„Von Wittenberg über Dresden nach Berlin“

Bericht über den Reformprozess auf der EKD-Ebene bis zur konstituierenden Sitzung der Steuerungsgruppe am 13. Februar 2008 in Berlin

23. Februar 2008


1. Hintergrund und Klärungen im Jahre 2007

Nach der Veröffentlichung des Impulspapiers „Kirche der Freiheit. Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert“ am 6. Juli 2006 hat es eine lebhafte Debatte um den Zukunftskurs der evangelischen Kirche gegeben. Das Jahr 2007 hat daher ganz wesentlich dazu beigetragen, dass die verschiedenen Handlungsebenen und Handlungsschritte auf der EKD-Ebene, aber auch in den Gliedkirchen und Kirchenkreisen über die Fortsetzung des gemeinsamen Reformbestrebens geklärt werden, so dass Verabredungen getroffen und Perspektiven eröffnet werden können.

Den Auftakt machte der sog. Zukunftskongress in Wittenberg vom 25. – 27. Januar 2007, auf dem verschiedenen Richtungen und Ansätze in der evangelischen Kirche zu sehr konstruktiven Diskursen über den Zukunftsweg der evangelischen Kirche zusammenfanden.

Im Anschluss wuchs die Einsicht, dass die Reformanstrengungen nur dann erfolgreich vorangetrieben werden können, wenn die Gliedkirchen zu „Subjekten der Bewegung“ würden. Eine hohe Bereitschaft dazu zeigte sich nicht zuletzt darin, dass alle Gliedkirchen bis zum Sommer 2007 ihre zentralen Reformprojekte und –kompetenzen benannten, so dass eine Art Schaufenster der Reformanstrengungen entstand, in das alle Gliedkirchen ihre Projekte hineinstellten und ihre Bereitschaft zur intensiveren Zusammenarbeit signalisierten.

Der bestimmende Eindruck dieses Schaufensters ist die Fülle und der Reichtum an Kompetenzen und Ideen im deutschen Protestantismus, die allerdings oftmals nur von regionaler Reichweite sind. Aber gerade diese Stärke erweist sich auch als Gefahr, insofern die Vielzahl von Möglichkeiten und Anregungen zu unnötigen Doppelarbeiten führt und eine klare Orientierung erschwert. Es war daher ein unumgänglicher und substanzieller Schritt, dass sich Rat, Kirchenkonferenz und Synode im Laufe des Jahres 2007 auf die inhaltlichen Schwerpunkte einigten, die es im weiteren Verlauf besonders zu verfolgen gilt.

Nach der Grundregel, dass lediglich eine Konzentration der Themen und Kräfte die Verheißung einer wirksamen Reformumsetzung in sich trägt, haben sich sowohl die Synode der EKD als auch der Rat und die Kirchenkonferenz unabhängig voneinander, aber dennoch konvergierend mit der Frage intensiv beschäftigt, welche Kernpunkte der Reformanstrengungen aus der Fülle der Optionen gewählt werden sollten.

Die 6. Tagung der 10. Synode in Dresden beschloss eine Kundgebung mit dem Titel „evangelisch Kirche sein“, aus der hervorgeht, dass die Leitbegriffe Gottesbegegnung, Lebenserneuerung und Gemeinschaft die drei Grundkategorien sind, an denen sich die evangelische Kirche in ihren Aufgaben und Handlungen messen lassen will. Im Grunde hat also die Synode mit diesen drei Themenbereichen die zentralen Felder bestimmt, innerhalb deren auch die Reformanstrengungen der Kirche vorankommen sollen. Entsprechend zielen die konkreten Beschlüsse der Synode auf eine Stärkung des „gemeinsam reden, gemeinsam handeln, gemeinsam leiten“.

Parallel dazu haben sich Rat und Kirchenkonferenz in mehreren Klärungsschritten darauf einigen können, folgende drei Themen zu Schwerpunktthemen der Reformen auf der EKD-Ebene zu erklären:

- Qualität entwickeln (besonders in Gottesdienst und Kasualien)

- Missionarische Kompetenz stärken

- Leitung und Führung auf allen kirchlichen Ebenen stärken.

2. Aufbruch in der Kirche mit neuer Dynamik

Trotz der unterschiedlichen Zugangswege haben also die drei Organe der EKD-Ebene zu ganz ähnlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen für den weiteren Reformprozess gefunden. Gemäß dem Grundsatz, dass die Form dem Inhalt folgen solle, führte dies dazu, dass im Zusammenwirken der drei Leitungsorgane der EKD eine Steuerungsgruppe berufen wurde, für die die Synode der EKD, die Kirchenkonferenz und der Rat jeweils vier Personen vorgeschlagen haben. Die Steuerungsgruppe besteht aus folgenden Personen (in Klammer jeweils das entsendende Gremium):

  • Präsidentin Brigitte Andrae (Kirchenkonferenz),
  • Dr. Peter Barrenstein (Rat),
  • Landesbischof Jochen Bohl (Kirchenkonferenz),
  • Vizepräses Petra Bosse-Huber (Kirchenkonferenz),
  • Synodenpräsident Gerhard Eckels (Synode),
  • Synodenpräsidentin Margit Fleckenstein (Rat),
  • Bischof Dr. Wolfgang Huber (Rat),
  • Dr. Johann Daniel Noltenius (Kirchenkonferenz),
  • Christoph Otto (Synode),
  • Direktorin Marlehn Thieme (Rat),
  • Präses Dr. Karl-Heinrich Schäfer (Synode),
  • Synodenpräsidentin Heidi Schülke (Synode)

Darüber hinaus wurden mit beratender Stimme Herr Präsident Klaus-Dieter Kottnik vom Diakonischen Werk der EKD und Herr Direktor Christoph Anders vom Evangelischen Missionswerk in die Steuerungsgruppe berufen.

Die Steuerungsgruppe hat die grundlegende Aufgabe, eine Abstimmung unter den drei Leitungsorganen der EKD in der Art zu ermöglichen, dass der Reformprozess gemeinsam getragen und vorangebracht werden kann. Die Arbeit der Steuerungsgruppe zielt auf die Koordination und Verzahnung von Entscheidungen und auf die Beförderung und kritische Begleitung von Reformprojekten; unbeschadet der Kompetenz des Rates der EKD, des Arbeitsausschusses der Kirchenkonferenz und des Präsidiums der EKD-Synode hat die Steuerungsgruppe die Möglichkeit, Aufträge zur Vorbereitung von Vorlagen für Rat, Kirchenkonferenz und Synode der EKD zu erteilen. Im Einzelnen soll die Steuerungsgruppe

- die Planung des Reformprozesses in den Jahren 2008 - 2009 vorantreiben und Mitverantwortung dafür übernehmen, dass am Ende dieses Zeitraums ermutigende Ergebnisse oder Teilergebnisse zustande kommen;

- sich an der Vorbereitung von Beschlüssen von Rat, Kirchenkonferenz und Synode beteiligen und

- selbst Initiativen ergreifen und Vorschläge für einzelne Schritte, Maßnahmen und Beschlussfassungen machen.

Mit der Einrichtung der Steuerungsgruppe verbindet sich die Erwartung, dass für den gemeinsamen Reformprozess ein neuer Grad an Geschlossenheit und Verbindlichkeit in der evangelische Kirche erreichen werden kann.

Unerlässlich für die Intensivierung des Reformprozesses sind aber auch Menschen, die engagiert die Dinge vorbereiten. Es ist daher ein deutliches Zeichen der Unterstützung des Reformprozesses, dass im Kirchenamt der EKD ein Projektbüro Reformprozess eingerichtet werden konnte, das mit vier, von Landeskirchen in großzügiger Weise freigestellten und hochengagierten Personen besetzt ist. Im Projektbüro Reformprozess arbeiten mit:

  • Elisabeth Gebhardt (Dipl.-Theol.; finanziert von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau)
  • Jürgen- Peter Lesch (Pfarrer der Evang. Kirche im Rheinland)
  • Jonas Schiller (Pfarrer z.A. der Ev.-Luth. Kirche in Bayern)
  • N.N. (Pfarrer der Evangelischen Kirche in Westfalen)

Die Organisation der Projektbüros obliegt Herrn OKR Dr. Thorsten Latzel; die Leitung haben die Abteilungsleiter Finanzen OKR Thomas Begrich und Kirchliche Handlungsfelder OKR Dr. Thies Gundlach inne, womit das Projektbüro eingebunden bleibt in die Verantwortungsstrukturen des Kirchenamtes der EKD.

3. Projektbüro Reformprozess und aktuelle Arbeitsschwerpunkte

Inzwischen hat die konstituierende Sitzung der Steuerungsgruppe am 13. Februar 2008 in Berlin stattgefunden. Die Steuerungsgruppe hat den Vorsitzenden des Rates der EKD, Bischof Dr. Wolfgang Huber, zum Vorsitzenden der Steuerungsgruppe und Frau Vizepräses Petra Bosse-Huber zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

In der Sitzung hat die Steuerungsgruppe wichtige Perspektiven für die weitere Reformarbeit benannt:

- Der Reformprozess soll möglichst transparent gemacht werden, Ergebnisse und wichtige Entwicklungen im Reformprozess sollen in angemessener Form veröffentlicht werden, Internet-Auftritte unter der Überschrift „Kirche im Aufbruch“ verstärkt und die weitere Diskussion durch regelmäßige Berichte über den Stand der Reformaktivitäten in den Medien angeregt werden. So sollen eine gute Verzahnung mit den Prozessen in den Gliedkirchen und ein enger Informationsaustausch z.B. auch mit den Präsides der Landessynoden gelingen.

- Darüber hinaus soll zum 31. Oktober eine Internetplattform „Kirche im Aufbruch„ freigeschaltet werden, die Informationen für die vier Ebenen Gemeinde, Kirchenkreis, Gliedkirche und EKD enthält. Diese Internetplattform wird sich dadurch auszeichnen, dass sie einen Gesamtüberblick über Ideen, Angebote und Projekte in den Bereichen Innovation, Reform und Mission auf allen vier kirchlichen Ebenen,

- ein hohes Maß an Nutzerfreundlichkeit,

- eine große Anzahl von Beiträgen für die verschiedenen Handlungsfelder und Ebenen,

- eine garantiert hochwertige Qualität der Beiträge und

- eine hohe Aktualität der Beiträge bietet.

Um die Bedürfnisses der potenziellen Nutzer genauer zu ermitteln, fanden im Februar 2008 zwei Veranstaltungen statt, bei denen sowohl Vertreter aus Gemeinden und Kirchenkreisen als auch aus den Landeskirchen ihre Überlegungen zu Konzept und Erwartungen an eine solche Plattform in den Prozess der Gestaltung einbringen konnten.

Noch weiter in die Zukunft greift die für 24. – 26. September 2009 geplante dreitägige Zukunftswerkstatt. Es handelt sich um eine Art Fachmesse, auf der  „good-practice“-Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen der evangelischen Kirche präsentiert werden können. Anders als bei der Internetplattform können die Beispiele hier in der direkten Begegnung präsentiert und erörtert werden. Als eine Art Fachmesse wird sich die Zukunftswerkstatt vor allem an Multiplikatoren aus Kirchenkreisen, Gliedkirchen und Werken wenden, die in den jeweiligen Reformprozessen engagiert sind.

Über diese eher organisatorischen Reformprojekte hinaus sind von der Steuerungsgruppe vor allem noch folgende Themen erörtert und nächste Schritte eingeleitet worden:

a) Kompetenz-Zentren

Schon im Jahre 2007 gab es Befragungen zur „Vernetzung gliedkirchlicher Beiträge zum Reformprozess innerhalb der EKD“ auf den drei Ebenen Gliedkirchen, gliedkirchliche Kooperationen und Gemeinschaft. Auf der Ebene der Gliedkirchen wurde gefragt, bei welchen Reformthemen eine Gliedkirche Erfahrungen an andere weitergeben kann (Botschafterthemen) und bei welchen Themen ihrerseits ein Bedarf an solchen Hinweisen von anderen besteht (Kundschafterthemen), auf der Ebene der Kooperation einzelner Gliedkirchen wurden - neben den bestehenden Kooperationen - Kooperationsangebote und Kooperationswünsche erhoben, und auf der Ebene der Gemeinschaft aller Gliedkirchen wurde nach (potenziell) EKD-weiten Kompetenz-Zentren gefragt, die in der Gliedkirche vorhanden sind bzw. deren es aus Sicht der Gliedkirche bedarf.

In der Diskussion der Steuerungsgruppe wurden unterschiedliche Hinweise zur Überarbeitung der konzeptionellen Überlegungen gegeben; dabei geht es u.a. um die Frage der Finanzierung, die Berücksichtigung der Ergebnis-Qualität neben der Arbeits-Qualität, die notwendige Beibehaltung der im Impulspapier angebahnten Unterscheidung zwischen Dienstleistungs- und Kompetenz-Zentren, die Berücksichtigung der regionalen Zentren im Zusammenhang mit den gesamtkirchlichen Herausforderungen und die Aufnahme eines zusätzlichen Kriteriums einer regelmäßigen systematischen Rückmeldung über die Aufrechterhaltung der angefragten Kompetenz.

b) Leitung und Führung

In der ersten, orientierenden Diskussion zu diesem zweiten Schlüsselthema des Reformprozesses wurde herausgestellt, dass elementare Qualifikationen im Bereich von (Personal-) Führung auch die Basis jeder spezifisch kirchlichen Führungskompetenz seien. Oftmals fehlten nicht nur die grundlegenden Kenntnisse und Qualifikationen in diesem Bereich, sondern ihre Vermittlung werde vermieden mit dem Hinweis, man müsse ja eine besondere Art „geistlicher Leitung“ erlernen.

In die Arbeit an diesem Thema sollen auch die bestehenden Netzwerke Gemeindeberatung/Personalentwicklung und die nun neu mit einer Leitungsperson besetzte Führungsakademie für Kirche und Diakonie in Berlin (Sitz neuerdings im Berliner Dom) einbezogen werden.
 
c) Workshop zur Qualitätsentwicklung

Nicht nur die Gliedkirchen, sondern auch verschiedene Gremien und Ausschüsse an Hochschulen und Fortbildungsinstituten beschäftigen sich mit dem Thema Qualitätsentwicklung von Gottesdiensten. Um diese vielfältigen Diskussionen aufzunehmen, zu vernetzen und weiterzuführen, wird es einen ersten Workshop zu den Methoden und Kriterien gottesdienstlicher Qualitätsentwicklung am 22. und 23. Februar in Hannover unter dem Titel „Qualitätsentwicklung von Gottesdiensten – Von anderen lernen“ geben. Eingeladen wurden hierzu Vertreter/innen der gottesdienstlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung in den Gliedkirchen, Universitätstheologen/innen, Vertreter/innen der Gliedkirchen, Vertreter/innen der Pfarrerschaft, Kirchenmusiker/innen, Mitarbeiter/innen des Sozialwissenschaftlichen Instituts und sog. „Externe“, die aus ihren jeweiligen Verantwortungsbreichen in Hotelmanagement, in Kunstkreisen oder Unternehmensberatungen über Qualitätssicherungsmaßnahmen berichten. Ein Bericht über die Ergebnisse dieses Workshops wird baldmöglichst auf der Homepage der EKD veröffentlicht.

d) Reformdekade „Kirche im Aufbruch“ – Reformationsjubiläum 2017

Im Rahmen des Reformprozesses hat sich herauskristallisiert, dass es eine Reformdekade „Kirche im Aufbruch“ geben soll, die sich konkret drei Zielen zu widmen hat:

- Stärkung des Reformationstages als „originär evangelischer Feiertag“;

- inhaltliche Verzahnung der Themen Reform und Reformationstag, und

- kraftvolle Inszenierung des Reformationstages mit Themen des Reformanliegens durch öffentlich weithin wahrnehmbare Reformationstagsfeiern auf EKD-Ebene und in den Gliedkirchen.

Die Steuerungsgruppe begrüßt daher die erstmalige Erarbeitung eines EKD-Materialheftes für den Reformationstag 2008, das Anregungen zur intensiveren Gestaltung des Reformationstages aus den Gliedkirchen sammelt und das theologische Impulse, Ideen und Beiträge vermittelt.

e) Wissenschaftliches Symposion zum Reformprozess

Unter der Leitfrage „Welche Theologie braucht es in den gegenwärtigen
kirchlichen Herausforderungen?“ soll ein eigenes Symposion Kirchenleitung und Theologie im Blick auf den Beitrag der wissenschaftlichen Theologie zum kirchlichen Reformprozess ins Gespräch bringen. Dazu werden Vertreterinnen und Vertreter verschiedener theologischer Perspektiven (u.a. aus Diakonie und Ökumene), Disziplinen (bes. Systematische Theologie, Praktische Theologie) und Hochschulen zusammen mit in kirchenleitender Verantwortung stehenden Personen eingeladen. Der genaue Termin wird derzeit noch eruiert, die Einladungen spricht der Rat der EKD aus.

Stand: 13. Februar 2008