Alleinerziehende

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

18. Juli 2008


Ich bin dankbar dafür, in einer großen Familie aufgewachsen zu sein. Vater, Mutter und fünf Kinder. Aber meine Frau wuchs als jüngstes von vier Geschwistern allein mit der Mutter auf. Der Vater war, bevor sie auf die Welt kam, im Krieg geblieben. Kriegerwitwen sind in meinem Leben das erste Beispiel für Alleinerziehende.

Seitdem hat sich beides in mir festgesetzt: die Dankbarkeit dafür, dass Kinder mit Vater und Mutter aufwachsen können – und der Respekt vor der Aufgabe von Alleinerziehenden. Niemand sollte diese Situation als leichter darstellen, als sie ist. Aber jeder sollte denen, die allein für Kinder zu sorgen haben, mit Achtung begegnen. „Gott schuf den Menschen als Mann und als Frau“ – wie richtig diese biblische Wahrheit ist, sehen wir an Familienschicksalen bis zum heutigen Tag. Aber Familie lebt in vielen Formen; auch davor können wir die Augen nicht verschließen. Jede fünfte Familie in Deutschland ist eine Mutter-Kind-Familie oder seltener eine Vater-Kind-Familie.

Alleinerziehende und ihre Kinder sind besonders häufig von Armut bedroht. Aber sie stehen nicht nur vor finanziellen Risiken. Wer betreut die Kinder in der Ferienzeit, wenn die Mutter oder der Vater arbeiten müssen? Nur noch selten wohnen die Großeltern in der Nähe oder laden ihre Enkel während der Ferienzeit zu sich ein. Gerade in den Ferien kann der Alltag leicht aus den Fugen geraten. In Berlin leben 90.000 alleinerziehende Mütter und 9.000 alleinerziehende Väter. Mehr als ein Fünftel aller Familien befindet sich in einer solchen Situation. Es geht also nicht um Einzelfälle!

Es gibt manche praktische Initiativen. Ein vorbildliches Projekt der Diakonie beispielsweise greift in solchen Situationen helfend ein. KIKON – „Kinder und Kontakt“ vermittelt ehrenamtliche Helfer an allein erziehende Mütter und Väter. Ältere Menschen, die Zeit haben und nach einer sinnvollen Beschäftigung suchen, übernehmen die Kinderbetreuung oder bieten andere Hilfen an. Genauso wichtig wie die Hilfe im Alltag ist der persönliche Kontakt. Dadurch gewinnen alle Beteiligten: Die Helferinnen und Helfer schenken ihre Zeit und nehmen dadurch an den Erlebnissen der Kinder teil. Mütter und Väter werden entlastet. Die Kinder begegnen einer neuen Bezugsperson. Sie erhalten neue Impulse.

„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“, heißt es in der Bibel. Ehe und Familie bleiben das Leitbild unserer Gesellschaft. Doch die Vielfalt von Lebensformen ist eine Tatsache. Sie zu leugnen, hat keinen Sinn. Familien leben in einer großen Bandbreite zwischen Netzwerk und Patchwork. Am Leitbild von Ehe und Familie festzuhalten, aber der Vielfalt mit Respekt zu begegnen – das ist die Aufgabe. In der Ferienzeit kann man auf besondere Weise lernen, worum es geht.