Statement bei der Vorstellung der Schrift „Die Taufe. Eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis der Taufe in der evangelischen Kirche“

Wolfgang Huber

06. Mai 2008


I.

In unmittelbarer Nähe zum Pfingstfest 2008 veröffentlicht der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine Schrift zum Thema der Taufe. Er betont damit: So wie das Pfingstfest die Begabung der ganzen Christenheit mit Gottes Geist feiert, so vollzieht sich in der Taufe die Begabung jedes einzelnen Täuflings mit dem Geist Gottes. Um was für einen Geist es sich handelt, beschreibt der Apostel Paulus mit den Worten: Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. (2. Kor. 3,17)

Damit widmet die evangelische Kirche dem Anfang des Christseins im Leben eines Menschen und dem Grund des christlichen Glaubens besondere Aufmerksamkeit. Nach der vor fünf Jahren veröffentlichten Orientierungshilfe zum Abendmahl widmet sich die heute vorzustellende Orientierungshilfe dem anderen Sakrament, der Heiligen Taufe, der „Eintrittstür in die christliche Gemeinschaft“ (Manfred Kock). Beide Schriften zusammen dokumentieren eine elementare evangelische Theologie der Sakramente; sie zeigen die Kraft einer evangelischen Theologie, die auf die biblischen Texte gegründet, am reformatorischen Erbe und Auftrag orientiert sowie den Herausforderungen unserer Zeit zugewandt ist.

Einen Ausgangspunkt für die Beschäftigung des Rates der EKD mit Verständnis und Praxis der Taufe stellen die Ergebnisse der vierten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD dar. Sie haben erneut herausgestellt, wie stark der Wunsch vieler Menschen ist, an den Wendepunkten des Lebens kirchlich begleitet zu werden. Diese Begleitung durch die kirchlichen Amtshandlungen muss in beiden Richtungen eine hohe Qualität aufweisen: im Blick auf die theologische Klarheit und liturgische Prägnanz ebenso wie in der Art, in der die jeweilige Situation aufgenommen und den beteiligten Menschen Wertschätzung entgegengebracht wird.

Die im Jahr 2004 vom Rat der EKD eingesetzte ad-hoc-Kommission „Taufe“ hat sich diesen Fragen intensiv gewidmet. Dabei entstand ein Text, der sich durch eine biblische Grundlegung des Taufverständnisses, durch die Würdigung der altkirchlichen Tradition wie der reformatorischen Weichenstellungen, und schließlich durch grundsätzliche Überlegungen zur Vorbereitung und Feier der Taufe auszeichnet. Der Rat der EKD hat sich den Text gern zu Eigen gemacht. Er dankt allen Mitgliedern der ad-hoc-Kommission „Taufe“, insbesondere ihrem Vorsitzenden, Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies, sehr herzlich für die geleistete Arbeit.

II.

Ein Ergebnis der vierten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung besteht darin, dass trotz leichter Schwankungen im Einzelnen unter den evangelischen Kirchenmitgliedern eine stabile Taufbereitschaft vorauszusetzen ist. Hervorzuheben ist hier insbesondere der anhaltende Anstieg der Zahl der Taufen von Erwachsenen; die jüngsten EKD-weiten Zahlen lauten 23.358 im Jahr 2005 auf 23.692 im Jahr 2006. Dies ist gegenläufig zu den aus demographischen Gründen zurückgehenden Mitgliederzahlen. Es ist auch gegenläufig zu der zurückgehenden Zahl von Kindertaufen, in der sich der Rückgang der Geburten spiegelt (199.665 in 2005; 189.385 in 2006).

Die Veränderung der Taufpraxis und der Taufzahlen lässt sich an meiner eigenen Landeskirche, der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz verdeutlichen. In den Jahren 2000 bis 2003 war die Zahl der Taufen von 8.123 auf 7.844 gesunken. Im Jahr 2004 aber betrug diese Zahl 8.469, seither steigt sie beständig. Auch hier ist auffallend: Vor Vollendung des 1. Lebensjahrs wird nur noch eine Minderheit getauft. Der Anteil der Taufen von Kindern und Jugendlichen sowie von Erwachsenen steigt demgegenüber deutlich an. Das bedeutet auch: Der Ansatz kirchlichen Handelns, der auf die Taufe in Kindheit und Jugendalter – insbesondere in Verbindung mit der Konfirmation – oder auf die Taufe von Erwachsenen gerichtet ist, findet Resonanz. Der Zusammenhang zwischen kirchlichem Bildungshandeln und Taufe gewinnt an Bedeutung.

Umso wichtiger ist theologische Klarheit im Blick auf die Taufe. Zu ihr trägt die vorliegende Orientierungshilfe bei. Sie entfaltet das evangelische Taufverständnis in klarer Bindung an die biblische Botschaft. Aber sie widmet den Weichenstellungen in der Zeit der frühen Christenheit ebenso Aufmerksamkeit wie den reformatorischen Grundentscheidungen. Dabei treten mehrere einander ergänzende Motive hervor. Sie finden aber darin einen gemeinsamen Nenner, dass die Taufe mit Wasser im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes den Getauften mit hineinnimmt in die Geschichte Jesu Christi und ihn teilhaben lässt an der Freiheit der Kinder Gottes. Die Taufe ist eine Gnadengabe Gottes. Sie befreit von der Macht der Sünde. Sie lässt teilhaben an Kreuz und Auferstehung Jesu Christi. Sie begabt mit dem Heiligen Geist. Durch sie werden Menschen aufgenommen in die Gemeinschaft der Glaubenden aller Zeiten. Die Taufe ist Grund der Freiheit und Siegel der Gewissheit eines Christenmenschen in der Bindung an Gott.

III.

Theologische Klarheit ist auch erforderlich im Blick auf das ökumenische Gespräch, in dem die gemeinsame Auseinandersetzung um das Verständnis christlicher Taufe neu an Bedeutung gewonnen hat.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Gottesdienst vor nahezu genau einem Jahr in Magdeburg, in dem evangelische, katholische, orthodoxe Kirchen sowie evangelische Freikirchen feierlich die wechselseitige Anerkennung der Taufe besiegelten. Die christliche Taufe ist Taufe im Namen Jesu Christi – auf diese Formel lässt sich der Grundsatz der am 29. April 2007 von elf Kirchen unterzeichneten Urkunde bringen.

Alle christlichen Kirchen betonen, dass die Taufe grundlegende und lebenslang gültige Zusage der Vergebung und der Liebe Gottes ist, deren Wirkung ein festes Vertrauen des Menschen ist, das sein ganzes Leben trägt. Während für bestimmte römisch-katholische und orthodoxe Traditionen das Taufwasser als Träger einer verändernden Kraft – der Taufgnade – verstanden wird, identifizieren die reformatorischen Kirchen diese Taufgnade mit der Kraft des Glauben weckenden und so das Leben verändernden Wortes. Ähnlich wie beim Abendmahl ist aber daran zu erinnern, dass nicht nur Wort und Element das Sakrament konstituieren, sondern dass die Handlung, der Vollzug hinzutritt: in diesem Fall das dreifache Begießen mit Wasser beziehungsweise Untertauchen in das Wasser.

IV.

Es besteht viel Grund dazu, den Einsatz und die Kreativität zu würdigen, die evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer in der Ausgestaltung von Taufgottesdiensten entfalten. Zugleich füge ich hinzu: Ein wirkliches Bild von der Qualität dieser Arbeit besteht nicht; ja manchmal wissen wir auch selbst als unmittelbar Beteiligte nicht, was uns in diesem zentralen Handlungsfeld gelingt oder misslingt.

Deswegen stellen wir uns - nicht zuletzt im Rahmen des Reformprozesses in der evangelischen Kirche - intensiver der Frage nach der Qualität kirchlicher Arbeit in diesem Feld. Denn nur so kann Handlungssicherheit entwickelt und erreicht werden. Die Orientierungshilfe beschreibt wichtige Rahmenbedingungen heutiger evangelischer Taufpraxis. Sie sieht dabei in der Taufe eine herausragende Gelegenheit zur Verkündigung des Evangeliums vor einer anlassbezogen versammelten Gemeinde. Denn ein Taufgottesdienst und in ihm insbesondere die Predigt kann das Evangelium der Freiheit in besonderer Weise so zur Sprache bringen, dass es im eigenen Leben und Erleben nachvollzogen werden kann. Die sprachliche Gestalt von Predigten und Gebeten, die poetische und musikalische Gestalt von Liedern und liturgischen Stücken und auch die Gestaltung des Kirchenraumes enthalten für viele Menschen die Chance zu einer ersten und vielleicht wegweisenden Begegnung mit der Freiheit eines Christenmenschen. Ebenso wichtig wie die Gestaltung der Taufe selbst ist die Gestaltung der Taufvorbereitung. Die Einsicht, dass die Taufe von Jugendlichen und Erwachsenen von ebenso großer Bedeutung ist wie die Taufe von Säuglingen und Kindern, muss sich noch stärker als bisher in regelmäßigen und einladenden Angeboten zur Taufvorbereitung Ausdruck verschaffen.

Sowohl im Blick auf den kirchlichen Bildungsauftrag als auch im Blick auf die Arbeit an der Qualität von Gottesdiensten und Kasualien hat das Thema der Taufe im Rahmen des Reformprozesses in unserer Kirche paradigmatische Bedeutung.

V.

Die vorliegende Orientierungshilfe will vor allem anderen Mut machen: Mut zu einer Erneuerung der Taufpraxis in den Gemeinden, Mut zur Einladung von Erwachsenen zur Taufe, Mut zur angemessenen Gestaltung der Taufe für alle Lebensalter. Ich wünsche diesem Buch eine vielfältige Resonanz und einen segensreichen Gebrauch.