Babymord

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

11. April 2008


Es ist Sonntagmorgen. Vor dem Fenster zwitschern die Vögel. Im Kinderzimmer bereiten sich Bruno und Josefine auf die Ereignisse des Tages vor. Sie werden mit ihren Eltern einen Ausflug in den Berliner Zoo unternehmen. Noch im Schlafanzug packen die Kinder ihre Rucksäcke. Heute werden sie anders gefüllt als während der Woche für den Kindergarten: Keine Brotbüchse, dafür ein Kuscheltier, die Kette mit den Holzperlen, die Taschenlampe und die Bonbons von Oma, die Mama nicht mag. Alles findet seinen Platz.

Bruno ist fünf und Josefine ist drei Jahre alt. Sie sind sehr gespannt auf die Tiere im Zoo. Gleich werden sie ins Schlafzimmer schleichen und ihre Eltern an den Füßen kitzeln, damit sie endlich aufstehen. Sie werden durch die Wohnung toben und Müsli essen. Dann geht es endlich los. Vor dem Zoo fahren sie in den Kindergottesdienst. In der Kirche treffen sie andere Kinder. Sie malen ein Blatt aus, sie singen zusammen und bitten Gott, dass er die Erde mit all ihren Tieren bewahrt.

Im Zoo ist es toll. Josefine und Bruno vergessen vor lauter Aufregung sogar, sich zu streiten. Die Eltern begleiten die Neugier ihrer Kinder. Gemeinsam staunen sie über die Affen und die bunten Fische im Aquarium.

Wie im Flug geht der Tag vorüber. Der gemeinsame Sonntag stärkt die Familie.  An diesem Abend bringt Ole, der Vater,  seine beiden Kinder ins Bett. Er erzählt eine Geschichte und singt mit ihnen ein Abendlied. Zur selben Zeit hört Silke, die Mutter, im Radio die schreckliche Meldung von der Entdeckung eines Babyleichnams im Köpenicker Forst. In einem Rucksack haben Spaziergänger das Baby gefunden. Ein weiteres Kind, dessen Leben jäh zu Ende ging – unbegreiflich!

Tränen laufen über Silkes Wange. Sie nimmt die Rücksäcke ihrer Kinder in die Hand. So dicht liegen Glück und Gewalt an einem Tag beieinander! Gern würde Silke etwas tun, um solche Kindstötungen zu verhindern. Aber was?

Im Kindergottesdienst haben ihre Kinder ein Bild ausgemalt, das Jesus zeigt, wie er sich über die Begegnung mit Kindern freut. Die Jünger wollen die kleinen Störenfriede von ihrem Meister fernhalten. Doch er segnet sie und sagt: „Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn ihnen gehört das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“

Silkes Kinder werden nun schlafen und davon träumen, wie die Affen von Baum zu Baum hüpfen. Sie wollte sich mit ihrem Ole über einen gemeinsamen Abend freuen. Doch sie muss immerzu an das tote Baby denken – und an seine Mutter. Wer weiß, wo diese Frau gerade ist? Und wer kommt dem nächsten Kind rechtzeitig zu Hilfe?