Warum wir evangelisch sind

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

20. Juli 2007


„Er hat doch gar nichts an!“ So ruft das Kind im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Alle anderen tun so, als staunten sie über die edlen Stoffe und den feinen Zwirn. Nur die klare Stimme des Kindes reißt den Schleier von der Szene: „Er hat doch gar nichts an!“

Worüber wird eigentlich gestritten, wenn aus dem Vatikan wieder einmal verkündet wird, nur die römisch-katholische Kirche sei eine „Kirche im eigentlichen Sinn“? Das entscheidet sich nicht an Gewändern oder päpstlichen Erlassen. Es kommt darauf an, dass jede Kirche das Evangelium bezeugt, so gut sie es eben kann. Darauf wies die Reformation Martin Luthers hin. Sie wollte zurück zum Evangelium, zurück hinter die Gewänder und Erlasse, zurück hinter Peterspfennig und Ablass.

Sollen Protestanten darauf hinweisen, was ihnen an der heutigen römisch-katholischen Kirche merkwürdig erscheint? Darauf kommt es nicht an. Es reicht, mit der eigenen Kirche selbstkritisch umzugehen. Noch mutiger könnte unsere Kirche sein in dem, was sie sagt; und ihre Gottesdienste könnten noch beschwingter werden. Aber dankbar sind wir dafür, dass evangelische Gemeinden ihre Pfarrerinnen und Pfarrer selber wählen können. Wir finden es gut, dass Frauen und Männer in gleicher Weise zum geistlichen Amt zugelassen sind. Wir finden es auch richtig, dass nicht nur ein Mensch für die ganze Kirche spricht. Denn die christliche Kirche bekennt sich zu ihrem einen Herrn Jesus Christus.

Zwei Jünger Jesu, Jakobus und Johannes, wollten im Himmel die besten Plätze zugesichert bekommen. Jesus antwortete: „Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“

Im Licht des Evangeliums ist es peinlich, wenn wir darüber streiten, ob die römisch-katholische oder die evangelische Kirche näher bei Christus sitzen darf.

Die evangelische Kirche tut angesichts der Töne aus Rom gut daran, jeden Tag neu Kirche im eigentlichen Sinn zu sein. Wir wollen die Güte Gottes von ganzem Herzen rühmen. Gott traut uns zu, dass wir auf sein Evangelium hören und antworten. Besser können wir die befremdlichen Äußerungen aus Rom nicht auf sich beruhen lassen.