Statement in der Pressekonferenz "Woche für das Leben" "Gesundheit – höchstes Gut", Berlin

Erzbischof Robert Zollitsch

07. März 2008


„Gesund oder krank – von Gott geliebt“ lautet das Leitthema der Woche für das Leben in den kommenden drei Jahren. Mit der Woche für das Leben setzen sich die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland gemeinsam ein für die Würde und den Schutz des menschlichen Lebens in all seinen Phasen und für alle Menschen – gleich welchen Alters und welcher physischer wie psychischer Verfassung. Es geht dabei weniger um eine Idealvorstellung, sondern ganz wesentlich und in erster Linie um die konkrete Mitgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Sorge um Kranke und Hilfsbedürftige gehört zum Kernauftrag Jesu. Mit dem Evangelium kamen immer auch Medizin und Gesundheitsvorsorge in die einzelnen Länder der Erde. Die Kirchen sind schon immer im Gesundheitswesen engagiert und nehmen mit ihren zahlreichen Einrichtungen große Verantwortung in diesem Bereich wahr. Wenn wir in den nächsten drei Jahren diesen Sektor unter dem Aspekt der Menschenwürde in den Blick nehmen, dann sind wir immer auch selbst angefragt.

In Deutschland stellen mehrere hunderttausend Ärzte und Pflegekräfte, mehr als 2.000 Kliniken und 20.000 Apotheken die Gesundheitsversorgung der Menschen sicher. Dabei dürfen wir nicht übersehen: Trotz aller notwendigen Diskussionen um die Finanzierung des Gesundheitssystems, geschieht dies – gerade mit Blick auf die weltweite Situation – auf einem hohen Niveau. Wir lassen uns in unserem Land die gute Versorgung jährlich mehr als 200 Milliarden Euro kosten. Eine gesicherte Gesundheitsversorgung für die Menschen ist eine Kulturleistung, die Anerkennung verdient. Es ist gut, wenn große Sorgfalt darauf verwandt wird, dass die Menschen genügend Gesundheitsvorsorge treffen und ein hohes Maß an Gesundheit erreicht wird.

Doch dabei gilt es, immer neu die Frage zu stellen, die als Thema über der Woche für das Leben im Jahr 2008 steht „Gesundheit – höchstes Gut?“ Diese Frage ist eine Anfrage an jede und jeden von uns – ob Arzt oder Patient, ob alt oder jung, ob gesund oder krank. Mit dieser Frage machen wir auf eine Entwicklung aufmerksam, die wir aus Sorge um die Menschlichkeit im Blick behalten müssen: ich nenne exemplarisch die oft einseitige Bewertung, ja Überbewertung körperlichen Wohlbefindens. Menschen, denen es in ihrer gesundheitlichen Grundversorgung gut geht, schenken diesem Faktor nicht selten eine übertriebene Aufmerksamkeit. Man braucht sich nur einen einzigen Werbeblock im Fernsehen anzusehen, wenn die relevanten Werbe-Zielgruppen vor den Bildschirmen vermutet werden: Pillen und Cremes, Freizeit- und Wellnessangebote in schier unübersehbarer Zahl für Fitness und Lebensfreude bis ins hohe Alter.

All das ist per se nicht verwerflich. Es geht uns nicht darum, Fitnessangebote oder Wellnesshotels argwöhnisch zu beäugen. Was aber sehr wohl kritisch betrachtet werden muss, ist die übertriebene Betonung eines Gesundheitsbegriffes, der allein körperliches Wohlbefinden und ein makelloses Äußeres in den Blick nimmt. Gefördert wird diese Entwicklung auch durch die um sich greifende Illusion, Schönheit und Jugend machen zu können, geistige und körperliche Leistungsfähigkeit jederzeit wieder herstellen zu können.

Das verkürzt den Begriff von Gesundheit in nicht akzeptabler Weise und birgt die Gefahr, nur noch den Leistungsstarken, der vor körperlicher Gesundheit strotzt, in unserer Gesellschaft als vollwertig zu akzeptieren. Solche Vorstellungen müssen nicht erst in ferner Zukunft befürchtet werden. Denken Sie an Äußerungen wie: „Operationen bei über 70-jährigen lohnen sich doch nicht mehr“ oder noch schlimmer: „Es ist doch heutzutage nicht mehr nötig, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen“.

In Gesellschaften, in denen die Grundbedürfnisse sichergestellt sind, verschieben sich die Werte. Die Menschen werden anspruchvoller. Selbstverwirklichungswerte treten in den Vordergrund und nehmen einen breiten Raum ein: Freizeit und Wohlbefinden, körperliche Leistungsfähigkeit und gutes Aussehen gewinnen an Bedeutung. Wenn die Sorge hierfür übertrieben wird, gerät die Akzeptanz für alle, die diesem Bild nicht entsprechen, in Gefahr.

Dann werden gerade die Perspektiven ausgeklammert, die ein wichtiges Anliegen der Woche für das Leben sind: Der Mensch ist eben nicht nur fit und leistungsstark. Zum Menschsein gehören auch Gebrechlichkeit, die stete Gefährdung der körperlichen und geistigen Stabilität, die Abhängigkeit von den Mitmenschen und der sozialen Umwelt in Situationen der Hilfsbedürftigkeit. Es sind Gefährdungen im Leben der Menschen, mit denen sich die meisten von uns – früher oder später – auseinandersetzen müssen, nicht selten erst, wenn wir dazu gezwungen sind. Man erlebt sie bei sich selbst oder bei Menschen, die einem nahe stehen. Bei aller Hochschätzung unseres Gesundheitssystems warnen wir vor einer verengten Perspektive, in der nur der Gesunde und Leistungsstarke der allein gesellschaftlich akzeptierte Mensch ist, in der Kranke, Behinderte und Gebrechliche Gefahr laufen, sich rechtfertigen zu müssen.

Jede ernsthafte Beschäftigung mit der Thematik zeigt schnell, dass es sich um ein komplexeres Feld handelt, als uns die Werbung weismachen will. Es ist schon nahezu unmöglich, eine akzeptable Definition von Gesundheit zu formulieren. Da wir im ersten Jahr der neuen Kampagne den Gesundheitsbegriff bewusst machen wollen, haben wir einige Definitionsversuche in unser Themenheft aufgenommen. Sehr weit gefasst ist die Definition der Weltgesundheitsbehörde (WHO): „Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen“.

Es soll in diesem Jahr kritisch darauf geschaut werden, wer die Definitionen in unserer Gesellschaft vorgibt und warum. Welche Dimensionen werden angesprochen, welche fallen völlig weg? So reflektiert der vordergründig körperliche Begriff von Gesundheit nicht im Geringsten die Dimension, die in dem Wort steckt, das die Heilige Schrift in diesem Kontext verwendet: Heilung bzw. Heil. Dabei geht es um eine Gesundung des ganzen Menschen, auch seiner seelischen Dimension. Der Strom der Lourdespilger beispielsweise ist gerade deswegen seit 150 Jahren ungebrochen, weil die Menschen etwas erhoffen, das über alle hervorragenden Medikamente und medizinischen Möglichkeiten unserer Zeit hinausgeht. Die Pilger wissen, dass Wunder nicht automatisch eintreten. Es geht hier um alles anders als um Magie. Der ungebrochen hohe Zuspruch zeigt etwas anderes: zum Menschsein gehören auch Dimensionen der Hoffnung und des Ertragens von Gebrechlichkeit und Unzulänglichkeit. Dies ist menschlich und fordert Menschlichkeit im Sinne eines solidarischen Handelns heraus.

Die Woche für das Leben soll in den kommenden Jahren dazu beitragen, dass ein Bild vom Menschen gesellschaftlich akzeptiert wird und das Zusammenleben prägt, das keine Gruppe ausschließt, sondern auch Menschen mit jedweden Gebrechen einschließt und in die Mitte nimmt.

Die bundesweite Eröffnung der Woche für das Leben findet am 5. April 2008 in Würzburg statt. Das Programm dazu liegt Ihnen in der Pressemappe vor. Wie aktuell das Thema ist, zeigt sich schon daran, dass längst nicht alle Interessenten am geplanten „Markt der Möglichkeiten“ beteiligt werden konnten, weil der Platz um den Dom dazu nicht ausreicht.

Wir laden herzlich zur Eröffnungsfeier nach Würzburg ein. Den Beginn bildet ein ökumenischer Gottesdienst im Dom St. Kilian. Ihm folgt ein Diskussionsforum, an dem neben dem Ratsvorsitzenden der EKD und dem Ortsbischof Dr. Friedhelm Hofmann der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jörg Dietrich Hoppe, und der erste Vorsitzende des Missionsärztlichen Instituts in Würzburg, Prof. Dr. Klaus Fleischer, teilnehmen werden.

Der Arzt und Buchautor Dr. Manfred Lütz wird das Podium mit einem Statement eröffnen. In der Woche vom 5. bis 12. April finden dann zahlreiche Initiativen, Veranstaltungen und Gottesdienste in den Diözesen und Landeskirchen statt. Wir hoffen auf weiterführende Impulse und anregende Diskussionen im ganzen Land.