Patientenverfügungen können nicht alles regeln

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

20. Juni 2008


Elfriede R. ist einfach in ihrer Wohnung umgefallen. Der Notarzt kam nach wenigen Minuten und konnte die 54jährige wiederbeleben. Doch ihr Gehirn ist unwiderruflich geschädigt. Seitdem liegt sie im Wachkoma. In einer solchen Situation soll ihr Mann für sie entscheiden. Das hat sie klar festgelegt. Aber was kann er tun?

Klaus M. hatte schon zwei Schlaganfälle. Nun geschieht es zum dritten Mal. Er wird künstlich ernährt und muss beatmet werden. Schriftlich hat Klaus M. verfügt: „An mir sollen keine lebensverlängernden Maßnahmen vorgenommen werden, wenn ich sterben muss.“ Trifft diese Verfügung auf die vorliegende Situation zu?

Beispiele, mitten aus dem Leben. Kein Fall ist wie der andere. Kann der Gesetzgeber helfen? Reicht es zu fordern, dass Patientenverfügungen „eins zu eins“ umzusetzen sind?

In dieser Forderung besteht der Kern eines Gesetzentwurfs, über den der Deutsche Bundestag in der nächsten Woche debattiert.  Er sieht vor, dass dem schriftlichen Willen des Patienten unabhängig von der aktuellen Situation zu folgen ist. Nur so sei die Selbstbestimmung des Patienten zu gewährleisten.

Möglicherweise hätte Elfriede R. in einer schriftlichen Patientenverfügung die Einstellung von lebenserhaltenden Maßnahmen gefordert. Doch entspricht dies noch ihrem derzeitigen Willen? Gilt das auch, wenn sie noch auf nächste Angehörige reagiert? Klaus M. hat durch eine schriftliche Erklärung vorgesorgt. Doch wie steht es mit dem weiteren Krankheitsverlauf? Kann es nicht sein, dass er sich noch einmal erholt? Seine Verfügung lässt sich nur schwer auf die konkrete Situation anwenden.

Die Beispiele zeigen deutlich: Schriftliche Patientenverfügungen sind ein wichtiger Ausdruck menschlicher Selbstbestimmung. Doch sie können nicht alles regeln. Der Patient kann nicht mehr mit dem Arzt sprechen; über Diagnose und Therapie erfährt er nichts. Wie soll dann die lange vorher getroffene Festlegung unabhängig von Art und Stadium der Krankheit gelten?

Eine Patientenverfügung kann nicht für sich allein betrachtet werden. In vielen Fällen ist eine Vorsorgende Vollmacht das Allerwichtigste. Ein naher Angehöriger oder ein verlässlicher Freund soll Gesprächspartner des Arztes sein, wenn der Patient nicht mehr für sich selbst sprechen kann. Nur so kann es gelingen, die Selbstbestimmung des Patienten und die Fürsorge für sein Leben in Einklang zu bringen.

Das menschliche Leben ist zu keinem Zeitpunkt verfügbar. Denn es gilt die biblische Einsicht: „Geboren werden hat seine Zeit, Sterben hat seine Zeit.“