Totensonntag

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

24. November 2006


Leichter Nieselregen fällt auf die raschelnden Platanenblätter. Sechs Männer tragen den Sarg aus der Kirche. Die Trauergemeinde geleitet die Verstorbene zum Grab. Hinter dem Sarg der Pfarrer, dann der Sohn der Verstorbenen. An jeder seiner Hände geht eines seiner Enkelkinder. Der Zug der Angehörigen folgt. An der Grabstelle angekommen, halten sie inne, nehmen Abschied und beten das Vaterunser. Nach und nach verlassen die Trauernden den Friedhof und kehren auf die belebten Straßen zurück.

Die Beerdigung liegt nun schon drei Monate zurück. Doch das Abschiednehmen braucht Zeit. Man denkt, alles sei geschafft. Doch unerwartet spült eine Gefühlswelle die Erinnerung wieder an Land, direkt vor die eigenen Füße. Übermorgen ist Totensonntag. An ihm wird an die Toten erinnert. Das Bekenntnis wird ausgesprochen, dass sie in Gottes Ewigkeit geborgen sind.

Die Familie wird gemeinsam in den Gottesdienst gehen. Dort werden die Namen derer verlesen, die im vergangenen Jahr gestorben sind. Für jeden Verstorbenen wird eine Kerze angezündet. Gemeinsam werden sie darauf warten, dass der Name ihrer Verstorbenen verlesen wird. Dann werden sie in die kleine Flamme des flackernden Kerzenlichtes sehen. „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“

Der Totensonntag oder auch Ewigkeitssonntag ist der letzte Sonntag des Kirchenjahres. Am Ende des Kirchenjahrs tritt die Erinnerung an die Verstorbenen in direkte Nachbarschaft zum Ersten Advent, mit dem die freudige Vorbereitung auf die Geburt des Heilands beginnt. Ende und Anfang sind so auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden.

König Friedrich Wilhelm III. von Preußen bestimmte im Jahr 1816 den Sonntag vor dem Ersten Advent zum „allgemeinen Kirchenfest zur Erinnerung an die Verstorbenen“. Das Gedenken an die Gefallenen der Befreiungskriege, die Trauer um seine 1810 verstorbene Gemahlin, Königin Luise, und das Fehlen eines Totengedenkens im evangelischen Kirchenjahr sprachen für einen solchen Schritt.

„Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“ Das sind Jesu Worte aus der Bergpredigt. Menschen, die uns in der Trauer begleiten, trösten uns. Sie geben uns den Raum, über den erfahrenen Verlust zu sprechen. Jesu Wort macht uns darauf aufmerksam, dass wir auf Trauernde zugehen können. Vielleicht warten sie auf die Frage, wie es ihnen geht. Es ist gut, einander zu stützen, wenn das Herz schwer ist und die Knie wanken. Für jeden ist der Tod eine ernste Sache, auch für jeden Christen. Aber wir können nicht tiefer fallen als in Gottes offene Arme. Dieses Vertrauen gibt Kraft, auch am Totensonntag.