Kinder gehen uns alle an!

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

30. November 2007


Kinder geraten in die Schlagzeilen! In Schwerin, weil die fünfjährige Lea-Sophie verhungern musste. In Spandau, weil drei Kinder am Fenster standen und weinend um Hilfe riefen. Ihre Rufe wurden von den Nachbarn gehört. Gott sei Dank haben sie rasch gehandelt. Das war genau richtig! Lieber einmal zu viel reagiert, als noch einen Kevin, eine Jessica oder ein anderes schreckliches Drama.

Kinder werden der Verwahrlosung ausgesetzt. Das gerät in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Jedes Foto von einem vernachlässigten Kind ist ein Schrei nach Hilfe. Jede Nachricht über ein Kind, das so ums Leben kam, ist eine Anklage gegen uns alle.

Das Blitzlichtgewitter trifft aber zugleich die Eltern. Die Fälle häufen sich, in denen sie ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Manche Mutter braucht mehr Unterstützung. Mancher Vater muss in die Pflicht genommen werden. Der Beistand muss früh beginnen. „Känguruh“ heißt ein Projekt der Diakonie, das solchen Beistand organisieren soll.

Warum wird erst so spät sichtbar, was doch eine lange Vorgeschichte haben muss? Wer seine Kinder vernachlässigt, tut dies nicht nur einmal. Ich erschrecke darüber, wie lange das Leiden von Kindern unbemerkt bleibt. Hören die Nachbarn das Schreien nicht? Wollen Sie es nicht hören?

Viele meinen, die Erziehung der Kinder und der Umgang mit ihnen seien allein die Privatangelegenheit der Eltern. Außer ihnen hätten nur Jugendamt und Schule, Ärzte und Erzieherinnen etwas mit ihnen zu tun. Richtig ist das nicht. Kinder gehen uns alle an. Sie brauchen unseren besonderen Schutz.

Im Fall der Spandauer Kinder kann man hören, die Familie habe einen „zufriedenstellenden Eindruck“ gemacht. Ähnlich klang das vor wenigen Tagen in Schwerin. In vielen dieser Fälle leisten Behörden, Kindergärten und Schulen, was ihnen möglich ist. Doch plötzlich zerreißt der Schein der Normalität. Dann muss gefragt werden, wie denn ein Mädchen verhungern kann, dessen Eltern kurz zuvor mit dem Jugendamt im Gespräch waren. Doch die Verantwortung ausschließlich überforderten Ämtern zuzuschieben, genügt nicht.

Kinder brauchen Aufmerksamkeit. Es reicht nicht, auf die äußere Armut zu achten. Es gibt auch eine innere Armut; sie ist vom Einkommen unabhängig. Nicht nur in der äußeren, sondern auch in ihrer inneren Armut dürfen wir unsere Nächsten nicht allein lassen. Gerade wenn Kinder Hilfe brauchen, können wir nicht untätig bleiben. Deshalb gebührt den Nachbarn in Spandau ein besonderer Dank.