Sterbehilfe und Charite

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

13. Oktober 2006


Sie hat den Druck nicht mehr ausgehalten, meinen Experten. Zehn Jahre pflegte Schwester Irene todkranke Menschen auf der Intensivstation der Berliner Charite. Zwei herzkranke Männer, die im Sterben lagen, soll sie durch die Überdosis eines Medikaments getötet haben.

Manche sehen in diesem Fall den Beginn einer neuen Debatte über die Sterbehilfe. Ich nicht. Im Gegenteil: Es muss dabei bleiben, dass Tötung oder die Beihilfe dazu für Ärzte und Pflegekräfte nicht in Frage kommt. Selbstverständlich übersteigt es die Kompetenz einer Schwester, die Dosis eines lebensnotwendigen Medikaments eigenmächtig zu verändern. Es muss verhindert werden, dass sich Vergleichbares wiederholt. Ist es möglicherweise schon in der Vergangenheit dort, wo Schwester Irene tätig war, zu derartigem gekommen? Das wird derzeit geprüft.

An diesem Beispiel tritt uns der schwere Dienst von Schwestern, Pflegern und Ärzten auf der Intensivstation vor Augen. Ihre Aufgabe erfordert ein enormes Maß an Kraft und seelischer Ausgeglichenheit. Seelsorge und Gesprächsangebote für Ärzte wie für das Pflegepersonal sind von großer Bedeutung. Meine Hochachtung und mein Dank gelten all den Menschen, die in Krankenhäusern und Rettungsdiensten für uns da sind, wenn wir sie brauchen. Die mutmaßliche Tat von Schwester Irene darf nicht einen Berufsstand in Verruf bringen.

Noch einmal: Mit der Diskussion um aktive Sterbehilfe hat der Fall aus der Charite, nichts zu tun. Es ist gut, noch einmal an das Ziel aller Medizin und aller Pflege zu erinnern: Sie sind auf Heilung ausgerichtet. Wo Heilung nicht mehr möglich ist, ist die Linderung der Schmerzen geboten. Niemand gibt einem Menschen das Recht, das Leben eines anderen zu beenden.

Wo der Wunsch nach einer „Todesspritze“ auftaucht, muss er eine andere Antwort finden. Wenn Menschen unter entsetzlichen Schmerzen den Lebenswillen verlieren, sehnen sie sich nach Erlösung. Wenn es scheinbar keinen Ausweg gibt, wünschen sie sich vielleicht den Tod. Es gibt auch Situationen, in denen man ihnen beim Loslassen helfen muss. Aber nicht eine „aktive Sterbehilfe“ durch Medikamente, die zum Tod führen, sondern eine menschlich zugewandte Sterbebegleitung ist die Hilfe, die sie brauchen. Es geht darum, auch die letzte Lebensphase menschenwürdig zu gestalten.

Dafür, wie das gelingen kann, gibt es immer mehr gute Beispiele. In Hospizen werden Menschen in den letzen Wochen ihres Lebens stationär oder ambulant begleitet. Mit Hilfe der Christlichen Patientenverfügung kann man rechtzeitig bestimmen, welche medizinische Behandlung noch vorgenommen werden soll und welche nicht. Denn bis zum Tod haben wir alle ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Aber das Recht auf Bewahrung des Lebens ist von gleichem Gewicht.