Hohe ethische Standards gefordert

Stammzelldebatte: Bischof Wolfgang Huber im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt

13. Februar 2008


Der EKD-Ratsvorsitzende erläutert, warum er unter ganz bestimmten Voraussetzungen einer Verschiebung des Stichtags beim Import embryonaler Stammzellen zustimmt und warum er bestimmten Entwicklungen bei einer gesetzlichen Regelung von Patientenverfügungen skeptisch gegenübersteht.

Die Entscheidung des CDU-Parteitags, eine begrenzte Forschung an embryonalen Stammzellen (ES) zu ermöglichen – beispielsweise durch eine Verschiebung des Stichtages –, hat zu Auseinandersetzungen zwischen der Union und den Kirchen geführt. Kann man es Ihrer Ansicht nach als christlich bezeichnen, Forschung zu verbieten, die Leben retten kann?

Huber: Es muss zunächst einmal klar sein, dass dem menschlichen Embryo von Anfang an menschliche Würde zuzusprechen ist. Daraus folgt, dass auch hochrangige Forschungsziele keine Rechtfertigung für die Herstellung von Embryonen abgeben können. Man muss sich jedoch der Tatsache stellen, dass bei der Herstellung menschlicher Embryonen zum Zweck der menschlichen Fortpflanzung überzählige Embryonen entstehen. Und die einzige Frage, die man auch aus christlicher Perspektive legitimerweise stellen kann, ist, ob aus solchen überzähligen Embryonen embryonale Stammzellen für hochrangige Forschungszwecke entwickelt werden dürfen. Ich respektiere die Meinung derjenigen, die auch das für ethisch ausgeschlossen halten. Aber sie müssen dann zugeben, dass sie das Absterben der über lange Zeit kryokonservierten Embryonen für die ethisch einzig angemessene Antwort auf diese Situation halten. Diejenigen, die die embryonale Stammzellforschung grundsätzlich ablehnen und sich stattdessen für eine Forschung ausschließlich mit adulten Stammzellen einsetzen, müssen sich zudem mit der Frage auseinandersetzen, ob die Forschung mit adulten Stammzellen ohne begleitende Forschung mit embryonalen Stammzellen möglich ist. Obwohl es das vorrangige Ziel bleibt, auf die Forschung mit embryonalen Stammzellen zu verzichten, habe ich nach langem Zögern dem Kompromiss von 2002 Respekt gezollt.

In diese Richtung ging auch der Beschluss der EKD-Synode vom 4. November 2007. Sie hat sich zudem dafür ausgesprochen, auch ES-Zellen jüngeren Datums für die Grundlagenforschung zu verwenden, wenn keine anderen geeigneten Zelllinien mehr zur Verfügung stehen. Dennoch haben Sie aufgrund Ihrer Zustimmung zu einer einmaligen Verschiebung des Stichtags viel Kritik einstecken müssen, sowohl von der katholischen Kirche als auch aus den eigenen Reihen. Haben Sie damit angesichts dieses Synodenbeschlusses gerechnet?

Huber: Auch der Beschluss der EKD-Synode schließt nicht aus, dass es andere Positionen in der evangelischen Kirche gibt, die ebenfalls gut begründet sind. Auf der Schutzwürdigkeit des Embryos basieren beide, die ablehnende Haltung zudem auf der Befürchtung, dass es nicht bei einer einmaligen Verschiebung bleiben wird.

Befürchten Sie das auch?

Huber: Die Gefahr kann ich nicht von der Hand weisen. Aber von einem Automatismus zu reden, ist in meinen Augen vollkommen abwegig. Denn im einen wie im anderen Fall liegt es weiterhin in der Hand des Gesetzgebers, was geschieht; auch wenn er jetzt eine einmalige Verschiebung ablehnen würde, behielte er die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt eine neue Regelung zu treffen. Ich bin davon überzeugt, dass der Kompromiss von 2002 dazu beigetragen hat, dass in Deutschland an den strengen Regeln des Embryonenschutzgesetzes festgehalten wurde. Dabei soll es auch weiterhin bleiben. Die Grenze wird eindeutig dort überschritten, wo menschliche Embryonen zu Forschungszwecken hergestellt werden. Das soll die Stichtagsregelung verhindern; dabei bleibt es auch dann, wenn es zu einer einmaligen Verschiebung des Stichtags kommt.

Ist es ethisch zu rechtfertigen, viel Geld in eine Forschung zu investieren, deren Erfolgsaussichten derzeit nur vage sind und von der, wenn sie Erfolg hat, wahrscheinlich hauptsächlich die Menschen in den reichen Industrienationen profitieren werden?

Huber: Ich glaube nicht, dass wir in Deutschland in diese Forschung so viel Geld investieren, wie es vielleicht sogar nötig wäre. Wenn ich für eine Verstärkung plädiere, denke ich freilich in erster Linie an die Forschung mit adulten Stammzellen, die in diesem Feld so schnell wie möglich die allein bestimmende Forschungsrichtung werden soll. Solche Forschung kann am ehesten in reichen Industriestaaten durchgeführt werden. Ob dabei Ergebnisse erzielt werden, die auch weltweit den Umgang mit Krankheiten verändern, bleibt tatsächlich fraglich, aber zu hoffen. Unbegründet sind diese Hoffnungen nicht. Ich gehe allerdings auch nicht davon aus, dass Forschungen mit embryonalen Stammzellen Träger von konkreten Heilungschancen sein würden. Die Heilungshoffnungen müssen sich in erster Linie auf adulte Stammzellen richten.

Ethische Grundsatzdiskussionen gibt es nicht nur am Anfang, sondern auch am Ende des Lebens. Zurzeit wird intensiv über Patientenverfügungen diskutiert. Wie verbindlich sollten Ihrer Ansicht nach Patientenverfügungen sein?

Huber: Wenn die Äußerung, die ich gegenüber einem behandelnden Arzt ausspreche, welche Behandlung ich wünsche oder ablehne, als verbindlich anerkannt ist, dann hat auch die Patientenverfügung an dieser Verbindlichkeit Anteil. Der Unterschied ist nur, dass der Zeitpunkt, zu dem ich eine Patientenverfügung unterschrieben habe, und der Zeitpunkt, an dem sie gegebenenfalls in Anspruch genommen wird, auseinander liegen. Es gehört also zur Verbindlichkeit der Patientenverfügung dazu, dass sie in der konkreten Situation auslegungsbedürftig ist. Die Folgerung, die ich daraus ziehe, ist, dass eine vorsorgende Vollmacht wichtiger ist als die Beschreibung von vermeintlich konkreten Situationen. Für die Auslegung gilt, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen und die Pflicht zur Fürsorge für sein Leben gleichgewichtig berücksichtigt werden. Eine Patientenverfügung entbindet Ärztinnen und Ärzte nicht davon, den Grundregeln des ärztlichen Ethos zu folgen.

Sollten aufgrund der Unkenntnis der späteren konkreten Situation bestimmte Bereiche besser gar nicht geregelt werden?

Huber: Es gibt gute Gründe dafür, den Bereich dessen, was durch Patientenverfügungen geregelt werden kann, eng zu definieren. Man muss aber auch dem Einzelnen einen gewissen Spielraum lassen. Die Christliche Patientenverfügung, die von der evangelischen und der katholischen Kirche gemeinsam herausgegeben wird, ist generell auf die Frage bezogen, ob im Fall einer zum Tod führenden Krankheit bei einem nicht mehr äußerungsfähigen Patienten Behandlungen fortgeführt werden sollen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der zum Tod führenden Krankheit stehen. Es besteht aber ausdrücklich auch die Möglichkeit, weitere Verfügungen selbst zu formulieren. Ich würde es für schwierig halten, generell auszuschließen, dass jemand für ein lang anhaltendes Koma, das unwiderruflich nach allen ärztlichen Einschätzungen zum Tod führen wird, eine Bestimmung trifft.

Befürworten Sie eine gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen?

Huber: Die Rechtsprechung hat dazu geführt, dass eine gesetzliche Regelung nahezu unvermeidlich ist. Ich bejahe das im Grundsatz, verbinde damit aber manche Sorgen. Zu ihnen gehört die Vorstellung, dass eine gesetzliche Regelung die Patientenverfügung in bestimmten Bereichen zu einer generellen Pflicht werden lässt. Das hängt mit der in Deutschland verbreiteten Neigung zu einer Fixierung auf das gesetzlich Geregelte zusammen. Bereits jetzt wird oftmals in Pflegeheimen bei der Aufnahme regelmäßig nach einer Patientenverfügung gefragt. Es darf jedoch nicht der Eindruck entstehen, das Vorliegen einer Patientenverfügung sei die Voraussetzung für die Aufnahme. Denn zur Freiheit eines Menschen gehört es auch, keine Patientenverfügung haben zu müssen. Meine Sorge ist zum einen, dass eine gesetzliche Regelung dieses Missverständnis auslösen könnte, und zum anderen, dass eine gesetzliche Regelung das Gleichgewicht von Selbstbestimmung und Fürsorge für das Leben ins Rutschen bringen könnte. Das kann ich unter gar keinen Umständen gutheißen.

Wie kann man den Menschen die Angst vor einem Sterben ohne Würde nehmen?

Huber: Dadurch, dass andere Elemente neben der Patientenverfügung gefördert werden. Dazu gehört in erster Linie die Stärkung der Palliativmedizin und die breitere Einführung von ambulanten und stationären Hospizdiensten. Aber alles, was unter dem Stichwort „aktive Sterbehilfe“ steht und was ja genauer als „Tötung auf Verlangen“ oder als „Hilfe zur Selbsttötung“ bezeichnet werden muss, ist aus christlicher Sicht grundsätzlich abzulehnen.

Der ökonomische Druck auf die Krankenhäuser wächst. Auch die evangelischen Häuser sind ökonomischen Zwängen unterworfen, beispielsweise den DRGs. Sehen Sie in dieser Entwicklung eine Gefahr für die Menschlichkeit und Christlichkeit in der Medizin?

Huber: Ja, ich habe mich deshalb dafür ausgesprochen, dass die DRGs nicht auf alles und nicht auf jeden angewendet werden dürfen. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass man aufpassen muss, dass in den christlichen Krankenhäusern nicht allein die kompliziertesten Fälle landen, weil diese sich dazu verpflichtet fühlen, jeden aufzunehmen, der Hilfe braucht. Man darf auch keine Zeittakte vorgeben, die jede Hinwendung zum Patienten ausschließen. Es gibt jedoch noch viele Krankenhäuser – auch über den konfessionell geprägten Bereich hinaus – die durchaus wissen, welche Bedeutung gute Seelsorge für den Heilungsprozess hat. An dieser Stelle vertraue ich darauf, dass christliche Krankenhäuser auch hinsichtlich der Qualität Vorbild sind und dies künftig weiterhin sein werden. Sie sind dabei natürlich in die Vorgaben der Ökonomisierung eingebunden. So sehr man das beklagt, muss man freilich auch berücksichtigen: Damit wir auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige Gesundheitsvorsorge und -fürsorge haben, muss das Gesundheitswesen finanzierbar bleiben. Deshalb muss man Gesichtspunkte des humanen Umgangs mit Kranken verstärkt in die Bemühungen um eine wirtschaftliche Führung von Krankenhäusern einbeziehen; man darf sie nicht nur der Ökonomisierung des Gesundheitswesens plakativ entgegenstellen.

Das Diakonische Werk fordert derzeit, die Pflege von Angehörigen in Form von Freistellungstagen zu unterstützen – ähnlich wie die Pflege von kranken Kindern. Begrüßen Sie diesen Vorschlag?

Huber: Jeder kann in die Situation kommen, in der die Fürsorge für die eigenen Eltern ebenso aufwendig und anspruchsvoll ist, wie es die Fürsorge für die Kinder in einer früheren Lebensphase gewesen ist. Für Christen ist die Pflege der Eltern nahe liegend, denn das vierte Gebot, das Gebot, die Eltern zu achten, bezieht sich genau auf diese Situation. Das bedeutet, dass Regelungen, die man in der Fürsorge für Kinder als notwendig erachtet, im Prinzip auch auf diese anderen Lebenssituationen übertragen werden sollen. Man muss Lösungen finden, die sowohl für den Arbeitgeber als auch für die Solidargemeinschaft finanzierbar sind.

Die Fragen stellten Gisela Klinkhammer und Eva Richter-Kuhlmann.

Quelle: Deutsches Ärzteblatt