Sprachunfähigkeit Berliner Vorschulkinder

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

16. Februar 2007


Die Jungen und Mädchen springen über Stühle und Bänke, obwohl es mitten in der Schulstunde ist. Die Lehrerin hat Mühe, sich Gehör zu verschaffen. Der kleine Ali kann vor allem türkisch, Moritz deutsch, Jasmin arabisch. Die Kinder verstehen sich untereinander nur schwer, denn keines kann genügend deutsch reden. Der Anweisung der Lehrerin können sie kaum folgen. Die Frustration, die dabei entsteht, ist mit Händen zu greifen.

Fast jedes vierte Berliner Kind im Vorschulalter spricht nicht gut genug Deutsch. Wenn sich daran nichts ändert, hat es schreckliche Folgen. Wer die Sprache nicht beherrscht, wird auch nicht lesen lernen. Wer nicht lesen kann, wird es in der Ausbildung nicht weit bringen. Düstere Voraussagen rechnen damit, dass dies ein Viertel unserer Kinder und Jugendlichen betrifft; in vergleichbaren Ländern sind es viel weniger. Das ist Alarmstufe 1!

Besonders dramatisch ist es bei Kindern nichtdeutscher Herkunft. Von ihnen können zwei Drittel nicht ausreichend Deutsch. Das hat der dritte Sprachtest der Berliner Verwaltung gezeigt. Viele Fünf- und Sechsjährige können keinen zusammenhängenden deutschen Satz sprechen. Auch einfache Anweisungen verstehen sie nicht. Das ist eine Katastrophe!

Kinder sind unsere Zukunft. In zwanzig Jahren werden sie Geld verdienen oder Sozialhilfe empfangen, das gesellschaftliche Leben bestimmen oder sich an den Rand gedrängt fühlen. Jesus wusste, wie wichtig Kinder für die Zukunft sind, als er sagte: Lasst die Kinder zu mir kommen und wehrt sie nicht ab, denn ihnen gehört das Reich Gottes.

Kinder brauchen eine gute Bildung. Die Grundlage hierfür ist die Sprache. In Deutschland ist es Deutsch, in Frankreich Französisch. Es ist unerträglich, in welchem Umfang jungen Menschen ihre soziale Herkunft zum Stolperstein wird. Wer aus einer Familie kommt, in der die Eltern schon lange keine Arbeit mehr haben, hat auch in unserem Land schlechtere Chancen. Hilfe ist nötig. Aber auch die Eltern müssen der Verantwortung für ihre Kinder gerecht werden. Dazu gehört der Spracherwerb. Damit ist nicht nur die Sprache der Eltern gemeint, sondern ebenso die Sprache des Landes, das zur Heimat werden soll.

Besser schneiden bei dem Sprachtest Mädchen und Jungen ab, die eine Kita besuchen. Kindertagesstätten sind nicht nur ein Betreuungsangebot. Der Mensch ist von Natur aus wissbegierig. In den ersten drei Lebensjahren entscheidet sich, ob die erwachende Neugier ein Echo findet. Im vierten bis sechsten Lebensjahr werden die Weichen dafür gestellt, ob das, was in den ersten Lebensjahren versäumt wurde, nachgeholt werden kann.

Nicht die Gesamtschule, sondern die Kindertagesstätte entscheidet darüber, ob auch Kinder aus bildungsferneren Familien den nötigen Zugang zur Bildung erhalten. Gerade in der frühen Kindheit geht es nicht nur um Betreuung, sondern um Bildung. Das ist für alle nötig; deshalb sollten Kindergartenplätze gebührenfrei sein.