Erntedank

Wolfgang Huber - Kolumne in der BZ

29. September


Erntedank wird gefeiert, wenn die Ernte eingebracht ist. So war das über Jahrhunderte hinweg. Viele Berlinerinnen und Berliner feiern Erntedank, obwohl die wenigsten von uns Kartoffeln ausgegraben und in die Scheune getragen haben. Heute sind weniger Menschen in der Landwirtschaft tätig als früher. Dennoch sind wir empfänglich für den Duft von frisch gebackenem Brot, für die Freude an gerade geernteten Tomaten und Gurken, an eben erblühten Astern und Dahlien. Wir bewundern die Fülle der Schöpfung, wenn wir sie vor uns sehen. Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, so rufen wir dankbar aus. Was für eine Lebensfülle!

Doch dieser Ton des Dankes, dieses Lob der Gottesfülle wird immer wieder verdunkelt. Wir müssen ihn erklingen lassen gegen so manchen Widerstand in uns und um uns. Verdunkelt wird dieser Ton durch die Macher wie durch die Vereinfacher.

Die Macher erklären, der Dank für Gottes gute Schöpfung sei überflüssig geworden. Der Mensch selbst sei der Macher und Herr des Lebens. Gentechnisch verändertes Saatgut oder reproduktionstechnisch hergestellte Menschen – das zeige doch, wozu der Mensch fähig ist. Ich habe Sinn dafür, dass wir nicht nur die Schöpfung loben, sondern auch die Technik. Sie hat vieles leichter gemacht. Doch wir sollten bewahrt bleiben vor Überheblichkeit und Größenwahn. Unser Leben bleibt ein Geschenk, über das wir nicht verfügen. Über der Schöpfung liegt ein Glanz, den wir nicht selbst hergestellt haben.

Neben die Macher treten die Vereinfacher. Sie wollen uns zu einem Weltbild zurückführen,  das die Güte der Schöpfung Gottes verdunkelt. Da werden wieder Schwarz und Weiß gegeneinander gestellt. Wer einen solchen Riss durch unsere Welt gehen lässt, weiß offensichtlich auch genau, woher das Böse kommt: Schuld sind immer die anderen. Die universale Geltung der Menschenrechte wird durch die Einteilung der Menschen in gute und böse außer Kraft gesetzt. Die gleiche Würde jedes Menschen wird durch den Gedanken der eigenen Auserwähltheit in Frage gestellt. Das „Haus des Friedens“ hier und das „Haus des Krieges“ dort; die „Achse des Bösen“ dort und der „Hort der Zivilisation“ bei uns.

Es gibt nicht genug Dahlien und Astern, um die Spannungen in unserer Welt zu überdecken. Der Riss ist vorhanden. Er droht unsere Welt zu spalten. Brücken täten gut, auf denen wir gemeinsam die Erntekrone von einem Ufer zum anderen tragen könnten. Brücken der Anerkennung sind nötig, auf denen Menschen sich begegnen, auf denen sie einander in Respekt und Anerkennung gegenübertreten. Einen Kampf der Kulturen brauchen wir nicht; aber eine Kultur der Anerkennung brauchen wir dringend.