Was würde Jesus dazu sagen?

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

14. Dezember 2007


Am ersten Advent kommt es im Wedding zu einem Wohnungsbrand. Um 13.33 Uhr wird die Feuerwehr alarmiert. 24 Minuten später melden die Retter der Zentrale, dass sie das Feuer unter Kontrolle haben. Doch das Leben von Aimée Alea können sie nicht retten.

Für Jaqueline N. bleibt von diesen Mittagsstunden des 2. Dezember 2007 deshalb nur eine tiefe Erschütterung zurück. Weder sie noch ihr Lebensgefährte Gordon R. konnten verhindern, dass ihre einjährige Tochter Aimée Alea an den Folgen der Rauchvergiftung starb.

Seitdem vermissen sie ihre Tochter schmerzlich. Sie können die Uhr nicht zurückdrehen. Immer wieder werden sie sich fragen, ob sie etwas anders hätten machen können. Solche Fragen lassen sich nicht unterdrücken – trotz der Gewissheit: Es gibt keinen Weg zurück.

Jeder einfühlsame Mensch kann sich ausmalen, welchen schweren Weg die Familie derzeit gehen muss. Der Brief, den Jaqueline N. der B.Z. zur Verfügung gestellt hat, verdeutlicht diese Achterbahn der Gefühle.

Ich frage mich, was Jesus dazu sagen würde. Und ich merke, wie schwer mir eine Antwort fällt. Ich denke an die Güte, mit der er gerade den Mühseligen und Beladenen begegnet ist. Und mir steht die Klarheit vor Augen, mit der Jesus auf die Gebote Gottes hinweist. Zu ihnen gehört, dass wir für den Schutz des Lebens alles tun, was uns möglich ist.

Was bedeutet das für Jaqueline N.? Was sagen wir Freunden, die einen bestimmten Moment ihres Lebens nicht vergessen und weder verzeihen noch Vergebung annehmen können? Wie geht es der Straßenbahnfahrerin, die einen Unfall mit tödlichem Ausgang nicht verhindern konnte. Was fühlt ein Arzt, dem ein Patient auf dem OP-Tisch wegstirbt. Was ist, wenn es keinen Weg zurück gibt; wenn uns die Angst auffrisst, wir könnten versagt haben?

Jesus hat den Selbstgerechten den Spiegel vorgehalten und sie aufgefordert: „Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein!“ Und er hat seinen Jüngern ein Gebet übergeben, das wir als „Vater unser“ kennen. Darin heißt die fünfte Bitte: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Dieses Gebet ist eine Tür, die allen offen steht. Sie steht auch denen offen, für die es keinen Weg zurück gibt.

Jaqueline N. und ihrer Familie wünsche ich, dass andere für sie und mit ihnen dieses Gebet sprechen. Zu ihrem Leben gehört die Trauer um Aimée Alea ebenso dazu wie das Weiterleben mit den anderen Geschwistern. Sie brauchen einen neuen Anfang; und sie können auf ihn hoffen. Für uns alle ist ihr Schicksal ein Anlass, gütiger und barmherziger zu werden.