Kann Gott wirklich ALLES vergeben?

Bischof Wolfgang Huber im „Bunte“-Interview (Heft 20/2008) über den Teufel von Amstetten und wie er sich als Christ mit dem Inzest-Skandal auseinandersetzt

22. Mai 2008


Er ist der »Chef« von 26 Mio. evangelischen Christen in Deutschland: EKD-Ratspräsident Bischof Wolfgang Huber, 65. Auch ihn seit 41 Jahren glücklich verheiratet und Vater von drei Kindern hat der Inzest-Skandal von Amstetten in Österreich entsetzt und aufgewühlt. Doch wie geht man als Christ mit diesem fürchterlichen Verbrechen um? Kann der brutale Täter trotzdem auf Vergebung hoffen? BUNTE sprach mit Bischof Huber zu Pfingsten über die Gnade Gottes, Familie und die Bedeutung der Nächstenliebe im Zeitalter der Globalisierung.

Wie oft beten Sie zu Gott, Herr Bischof?

Jeden Tag mindestens drei Mal.

Heute auch schon?

Ja, für drei tapfere freiwillige Helfer der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, die bei Einsätzen ums Leben kamen. Zwei von ihnen wurden von einem palästinensischen Selbstmordattentäter in den Tod gerissen!

Wann haben Sie das letzte Mal gesündigt?

Gestern Abend.

Inwiefern?

Weil ich einem anderen Menschen gegenüber ungerecht war und eine Zeit lang brauchte, bis ich verstanden hatte, was er wollte.

Welche Sünden können Sie am ehesten vergeben?

Sünden, die bereut werden!

Ein fürchterliches Verbrechen bewegt zurzeit die Menschen: In Österreich hat ein Vater seine Tochter 24 Jahre lang im Keller wie eine Sklavin gefangen gehalten, sie vergewaltigt. Sehen wir da den Teufel in Menschengestalt?

Jedenfalls sehen wir in solchen Verbrechen die Herrschaft des Bösen. Wenn ich die Fotos von diesem Schreckenshaus betrachte und diese hohen Hecken sehe, die es umgeben, dann kommt in mir ein beklemmendes Gefühl der Undurchdringlichkeit hoch. Eine Lehre aus diesem Fall für uns alle sollte sein: Verliere deinen Nachbarn nicht aus den Augen!

Zweifeln Sie in diesen Momenten an Gott?

Ich muss mich damit auseinandersetzen, dass der Gott der Liebe nicht wie ein Weltchirurg vorgeht, der im Vorhinein alles Böse aus dieser Welt herausschneidet, damit nur das Gute übrig bleibt.

Kann der Horrorvater von Amstetten jemals auf Vergebung hoffen?

Wenn er den Weg zu aufrichtiger Reue findet und geht.

Millionen Christen in aller Welt feiern in diesen Tagen Pfingsten. Für die meisten scheint dies bloß noch ein willkommener freier Tag zu sein ohne tiefere religiöse Bedeutung.

Falsch! Pfingsten ist nicht veraltet. Im Gegenteil. An Pfingsten feiern wir, dass der Geist Jesu die Christen und die Kirche auch heute und morgen noch bewegen und begeistern kann. Wir erleben gerade Anzeichen für eine Hinwendung zum christlichen Gedankengut, eine Wiederentdeckung des Religiösen ganz besonders bei vielen jungen Menschen!

Aber passt der christliche Gedanke der Nächstenliebe noch in das Zeitalter der Globalisierung, wo fast jeder Angst um seinen Job hat und zusehen muss, wie er selbst über die Runden kommt?

Die christliche Forderung nach Nächstenliebe ist doch so aktuell wie nie! Gerade in den Zeiten der Globalisierung. Nur durch die Nächstenliebe, wie Jesus sie fordert, werden Egoismus, Profitgier und Ellbogenmentalität abgemildert. Die Nächstenliebe zwingt uns aber gleichzeitig einzusehen, dass auch der Inder oder Chinese, der uns vermeintlich den Job wegnimmt, ein Recht auf Arbeit und angemessenen Lebensunterhalt hat.

Ist die Pfarrerstochter Angela Merkel als Kanzlerin auch eine gute Christin?

Ich bin froh, dass sie sich dazu bekennt, dass sie Christin ist. Und ich bin beeindruckt von vielem, was sie über Parteigrenzen hinweg in letzter Zeit getan hat. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen und das ist uns als Kirche besonders wichtig , dass die Europäische Union nicht nur als eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch als eine Wertegemeinschaft betrachtet wird. Ich freue mich zudem, dass die Union hier insbesondere vertreten durch Familienministerin Ur-sula von der Leyen eine neue Diskussion über die Rolle der Familie begonnen hat und sich die Erkenntnis durchsetzt, dass Männer und Frauen in ihrer Verantwortung für die Familie nicht einfach ins 19. Jahrhundert zurückkehren müssen, sondern die Verantwortung anders aufteilen können, als das vielleicht in früheren Zeiten der Fall war.

Immer mehr Eltern wollen ihre Kinder auf konfessionelle Privatschulen schicken, doch es fehlen Plätze und Geld. Muss der Staat da nicht mehr Geld zuschießen?

Wir haben für die Region Berlin, in der ich Verantwortung trage, gerade beschlossen, in einem sehr überschaubaren Zeitraum die Zahl der Plätze an evangelischen Schulen zu verdoppeln. Dafür sind wir darauf angewiesen, dass die staatliche Mitfinanzierung, die ja durch das Grundgesetz verpflichtend vorgeschrieben ist, in ausreichendem Maße stattfindet. Dass für den Staat die Schulplätze in freier Trägerschaft kostengünstiger sind als seine eigenen Schulplätze, wird sich wohl nicht ändern. Aber statt seine Beiträge abzusenken, wie das in den letzten Jahren jedenfalls in unserem Bereich passiert ist, sollte der Staat sie wieder steigern. Er spart trotzdem noch.

Herr Bischof, Sie sind für Toleranz gegenüber dem Islam. Keine Angst vor der Islamisierung des Abendlandes?

Die Muslime müssen lernen, zwischen dem Islam und dem radikalen Islamismus zu unterscheiden. Es muss ganz klar sein, dass wir gegen jede Verbindung von Religion und Gewalt sind.

Wie wäre es mit einem »Wort zum Freitag« ähnlich wie dem »Wort zum Sonntag« im Fernsehen?

Dass es am Gebetstag der Muslime auch Möglichkeiten gibt, Muslime in deutscher Sprache in deutschen Medien anzusprechen, halte ich für durchaus richtig.

Das große Angstwort in Deutschland lautet »Altersarmut«. Tun un-sere Politiker genug dagegen?

Gegen Altersarmut wird im Augenblick nicht genug getan. Es darf nicht sein, dass Menschen im Alter in einem so reichen Land wie dem unseren an der Grenze des Existenzminimums leben. Zur Wahrheit gehört aber auch: Kinderarmut ist in unserem Land das noch größere Problem. Man muss in der jetzigen Situation sehr aufpassen, dass man das eine nicht gegen das andere ausspielt. Die konkrete Forderung an die Politiker lautet, genau hinzuschauen, warum Menschen an die Grenze des Existenzminimums geraten, und die nötige finanzielle Hilfe zu leisten.

Geben Sie einem Bettler etwas auf der Straße?

In bestimmten Situationen ja. Aber ich finde es wichtiger, an der Situation etwas zu ändern, in der er lebt. Woher soll ich wissen, ob er das, was ich ihm auf der Straße gebe, tatsächlich nutzt, um seinen Hunger zu lindern?

Interview: Sebastian von Bassewitz

Quelle: "Bunte" - Heft 20/2008