Statement in der Pressekonferenz zur Veröffentlichung der Denkschrift des Rates der EKD „ Unternehmerische Verantwortung in evangelischer Perspektive“ in Berlin

Wolfgang Huber

09. Juli 2008


Als Ludwig Erhard gegen viele Widerstände vor sechzig Jahren eine rasche und tiefgreifende Wirtschaftsreform durchsetzte und damit die Grundlage für Wirtschaftswachstum und Wohlstand im westlichen Teil Deutschlands legte, waren keineswegs alle begeistert.  Auch heute,  in den Veränderungsprozessen der Globalisierung, steht unsere Wirtschaftsordnung in der Kritik. Es ist deshalb heute notwendig, sich über die Zukunftsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft Rechenschaft abzulegen und die Bedingungen für ihre Weiterentwicklung zu klären.

Es muss auch heute darum gehen, die Kraft des Marktes als Wohlstandsmotor mit dem Prinzip des Sozialen Ausgleichs zu verbinden. Dazu muss der Staat dem Wettbewerb einen Rahmen setzen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen kooperieren und Verbraucherinnen und Verbraucher müssen ihre Verantwortung wahrnehmen.

Wenn wir heute von einer nachhaltigen ökologisch-sozialen Marktwirtschaft sprechen, wenn Bildung und Teilhabe zu zentralen Themen geworden sind, dann bewegen wir uns auf der Traditionslinie der Sozialen Marktwirtschaft.

Heute stehen wir aber zugleich vor neuen Herausforderungen. Die Globalisierung der Märkte, der Wettbewerb der Standorte und Sozialsysteme, der demographische Wandel, die Problematik weltweiter Armut, die Energie- und Klimaproblematik und damit die Aufgabe nachhaltiger Entwicklung sind solche Herausforderungen. Man braucht sich nur die Agenda des G8-Gipfels in Toyako zu vergegenwärtigen, um das vor Augen zu haben. Auch im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger spielen diese Herausforderungen eine verstärkte Rolle; sie verknüpfen sich mit neuen Nachfragen nach dem unternehmerischen Ethos, dessen öffentliche Wahrnehmung derzeit eine besondere Krise durchläuft.

Befragungen führen zu eindeutigen Ergebnissen: „Wir können die Entwicklung nicht allein dem freien Spiel der Märkte überlassen“, heißt es beispielsweise – oder auch: „ Wir müssen darauf achten, dass ethische Werte nicht dem Gewinnstreben der Marktgiganten und Spekulanten geopfert werden.“ Fast drei Viertel (72%) der Beteiligten am Bertelsmann-Bürgerforum stimmen der Aussage zu: Es soll ein „gesellschaftspolitischer Wertekatalog“ aufgestellt werden, damit Würde und Respekt dem Menschen gegenüber gewahrt werden.“ Unternehmen, meinen die Beteiligten, übernähmen nicht genug soziale Verantwortung. Arbeit finde zu wenig Anerkennung. Sie werde von Arbeitgebern und Arbeitnehmern oft nicht als Recht und Pflicht verstanden.

In dieser Situation sieht sich die Evangelische Kirche in Deutschland dazu herausgefordert, zur Verantwortung der Unternehmer und Unternehmerinnen, aber auch zu den Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns heute Stellung zu beziehen. Das geschieht auf dem Hintergrund, dass zu den zentralen Elementen des christlichen Menschenbilds die tätige Bejahung des geschöpflichen Daseins des Menschen gehört. Die kreative Inanspruchnahme der eigenen Gaben und somit auch unternehmerischer Geist werden im christlichen Glauben ausdrücklich gewürdigt. Die Reformation hat das mit der neuen Hochschätzung des Berufs auf ihre Weise aufgenommen. Deshalb war es an der Zeit, dass wir das Ethos unternehmerischen Handelns ausdrücklich würdigen.

Damit nimmt die Evangelische Kirche in Deutschland keineswegs zum ersten Mal in einer konstruktiven Weise zu Grundfragen der Sozialen Marktwirtschaft Stellung. Uns war stets bewusst, dass die Traditionen des Sozialen Protestantismus und beispielhaft die Überlegungen des Freiburger Kreises im deutschen Widerstand Wichtiges zur Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft beigetragen haben. Die Denkschrift über „Gemeinwohl und Eigennutz“ von 1991, aber auch das Gemeinsame Wort der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage von 1997 und die Denkschrift „Gerechte Teilhabe“ von 2006 geben eine sozialethische Grundlinie an, in die sich auch die Denkschrift, die wir heute vorstellen, einfügt. Aber sie setzt mit ihrer Aufmerksamkeit auf den ethischen Wert unternehmerischen Handelns einen eigenen Akzent.

Mit der Denkschrift „ „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“ wollen wir allen, die am wirtschaftlichen Geschehen beteiligt sind, ethische Orientierung geben. Wir nehmen damit aber auch unsere gesellschaftliche Verantwortung wahr und wollen einen neuen Dialog anregen. Wir tun das auf der Grundlage biblischer Texte,  die uns   ermutigen, die Gaben und Talente, die Gott schenkt, schöpferisch einzubringen. Zugleich allerdings ermahnen die biblischen Weisungen auch dazu,  die unterschiedlichen Fähigkeiten aller, ihre Stärken und Schwächen  zu achten. Die vorrangige Option für die Schwachen, die zu unseren sozialethischen Grundorientierungen gehört, ist auch im Blick auf unternehmerisches Handeln von Bedeutung. Nicht von jedem kann man erwarten, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen – aber jeder wird gebraucht und jeder hat die gleiche Würde. Wer Menschen Mut machen will, ihre eigene Verantwortung wahrzunehmen, wird deshalb auf sozialen Ausgleich achten.

Das christliche Verständnis des Verhältnisses von Freiheit und Verantwortwortung kann  einen entscheidenden Beitrag für einen neuen Wertekonsens leisten. Wir verstehen Freiheit als „kommunikative Freiheit“ in Verantwortung vor Gott wie vor den anvertrauten Menschen. Martin Luthers Vorstellung von der Freiheit eines Christenmenschen, die ihn gerade zum Dienst am Nächsten befähigt, bewährt sich auch im Blick auf unternehmerisches Handeln. Wir  sind durch die Zusage der Freiheit befreit – innerlich, geistlich von einer ängstlichen  Sorge um sich selbst und äußerlich von einer falschen Angst um Leben und Wohlstand, Gesundheit und Sicherheit. Das hilft, in Veränderungen gelassen zu bleiben, bei Herausforderungen Vertrauen zu haben und vernünftige Entscheidungen zu treffen und auch anderen ein gutes Leben zu ermöglichen.

Dieses Verständnis von Freiheit steht im Widerspruch zu einer bloßen Orientierung an der Gewinn- und Nutzenmaximierung. Die Bedeutung der internationalen Finanzmärkte und die Orientierung von Spitzengehältern an der Entwicklung des Börsenwerts des Unternehmens beeinträchtigen in erheblichem Umfang das Vertrauen in die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft. In der öffentlichen Wahrnehmung dominiert inzwischen oft ein Unternehmertyp, der die Grundwerte der sozialen Marktwirtschaft nicht mehr repräsentiert: Es ist der Manager eines Großbetriebes, der nur eine möglichst hohe Dividende für die Anteilseigner im Blick hat, dabei wenig Rücksicht auf die Beschäftigten nimmt, in keiner Weise mit seinem persönlichen Vermögen haftet und beim eigenen Scheitern auch noch Abfindungen in Millionenhöhe kassieren kann.

Doch diese mediale Wahrnehmung entspricht nicht der Wirklichkeit im Ganzen. Jede Statistik zeigt, dass der klassische Unternehmer in Deutschland nach wie vor eine große Rolle spielt. Die Familienunternehmen und inhabergeführten Betriebe, ganz besonders die  kleinen und mittleren Unternehmen in Handwerk und Handel, Landwirtschaft oder Dienstleistung bürgen für eine Kultur der Selbstständigkeit, in der fachliche Qualität, unternehmerische Verantwortung  und soziale Einbettung zusammengehören. Sie haben damit eine wichtige Vorbildfunktion. In diesem Zusammenhang denke ich auch an die vielen Unternehmergestalten, die mit hoher Motivation und Energie Unternehmen im Non-Profit-Bereich, vor allem auch im Sozialsektor leiten.

Es ist heute von erheblicher Bedeutung, das Vertrauen in die Finanzmärkte wiederherzustellen. Hierzu ist eine größere Transparenz, vor allem durch Selbstverpflichtungen der institutionellen Marktteilnehmer und eine internationale Vereinheitlichung der Bankenaufsicht notwendig.

Wenn in Zukunft zur Bewältigung der wirtschaftlichen Prozesse sowohl von Unternehmen als auch von abhängig Beschäftigten immer mehr Flexibilität erwartet wird und damit die Risiken für einen jeden steigen, im Laufe seines Lebens ohne eigenes Versagen aufgrund von Anpassungsprozessen der Wirtschaft wiederholt arbeitslos zu werden oder den Arbeitsplatz wechseln zu müssen, dann muss diese Situation  durch eine ausreichende Grundsicherung im Zusammenhang mit einem offenen Arbeitsmarkt abgestützt werden. Es gibt gute Gründe und deutliche Hinweise aus den Ergebnissen der Sozial- und Wirtschaftsforschung für die Annahme, dass ein Unternehmen, das mit seinen Arbeitnehmern kooperiert, nachhaltig arbeitet und soziale Verantwortung übernimmt, auch beste Chancen hat, langfristig wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Die soziale Einbettung unternehmerischen Handelns ist auch heute möglich. Wir trauen der Ordnung der sozialen Marktwirtschaft die Fähigkeit zur notwendigen sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit zu. Dafür ist es aber erforderlich, Fehlentwicklungen zu korrigieren, die notwendigen Rahmenbedingungen zu bejahen und ein bewusstes unternehmerisches Ethos zu fördern. Dem dient unsere Denkschrift. Sie beantwortet nicht alle denkbaren Fragen, aber sie entwickelt wichtige und weiterführende Grundlinien. Ich danke der Kammer für Soziale Ordnung der EKD von Herzen für die große Arbeit, die sie in dieses wichtige Vorhaben investiert hat, und nenne in diesem Zusammenhang vor allem den Vorsitzenden der Kammer, Prof. Dr. Gert G. Wagner, und deren Geschäftsführerin, OKR Cornelia Coenen-Marx. Ich bin sehr froh darüber, dass wir diese Denkschrift heute der Öffentlichkeit vorstellen können.