Ratsvorsitzender,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
besonders aber:
lieber Herr Dr. Anke!

Von der Beliebtheit der Schornsteinfeger, über die niemand etwas Böses sagt, können Juristen nur träumen. Seit alters her sind sie eine Zielscheibe für Spott und Schelte. Für Martin Luther waren Juristen „böse Christen“ und das Studium der Rechte eine „ganz niederträchtige Kunst“. Honoré Daumier fand in Richtern und Rechtsanwälten eine Fülle von Motiven für ätzende Kritik. Von Ludwig Thoma stammt der wohl unzählige Male zitierte Satz über den königlichen Landgerichtsrat Alois Eschenberger: „Er war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstande.“ „Er bekam im Staatsexamen einen Brucheinser und damit für jede Dummheit einen Freibrief im rechtsrheinischen Bayern.“ (vgl. v. Münch, Juristen – „elitär und arrogant“?, NJW 2000, 1312).

In seinem Beschluss vom 24. Mai 2007 hat das LAG Baden-Württemberg das Phänomen aufgearbeitet und festgestellt: „Jedenfalls ist es uns Juristen im Allgemeinen bekannt, dass wir ob unseres gewählten Berufes und einer damit verbundenen geistigen Prägung gelegentlich als Objekt des Spottes herhalten müssen“ (LAG Baden-Württemberg, BeckRS 2007, 45252; vgl. dazu Würdinger, Literarisches vor Gericht: Tucholsky oder Thoma?, NJW 2008, 735).

Juristen wissen das. Sie können darüber lachen. Sie sind der Selbstironie fähig. Für Kirchenjuristen ist das angesichts der konstatierten „endemischen Rechtsneurose des Protestantismus“ (H. Dombois) überlebenswichtig. Ob Vergleichbares auch für andere kirchliche Professionen behauptet werden kann, lass ich an dieser Stelle ausdrücklich offen.

Bei alledem sind die Anforderungen an die Übernahme eines juristischen Leitungsamtes hoch. Der Katalog der wesentlichen Eignungsmerkmale ist unerschöpflich.

Dem OVG Rheinland-Pfalz zufolge zählen dazu neben der juristischen Fachkompetenz, Auffassungsgabe, Pflichtbewusstsein, Belastbarkeit, Fähigkeit zum Umgang mit Menschen und zur Motivation, Führungs- und Überzeugungskraft, Durchsetzungsvermögen, Entscheidungsfreudigkeit, Pragmatismus und Sinn für das Wesentliche, Planungs- und Organisationsfähigkeit, Teamgeist, Einfühlungsvermögen in Problemstellungen sowie Blick für die gesellschaftliche Tragweite einer Entscheidung (zit. bei Bertrams, Richterliche Erprobung an der Seite der Politik?, NWVBl 2008, 293). In der Kirche tritt dazu noch die Identifikation mit dem kirchlichen Auftrag nebst dem Verständnis für Theologie und Theologen. Letzteres ist dabei durchaus nicht synonym zu verstehen.

Bei einer solchen Messlatte wundert man sich a) über sich selbst und b) darüber, dass die Stelle des Leiters der Rechtsabteilung und der Hauptabteilung II und Vizepräsidenten des Kirchenamtes der EKD überhaupt noch einmal besetzt werden konnte. Man ist versucht, die theologische Kategorie des Wunders zu bemühen ...

Lieber Herr Dr. Anke,

im Namen der leitenden Juristinnen und Juristen der EKD-Gliedkirchen gratuliere ich Ihnen von Herzen zu Ihrer neuen Aufgabe.

Nach Ihrer Tätigkeit für die größte Gliedkirche der EKD sind Sie nun für die Gemeinschaft der Gliedkirchen zuständig. Gemeinsinn wird von Ihnen verlangt unter Einschluss von Toleranz für Lokalobservanzen. Durch Ihre Mitarbeit am Verbindungsmodell zwischen den gliedkirchlichen Zusammenschlüssen und der EKD sind Sie an dieser Stelle hinreichend informiert bzw. genügend bösgläubig. Behalten Sie insoweit ein Faible für unfrisierte Gedanken ...

Als Jurist haben Sie unter den Präsidenten im Kirchenamt gegenüber den Theologen mit 25% leider keine Sperrminorität. Ein guter Jurist braucht die aber auch nicht, da er weiß, dass Autorität nicht ist, sondern geschieht (W. Kramp). Vertrauen Sie also der Kraft ihres Wortes. Manchmal bewirkt ein Plädoyer mehr als drei Predigten. Nutzen Sie Ihre Chance. Auch gegenüber den Gliedkirchen. Wir freuen uns jedenfalls auf die Zusammenarbeit. Sie möge der Gemeinschaft dienen und sie festigen.

Zwei Merksätze seien Ihnen für Ihr neues Amt mitgegeben. Sozusagen als eine säkulare Form von Losung und Lehrtext.

Der eine Satz stammt von Adolf Arndt, dem großen Rechtspolitiker der Bonner Republik, der andere von Karl Barth, dem großen Theologen.

Der erste Merksatz lautet: „Im Scharfsinn liegt die größte Versuchung für den Juristen.“

Zur Illustration dessen taugt am besten der alte Ballonwitz. Wer ihn schon von mir gehört hat, mag jetzt weghören:

Zwei Männer fahren im Ballon über Land und verlieren die Orientierung. Da sehen sie tief unter sich auf der Landstraße einen einsamen Wandersmann. Auf Rufweite herabgekommen schreien sie: „Wo sind wir, wo sind wir?“ Und von unten tönt es herauf: „Im Ballon, im Ballon!“ Sagt der eine Ballonfahrer: „Was haben wir denn da für einen komischen Vogel gefragt?“ Sagt der andere: „Das war ein Jurist, denn die Auskunft war kurz, präzis und wenig hilfreich!“

So können Juristen von einem richtigen Ausgangspunkt unter Anwendung reiner Logik zu absurden Ergebnissen kommen. Scharfsinn kann zum Schwachsinn mutieren, wenn er nicht von der praktischen Vernunft vulgo dem gesunden Menschenverstand im Zaum gehalten wird.

An dieser Stelle kommt dann – wir sind ja bei der Kirche und den Kirchenjuristen – der Heilige Geist ins Spiel. Schließlich gibt es nach Karl Barth keinen intimeren Freund des gesunden Menschenverstandes als den Heiligen Geist. Damit ergibt sich ein gewisses trinitarisches Anforderungsprofil für Kirchenjuristen: Geistesgegenwart, gesunder Menschenverstand und juristischer Scharfsinn! Nicht mehr und nicht weniger sei Ihnen persönlich und für Ihr neues Amt gewünscht.

Ich komme zum zweiten Merksatz und bleibe bei Karl Barth. Er schreibt gelegentlich:

„Lieber Freude mit Unfug als freudlose Bedenklichkeit und Grämlichkeit.“

Hören Sie das nicht als Anstiftung zum Unfug. Das sei ferne. Fug und Recht sind und bleiben des Juristen Sache. Aber vor Bedenklichkeit und Grämlichkeit sind wir – zumal in schwierigen Zeiten – nicht gefeit. Da tut ein Quäntchen Glaubensheiterkeit gut. Ich konstatiere hier ein gewisses evangelisches Defizit. In der Kirche der Freiheit darf man aber nicht nur, da muss auch gelacht werden. Wo denn sonst. Wir haben allen Grund dazu! Also: Dienen Sie dem Herrn der Kirche und Ihrem Dienstherrn, der EKD, fröhlich und mit Freuden.

Gott segne Sie und Ihren Dienst im neuen Amt!