„Stell dir vor es ist Sonntag, und keiner merkt’s“

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

22. Juni 2007


Die verlängerten Öffnungszeiten werden zum Teil wieder zurückgenommen. Das haben die großen Kaufhäuser in Berlin dieser Tage mitgeteilt. Selbst am Potsdamer Platz sind die Geschäfte nicht mehr bis Mitternacht geöffnet. Bis abends um neun reicht offenbar auch. Saturn am Alexanderplatz hat nur noch an drei Tagen der Woche bis um 22 Uhr geöffnet. Auch das Kulturkaufhaus Dussmann öffnet nicht mehr rund um die Uhr, sondern sperrt um Mitternacht die Türen zu.

Man muss nicht bis in den späten Abend einkaufen. Das haben die Menschen erkannt. Und die Kaufhäuser ziehen die Konsequenzen. Dabei ist grundsätzlich gegen flexible Ladenöffnungszeiten nichts einzuwenden. Warum soll man nicht noch am Abend neue Milch für den nächsten Morgen kaufen, wenn sie gerade leer geworden ist? Am Urlaubsort ist man froh, wenn es die Zahnpasta, die man zu Hause vergessen hat, auch noch am Abend gibt. Zu enge Vorschriften sind nicht mehr zeitgemäß.

Anders ist es mit dem Sonntag. In den zehn Geboten heißt es: „Du sollst den Feiertag heiligen!“ Das gilt unverändert. Der Sonntag ist im christlichen Verständnis der Tag der Auferstehung Christi. Deshalb ist er zum Tag des Gottesdienstes geworden. Bereits vor 1700 Jahren hat man den Sonntag mit dem arbeitsfreien Tag verbunden. Diese Tradition hat sich bewährt.

In Polen oder Italien ist das Einkaufen auch am Sonntag möglich. Darauf weisen die Befürworter hin. Aber hebt denn die Praxis in anderen Ländern unsere Verfassung auf?  In ihr werden die Sonn- und Feiertage als „Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“ ausdrücklich geschützt.

Dem Berliner Abgeordnetenhaus und dem Senat war das Grundgesetz offenbar nicht so wichtig. In einem „Hau-Ruck-Verfahren“ wurde im vergangenen Herbst die Zahl der verkaufsoffenen Sonntage von vier auf mindestens zehn pro Jahr erhöht. An allen vier Adventssonntagen kann nun in Berlin eingekauft werden. Das ist in ganz Deutschland einmalig. Ist das die Antwort auf den auch so oft beklagten Werteverfall in unserer Gesellschaft? Kann man einen solchen Schritt gehen, ohne den ganz klaren Verfassungstatbestand zu berücksichtigen?

Nach meiner Auffassung geht das nicht. Beide großen Kirchen sehen das so. Für sie beeinträchtigt dieses Vorgehen die Religionsfreiheit. Deshalb setzen sie sich zur Wehr. Zum Schutz des Sonntags legen wir Verfassungsbeschwerde ein.
Aber entscheidend bleibt, wie wir mit dem Sonntag umgehen. Es kommt darauf an, ihn angemessen zu gestalten. Ihn so weit wie möglich von Arbeit frei zu halten, ist dafür nur eine Voraussetzung.